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HOMMAGE AN DEN SCHLAF

„Süßer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glück ungebeten, unerfleht am willigsten.“ (Johann Wolfgang von Goethe). Dichter aller Epochen haben den Schlaf besungen. Er versetzt uns in eine Zwischenwelt, in der unser Gehirn ohne Zutun unseres Bewusstseins Erlebtes verarbeitet, ordnet oder auch reaktiviert. Schlaf ist unverzichtbar und wertvoll. Dennoch habe ich schon lange den Eindruck, dass ihm in unserer modernen Kultur nicht der Stellenwert zugesprochen wird, der ihm zusteht – dass er von manchen sogar als verschwendete Lebenszeit betrachtet wird. Als ob unser Leben nur aus der einen Realität bestehen würde.

Dieser einseitigen Sicht möchte ich heute etwas entgegensetzen. Statistisch betrachtet verbringt der Mensch ein Viertel bis ein Drittel seiner Lebenszeit im Schlaf. Das hat die Natur so eingerichtet. Wer glaubt, diese Zeit sei „verlorene Zeit“, der irrt sich. Ich halte es für kein Gütesiegel eines produktiven Menschen, dass er so lange wie möglich wach bleibt und so wenig wie möglich schläft. 

Schlaf als notwendiges Übel

„Ich brauche nur vier Stunden Schlaf!“, hörte ich einmal den Vorstandsvorsitzenden eines großen Unternehmens in einer Gesprächsrunde mit jungen Nachwuchsmanagern mit stolzer Selbstverständlichkeit von sich sagen. Die implizite Botschaft dazu lautete „Erstens: Ich bin so wichtig und damit eine derart wertvolle Ressource, dass ich zwanzig Stunden am Tag arbeite und mir das Schlafen nahezu abgewöhnt habe. Und zweitens: Wenn Sie nach oben kommen und genauso wichtig werden wollen wie ich, dann gewöhnen auch Sie sich das Ausschlafen am besten möglichst bald ab.“ 

Die Kunst und der Schlaf

Im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart startete im Oktober eine Ausstellung mit Werken von 40 Künstlern zum Thema Schlaf. Der Titel der Ausstellung lautet „Sleeping with a Vengeance, Dreaming of a Life“ (Mit Tiefenwirkung schlafen, von einem Leben träumen). Die Kuratorin Ruth Noack weist darauf hin, dass dem Schlaf in unserer Gesellschaft nur das notwendige Minimum als Platz eingeräumt wird. 

Ich finde es gut, dass hier auch einmal auf künstlerische Weise der Blick auf diesen wichtigen Aspekt menschlichen Lebens gerichtet wird. Denn der Mensch ist mehr als eine Ressource, die an ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und Verwertbarkeit zu messen ist. Schlaf ist dementsprechend kein notwendiges Übel, wie es den Anschein hat, wenn er auf die rein ökonomische Funktion reduziert wird.

Es geht um Rhythmus und Balance

Alles was lebt, muss schlafen. Jede Pflanze, jedes Tier und jeder Mensch. Das ist ein Naturgesetz. Manche von ihnen sind nachtaktive Wesen. Sie schlafen dann am Tag. Aber auch sie schlafen irgendwann. Die gesundheitlichen Probleme, die durch dauerhafte Arbeit in Wechselschicht entstehen können, zeigen, wie viel Kraft es kosten kann, den Schlaf an ökonomische Gesetzmäßigkeiten anzupassen. Und Schlafentzug ist nicht umsonst eine besonders perfide Foltermethode im breiten Arsenal menschlicher Schlechtigkeit, zumal ihre dramatischen  Folgen keine offen erkennbaren Spuren hinterlassen. 

Unser Geist, unser Bewusstsein, unsere Kreativität und Schaffenskraft sind auf den Schlaf angewiesen, auf das Sortieren und Verknüpfen von Erlebtem. Auf die Möglichkeit des Träumens. Das Ausruhen ist wertvoll – zu welcher Tages- oder Nachtzeit auch immer es stattfindet. Der Mensch hat sich durch künstliches Licht und geheizte Räume die Möglichkeit geschaffen, sich von den Jahreszeiten und dem natürlichen Tag- und Nacht-Rhythmus zu verabschieden. Er kann die Nacht zum Tag zu machen, wenn er will und hat damit grundsätzlich die Freiheit, seinen eigenen individuellen Rhythmus zu leben – soweit ihm sein privates oder berufliches Umfeld dies erlaubt. Wer in einer Organisation tätig ist, in der es um Zusammenarbeit geht, wird nicht umhin kommen, tagsüber wach und aktiv zu sein und seinen Rhythmus darauf einstellen. Wer ein Baby oder Kleinkind großzieht, wird zumindest für einige Zeit auf geregelten Nachtschlaf verzichten müssen.

Den eigenen Rhythmus leben zu können, ist eine Form der Freiheit

OUBEY hat vor allem und am liebsten nachts gearbeitet, ungestört vom Trubel der geschäftigen Außenwelt des Tages. Es war ein Moment seiner Freiheit und zugleich eine wichtige Grundlage für seine Schaffenskraft, dass er den eigenen, für ihn guten  Rhythmus finden und leben konnte. Vielen Schriftstellern, Malern und Musikern geht es ganz ähnlich. Der Welt, die sich im „normalen“ Rhythmus der Mehrheit befindet – und das nicht immer freiwillig – ist diese Arbeits- und Lebensweise vielleicht suspekt.

Für mich aber war es immer selbstverständlich, OUBEYs Rhythmus zu respektieren – auch wenn mein eigener aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit seinerzeit ein ganz anderer war. Genauso respektiere ich den Rhythmus in der Lebens- und Arbeitsweise eines jeden anderen Menschen..

So seltsam es vielleicht auch klingen mag: Das Schlafen ist für mich ein Element und Zustand nicht nur der Erholung, sondern auch der Freiheit und in gewisser Weise sogar des Glücks. 

Deshalb: Genießen Sie Ihren Schlaf!

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