Thoughts & Insights

Wie klingt ein Bild?

Bilder sprechen ihre eigene Sprache. Obwohl sie scheinbar stumm sind, kommunizieren sie mit ihren Betrachtern, erzeugen in ihnen eine Resonanz. Und obwohl sie uns erst als Ergebnis eines künstlerischen Prozesses begegnen und deshalb statisch erscheinen, steckt der Prozess ihrer Entstehung in ihnen. Er klingt und schwingt in ihnen.

Dass OUBEYs Bilder eine universale Sprache sprechen, wusste ich schon immer. Seit sie auf ihrer Reise um die Welt fünf Jahre lang Menschen unterschiedlichster Kulturen auf vier Kontinenten begegnet sind, wurde diese universale Qualität seiner Bilder offensichtlich. Wer sich davon einen Eindruck verschaffen möchte, dem sei der Dokumentarfilm OUBEY- An Element of the Universal empfohlen.

Schon immer waren manche von OUBEYs Bildern für mich aber auch Klangbilder. Bilder, die nicht nur eine universale Bildsprache sprechen, sondern aus denen auch die wohl universalste aller Sprachen in diesem Universum erklingt: die Musik. Manche meinen, die Mathematik sei die Sprache des Universums. Das mag so sein. Doch im Unterschied zur Mathematik, deren künstlerischer Ausdruck die Musik ist, verstehen nicht alle Menschen auf diesem Planeten die Mathematik. Doch alle Menschen auf diesem Planeten verstehen die Musik. Möglicherweise ist Musik eine Sprache, die sogar außerirdische Intelligenz versteht.

Allein deshalb war ich schon früh von der Idee begeistert, neben den sprachlich geäußerten Resonanzen auf OUBEYs Bilder, die in den Encounter Videos filmisch festgehalten wurden, irgendwann auch musikalische Resonanzen zu sammeln. Durch musikalische Resonanzen ließe sich möglicherweise eine ganz andere, nonverbale Ebene der Erschließung seiner Bilder eröffnen in einer universalen Sprache, die der ureigenen universalen Sprache der Bilder selbst vielleicht noch näher kommt als die menschliche Sprache. Der Kosmos als Bezugspunkt und Bezugsgröße von OUBEYs Kunst könnte in einer musikalischen Resonanz eine Ausdrucksform finden wie es sie so bisher nicht gegeben hat.

Um eine solche Idee verwirklichen zu können, braucht es wahrhaft interdisziplinäres Denken und Können. Doch obwohl wir bereits im 21. Jahrhundert leben, gibt es allerdings noch immer spürbare Grenzen zwischen den Disziplinen. Zwar hat die Zahl interdisziplinärer Kunst- und Forschungsprojekte in den letzten zwanzig Jahren erfreulicherweise deutlich zugenommen. Doch in der Alltagswelt sind diese Grenzüberschreitungen bisher nur sporadisch wahrzunehmen. Da sich das MINDKISS Projekt aber vor allem an Menschen richtet, die sich eher nicht in den Welten des etablierten Kunst- oder Wissenschaftsbetriebs bewegen, finde ich den Gedanken der musikalischen Resonanz auf OUBEYs Bilder gerade deshalb auch interessant und wichtig. Denn er ist ein interdisziplinärer, grenzüberschreitender Gedanke von besonderer Qualität und potenzieller Wirkkraft.

Wo und wie aber findet man MusikerInnen, die nicht nur die Lust, sondern auch die Fähigkeit haben, auf ihre Weise eine Resonanz auf ein Gemälde zu erschaffen, die qualitativ dem gerecht wird, was in den Encounters früherer Jahre bereits verbal als Niveau gesetzt wurde? Die bereit sind, sich auf ein solches Experiment einzulassen? Für mich war es einmal mehr das Beginnen von etwas Neuem ohne Gewissheit, was am Ende sein würde: Grandioses Scheitern oder grandioses Gelingen. Eine Idee eben, kein Plan.

Es gehört zu den vielen fast unglaublichen, aber dennoch wahren Geschichten dieses Projekts, wie mich am Ende meiner dreijährigen Projektpause ein Zufall im Jahr 2019 mit der Komponistin, Musikerin und Sängerin Natalia Kiés in New York zusammen brachte. Damals gab sie mir spontan und exklusiv eine Kostprobe ihres Könnens und ich war sofort von ihrer Musikalität wie auch von der Poesie ihrer Texte beeindruckt. Ich erzählte ihr von meiner Idee musikalischer Resonanzen und  fragte sie, ob Sie sich vorstellen könnte, eine Resonanz zu OUBEYs größtem Werk GENESIS zu schaffen. Da kannte sie das Bild noch gar nicht. Nachdem sie es dann kennenlernte, konnte sie es sich vorstellen.

Nun, drei Jahre später, gibt es ihren wunderbaren Song „  Mówić przez sen , mit dem sie ihre persönliche Resonanz auf OUBEYs größtes Werk GENESIS zum Ausdruck bringt. Mit ihrer wunderbaren Stimme verleiht sie der ohnehin faszinierenden Performance die Aura eines zauberhaften Traums. Der überwältigenden Größe und existenziellen Tiefe dieses Bilds begegnet sie mit einer scheinbaren Leichtigkeit, die jedoch alles andere als oberflächlich ist, sondern die tiefgründigen Fragen unserer Existenz in das wunderbare Erlebnis eines Traums kleidet.

Dass in Zusammenarbeit mit unserem langjährigen Projektpartner Christoph Harrer dann auch noch ein Video gelungen ist, in dem einige Figuren aus OUBEYs GENESIS zu Natalias Musik ein bewegtes Eigenleben entwickeln, kann ich nur als Glücksfall bezeichnen. Was er hier visuell in Szene gesetzt hat, ist ebenso wunderbar und zauberhaft wie der Traum, von dem Natalias Song erzählt.

Seit einigen Tagen bin ich nun erstmals mit einem weiteren Musiker intensiv im Gespräch, den ich bereits vor mehr als einem Jahr zum ersten Mal kontaktiert habe. Er hat inzwischen Ideen entwickelt und ich kann sagen, dass ich all seine Ideen sehr interessant und spannend finde. Könnte also sein, dass wir noch einen zweiten musikalischen Encounter erleben werden. Und wenn uns das Glück oder der Zufall auch weiterhin mal mit dem bzw. der einen oder anderen „Richtigen“ zusammenbringt, könnten es von mir aus gerne auch noch ein paar mehr werden. Ich bin gespannt.

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