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DAS BAUHAUS – ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT

Vor 100 Jahren gründete der Architekt Walter Gropius gemeinsam mit anderen Architekten und Künstlern in Weimar das Bauhaus als Staatliche Kunstschule. Heute weltbekannt, ging es den Mitgliedern damals in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts um ein radikales Umdenken, eine grundlegende Gestaltungsreform des Bauens, Wohnens und letztlich auch des Zusammenlebens in der Gesellschaft überhaupt.

Ein revolutionäres Unterfangen, das den Grundsatz „form follows function“ als Befreiungsformel von den Schönheitsmaßstäben einer bürgerlichen Gesellschaft verstand, die dem 19. Jahrhundert entstammte. Und die anstrebte, bessere Wohn- und Lebensverhältnisse für alle Menschen zu schaffen.

Gibt es ein Nonplusultra?

Innerhalb eines Jahrzehnts wurde ein neuer, moderner, klarer Stil entwickelt. Dabei wurden die eigenen Gestaltungsgrundsätze zum absoluten Maßstab und Nonplusultra für alles erklärt, was Design, Kunst, Handwerk und Architektur betraf und manche Anhänger des Bauhauses sehen das auch heute noch so.

Ich sehe das differenzierter. Ja, das Bauhaus war ein Fortschritt im Kontext der Zeit, weil es neue Denk- und Gestaltungsräume erschlossen hat. Und ja, das Bauhaus war wichtig, vielleicht sogar notwendig, um ein neues Verständnis von wesentlichen Aspekten und Dingen des Lebens zu gewinnen. 

Doch wenn ich mir anschaue, was sich in der Tradition des „Form Follows Function“ und unter Berufung auf die Prinzipien des Bauhauses in den letzten 60 Jahren an Stadt- und Wohngestaltung ausgebreitet hat, dann sehe ich hier eine gewaltige Diskrepanz zwischen diesem einst absoluten Anspruch und dem, was in der Realität daraus geworden ist .

Was folgte war Normierung und Standardisierung unter dem Maßstab der Ökonomisierung – quadratisch, praktisch, gut. Öde und gleichförmige Wohnlandschaften, die kein wirkliches Zusammenleben ermöglichen. Gigantische Silos, in denen Menschen an Stadträndern in aufgetürmten Schuhschachteln leben..

Zugegeben – im Vergleich zu primitiven Altbauwohnungen im Hinterhof ohne Zentralheizung und sanitäre Grundausstattung waren diese Bauten tatsächlich ein Fortschritt. Doch mit einem ästhetischen Anspruch auf gestalterische Schönheit, die der Funktion folgt, haben sie nichts gemeinsam. 

Die Schönheit der architektonischen Bauhaus-Ästhetik, die es aus meiner Sicht in den originalen Bauten wirklich gab und noch immer gibt, beschränkt sich heute auf einige, zum Teil luxuriöse Ausnahmebeispiele. In der massenhaften Anwendung hat sich das einstige Versprechen jedoch nicht bewahrheitet. Hier braucht es heute ganz andere, neue Konzepte, wie sie in lokalen und regionalen Projekten – ohne Absolutheitsanspruch – ja auch realisiert werden.

Gab es eigentlich auch Frauen im Bauhaus?

Doch nicht nur das, was in Fortsetzung der Grundgedanken des Bauhauses nach dem Zweiten Weltkrieg das Bild unserer Städte geprägt hat, gibt Anlass zur kritischen Hinterfragung.

Noch ein ganz anderer Aspekt bringt mich in eine distanzierte Haltung zum Absolutheitsanspruch des Bauhauses und seiner Gründer. Obwohl es sehr viele weibliche Mitglieder gab – phasenweise waren sogar mehr Frauen als Männer am Bauhaus tätig – sind sie bis heute weitestgehend unbekannt geblieben. Denn bis zu seiner Auflösung durch die Nationalsozialisten war das Bauhaus eine durch und durch männlich dominierte Organisation. 

Vor allem dem 100jährigen Jubiläum ist es zu verdanken, dass die Frage nach den Frauen im Bauhaus nun zum ersten Mal öffentlich beleuchtet wird. So auch in einem sehr interessanten Bericht über „Die Frauen im Bauhaus“,  der vor kurzem auf Arte TV ausgestrahlt wurde. Wenn man diesem sorgfältig recherchierten Bericht folgt, wurden selbst begabteste und ambitionierte Frauen bewusst von relevanten Leitungsfunktionen ausgeschlossen und auch von den öffentlichkeitswirksamen Aufgaben ferngehalten. Stattdessen wurden sie vorzugsweise den handwerklichen Bereichen, allen voran der Weberei zugeteilt. Umso interessanter zu erfahren, dass die Bauhaus-Frauen aus der ihnen verordneten Nische heraus mit ihren Teppichen, Möbeln und  Kinderspielzeug damals nicht nur gestalterisch, sondern auch ökonomisch ausgesprochen erfolgreich waren.

Was die Akzeptanz qualifizierter Frauen im Bauhaus als gleichwertige und gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe betrifft, waren dessen männliche Gründer und Protagonisten dann doch noch eher dem 19. Jahrhundert zugewandt als einer revolutionären Grenzüberschreitung in die Zukunft. 

Ein neues Konzept fürs 21. Jahrhundert?

Heute ist gemieteter Wohn- und Lebensraum vor allem zu einer Frage von Menge, Preis und Rendite geworden. Das Thema wurde politisch lange vernachlässigt, wenn nicht gar ignoriert. Nun fehlt es akut und massiv an bezahlbarem Wohnraum. Da tauchen plötzlich Enteignungsfantasien auf, doch Gestaltungsfragen wie sie einst vom Bauhaus gestellt wurden, spielen schon seit langem keine Rolle in der öffentlichen Diskussion. Das halte ich für einen großen Mangel. Deshalb würde ich mir – trotz aller Widersprüche, die dem Bauhauskonzept innewohnten – dann heute doch eine so radikal umdenkende und zukunftsorientierte Kraft wünschen wie sie das Bauhaus mit seinen Impulsen vor 100 Jahren für die damalige Gesellschaft war. 

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