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Ein mutiger Blick

Als die Astronomin Dr. Cecilia Scorza im Max Planck Institut für Astronomie in Heidelberg OUBEYs Bild „Einsteins Tränen“ begegnete, erkannte sie darin unser Universum in seinen frühesten Anfängen vor mehr als 13 Milliarden Jahren - als sich Materie zu formen begann, als sich erste Galaxien heranbildeten und als das Licht entstand.  Nachdem sie all das anhand des Bildes gezeigt und erklärt hatte, meinte sie: „Das ist ein mutiger Blick, sehr mutig“. Was meinte sie damit? Was an diesem Blick war für sie mutig?

Sie selbst gibt in dem Video von dieser Begegnung eine erste Antwort auf diese Frage, wenn sie sagt: „Noch sind wir nicht so weit, dass wir das mit unseren Teleskopen heute sehen können. Erst in zwei oder drei Jahren.“ Das sagte sie im Jahr 2010. Selbst vierundzwanzig Jahre nach der Entstehung dieses Bildes war es noch immer ein Blick, den bis dahin kein Mensch ins All hatte werfen können. OUBEY konnte das. Er machte in diesem Bild etwas sichtbar, was bis dahin noch kein menschliches Auge je erblickt hatte. Das fand sie mutig.

OUBEY erschuf dieses Bild im Jahr 1986. In diesem Jahr sollte das Weltraumteleskop Hubble seine Mission antreten. Doch der Start dieser Mission wurde aufgrund des tragischen Unglücks der „Space Shuttle Challenger“, bei dem am 28. Januar 1986 sieben Astronauten ihr Leben verloren, ins Jahr 1990 verschoben. Als das Teleskop im Jahr 1990 dann seine ersten Aufnahmen zur Erde schickte, waren diese enttäuschend schlecht bis unbrauchbar. Grund dafür war eine Fehleinstellung im Spiegel des Teleskops, die erst 1993 dank der gewagten Aktion zweier Astronauten im gravitationsfreien Raum korrigiert werden konnte. Seither teilt Hubble seinen Blick ins Universum mit uns Menschen. Seine Aufnahmen von Sternengeburten, schwarzen Löchern und gigantischen, lichtdurchströmten bunt schillernden Nebelfeldern sind aufregend und berauschend schön. Und sie sind inzwischen weltbekannt.

Im Jahr 1986, als „Einsteins Tränen“ entstand – seinen Titel erhielt das Bild übrigens erst viel später – hatte also noch kein Teleskop und auch kein Mensch einen derartigen Blick ins Universum werfen können. OUBEY malte hier nichts was er je zuvor mit seinen Augen hätte sehen können. Er machte für die Außenwelt sichtbar, was sich in seinem Innersten herangebildet hatte aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit Astronomie, Astrophysik, Kosmologie und Elementarteilchenphysik. Aus der Verarbeitung unzähliger Zahlen, Daten und Fakten über das Universum generierte sein Gehirn ein Bild von den Anfängen dieses Universums wie es vor ca. 13 Milliarden Jahren ausgesehen haben musste.

Ein solcher Vorgang ist, wenn man so will, die Umkehrung dessen, was üblicherweise unter „Sehen“ verstanden wird. Denn wenn wir davon sprechen, dass wir etwas sehen, dann meinen wir damit üblicherweise die Wahrnehmung von etwas Sichtbarem, das sich in der Reichweite unseres Auges befindet. Mit Hilfe von Sehkraftverstärkern wie Lupen, Fernrohren und Teleskopen können wir sogar Kleinstes und weit Entferntes sehen und erkennen. Der Weg, über den die mit Hilfe des Lichts von außen empfangenen Informationen unser Gehirn erreichen, führt durch unsere Augen. Sie sind die Außenstelle des menschlichen Gehirns wie jemand einmal sagte. Unsere Augen sammeln Informationen, die sie ans Gehirn weiterleiten, wo sie zu einem Bild werden. Für OUBEY verlief der Prozess, wie er es selbst einmal ausdrückte, eher umgekehrt: „Aus den Augen möchte ich sie an die Wand sprengen, meine Bilder.“

Mit anderen Worten brachte ein zehnjähriger Junge aus Uganda in der Begegnung mit einem ganz anderen Bild von OUBEY diese Qualität von OUBEYs Kunst zum Ausdruck, als er sagte: „He didn´t draw what he saw but what he thought.“

Aufgrund seiner versierten Kenntnisse in Physik, Astrophysik und Astronomie entstand in OUBEYs Kopf ein Bild von den Anfängen des Universums, das dem Bild wie es uns Hubble erst viele Jahre später geliefert hat, auf geradezu unglaubliche Weise ähnlich ist. Und er tat das gewissermaßen in einem geistigen Alleingang.

Was dabei entstand ist keine Visualisierung wissenschaftlicher Daten. Es ist künstlerischer Ausdruck der Verarbeitung wissenschaftlich gewonnener Daten und Fakten, verknüpft mit philosophischen Fragen im Gehirn eines Menschen, dem Philosophie und Wissenschaft gleichermaßen vertraut sind wie die Kunst. Und der dazu in der Lage ist, ein solches Bild, das in seinem Inneren entstanden ist, zu einem Kunstwerk werden zu lassen, das dem eigenen, extrem kritischen Urteil standhält. Ich bin mir sicher, dass OUBEY sich sehr gefreut hätte, die Begegnung seines Bildes mit Dr. Cecilia Scorza selbst miterleben zu können.

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