Beispiele für die Gegenthese gab es schließlich zu allen Zeiten bis zum heutigen Tag mehr als genug.

OUBEY war bereits in jungen Jahren auf die Monadologie gestoßen und von der ihr zugrunde liegenden Metaphysik des Wilhelm Gottfried Leibniz fasziniert. Als Philosoph, Mathematiker, Physiker, Metaphysiker, Vordenker dessen was wir heute Computer nennen und einigem mehr gilt er vielen bis heute als letztes wirkliches Universalgenie.

Nicht dem gefeierten Newton, sondern dem lange Zeit verkannten Leibniz und dessen Monadologie widmete OUBEY deshalb eins seiner frühen Bilder und nannte es „Die Reise der Monaden“.

Dieses Bild begegnete und begeisterte in den vergangenen vier Monaten als Teil der „Art of Resonance Show“ im Mind Museum Manila so vielen Menschen wie nie zuvor. Das allein wäre Grund genug, die Monadologie von Leibniz noch einmal genauer zu studieren.

Dann las ich kürzlich einen Kommentar, der die These von der besten aller möglichen Welten zitierte, um sie ad absurdum zu führen angesichts der Abgründe, in die Menschen und Völker auch im 21. Jahrhundert stürzen als sei Geschichte nichts, woraus man etwas für die Zukunft lernen könnte, und mit dieser Begründung die Idee eines göttlichen Ursprungs dieser Welt gleich mit in Frage zu stellen.

Ich fühle mich keineswegs berufen, an dieser Stelle über die Existenz eines Gottes zu philosophieren. Doch so viel sei angemerkt, dass es auffällig ist, wie leicht uns die Unzulänglichkeit oder auch Nicht-Existenz eines Gottes in den Sinn kommt, wenn uns Schlimmes widerfährt – sei es individuell oder kollektiv, verursacht durch Naturgewalt oder durch die brutale Gewalt, die Menschen und ganze Völker anderen Menschen und anderen Völkern antun wie wir es auch in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts direkt oder indirekt erleben. Und dies ganz besonders dann, wenn selbst die barbarischsten Grausamkeiten ausgerechnet im Namen eines Gottes verübt werden.

Was OUBEY an der Leibniz´schen Monadologie faszinierte war weniger dessen damit verknüpfte Theodizee, sondern das ihr innewohnende Verständnis von der Freiheit, Einzigartigkeit und Unteilbarkeit einer jeden Monade, das heißt einer jeden Seele in diesem Universum. Kühn und selbst vielen heutigen Denkern immer noch weit voraus, gehörte für Leibniz nicht nur die eigene Spezies Mensch, sondern alles was im Universum existiert zu den beseelten Wesen.

Wobei der Mensch – so jedenfalls der bisherige Stand der Erkenntnis – als einzige Spezies auf diesem Planeten mit einem freien Willen ausgestattet ist, der über angeborenes Instinkt- und Gattungsverhalten hinausgeht und Entscheidungen ermöglicht wie sie kein anderes Wesen treffen kann. Und das, wenn es die Situation erfordert, auch entgegen eigener Instinkte und Triebe. Entscheidungen wie die, ob man einem anderen Menschen aus welchen Gründen auch immer zu schaden bereit ist, ob man einen oder gar viele Menschen zu töten bereit ist, oder ob man auf einen eigenen Vorteil zugunsten eines anderen Lebewesens zu verzichten in der Lage ist – nur einige wenige Beispiele für Entscheidungen des Willens.

Diese Welt ist nach Leibniz nicht deshalb die beste aller möglichen Welten, weil sie perfekt, das heißt vollkommen und in jeder Hinsicht fehlerfrei ist. Sondern weil sie den Menschen als einziges Gattungswesen auf dieser Welt mit einem freien Willen ausgestattet hat. Eine perfekte Welt und ein freier Wille ihrer Bewohner, sich für die eine oder andere Verhaltensweise zu entscheiden – das schließt sich aus. Auch über die Frage wie frei der menschliche Wille denn wirklich sei, wurde seit Zeiten gestritten.

Stellen wir uns einfach mal das Gegenteil vor: eine wirklich perfekte Welt. Wohl nicht erst seit Thomas Morus im Jahr 1516 sein philosophisches Traktat mit dem Titel „Utopia“ veröffentlichte, haben Menschen von einer perfekten Welt geträumt, einem Paradies auf Erden. Wie klug die Leibniz´sche Sicht auf Welt und Mensch war, erkennt man an den V ersuchen, derartige Utopien zu verwirklichen. Sowohl in Form kleiner, sektiererischer Gemeinschaften als auch in Form großer gesellschaftlicher Verwirklichungsversuche endeten alle mit einer größtmöglichen Unfreiheit des Einzelnen. Dass diese Systeme immer wieder von einzelnen verlassen oder im gesellschaftlichen Kollektiv überwunden werden, ist ein sehr beweisstarkes Zeugnis von der Kraft und Macht des freien Willens.

Für Leibniz gibt es keinen perfekten, idealen oder gar paradiesischen Urzustand dieser Welt und es gab ihn auch nie. Ganz im Unterschied zum Glauben daran, dass eine menschliche Sünde zum Grund für die Vertreibung aus solch einem einstigen Paradies wurde – quasi als Strafe – und dass seither jeder Mensch mit einer „Erbsünde“ geboren wird. Da gefällt mir die Idee eines Universums, das zugunsten der Freiheit menschliche Fehler und selbst Katastrophen und Verbrechen in Kauf nimmt, eindeutig besser. Beweisbar ist ohnehin weder das eine noch das andere.

Freiheit schafft Raum für Mögliches, fürs Überschreiten von Grenzen – im Denken wie im Tun, im Positiven wie im Negativen. Freiheit bedeutet aber immer auch Verantwortung. Jeder entscheidet jeden Tag, wie er seine Freiheit nutzt, um diese Welt einen besseren Ort werden zu lassen oder auch nicht, und trägt dafür die Verantwortung. Sei es im Kleinen, sei es im Großen.

In der „besten aller möglichen Welten“ ist die Freiheit eine Bedingung. Vermutlich war dies einer der Gründe, weshalb ein unbändiger Freigeist wie OUBEY dieser Idee von Leibniz ein Bild widmete. Und vielleicht lebt dieser Geist der Freiheit in diesem Bild so stark, dass es bis heute nahezu jeden Menschen, der es sieht, unmittelbar in seinen Bann zieht.

Nachdem er sich zu der Aktion bekennt, berichten die einschlägigen Feuilletons darüber, fragen nach deren Sinn und der Bedeutung der Bildmotive. Manche wundern sich darüber, dass er mit dieser Aktion ganz offensichtlich Partei für die Ukraine ergreift.

Mich wundert, dass man sich darüber so wundern kann.

Sympathie

Banksy war mir als intelligenter Spielverderber des kommerziellen Kunst- und Kulturbetriebs vom ersten Moment an sympathisch. Und seine Fähigkeit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit einer wirkungsvollen Aktion aufzutauchen und dabei meist auch noch komplexe Fragen und Themen visuell so zu bearbeiten, dass sie für jeden verständlich sind, beeindruckt mich immer wieder.

Er hat es geschafft, fernab des etablierten Kunstbetriebs mit seiner Straßenkunst die Menschen dort zu erreichen, wo sie leben und sich bewegen. Die enorme Geschwindigkeit, mit der sie sich dann viral in den sozialen Netzwerken verbreiten, zeigt ihre Wirkungskraft. So verbindet sich meine Sympathie mit ebenso großem Respekt.

Krieg

Die Filme und Fotos von den Gräueltaten der russischen Armee in Bucha und Irpin gingen im April um die Welt. Genau dort, in Irpin, und auch in den Ortschaften Borodjanka und Horenka hinterließ Banksy nun seine Spuren auf den zerstörten Mauern eines Kindergartens und den Wänden zerbombter Wohnhäuser. Wer diese künstlerischen Spuren sieht, sieht unweigerlich auch die Spuren der schrecklichen Verwüstung in diesen und unzähligen anderen Städten und Ortschaften der Ukraine. Banksy macht den Krieg schon allein dadurch zum Thema, dass er diese Bilder an die Orte bringt, wo sie sich im Lebensalltag der Menschen untrennbar mit den Spuren des brutalen Krieges verbinden, den Russland seit nunmehr neun Monaten gegen die Ukraine führt.

Resonanz

Was wohl die Menschen in Irpin, Borodjanka und Horenka zu diesen Spuren sagen, die Banksy Ihnen auf den Mauern ihrer zerstörten Häuser hinterlassen hat?

Die Resonanz auf Kunst oder eine künstlerische oder auch nichtkünstlerische Aktion ist mindestens ebenso interessant wie das Kunstwerk oder die Aktion selbst und letztlich das, was sie lebendig macht und am Leben hält. Der Spur dieses Gedankens folge ich selbst seit vielen Jahren. Auch das verbindet mich mit Banksy.

Die ersten Resonanzen im Internet zeigten nicht nur Banksy´s Bilder, sondern immer wieder auch Menschen, die sich vor den Bildern fotografieren ließen oder Selfies machten. Später stellte Banksy selbst ein Video mit Aufnahmen von seiner Aktion ins Netz. In amerikanischen und deutschen Fernsehberichten waren auch Kommentare von Menschen vor Ort zu hören, von denen einige sogar aus anderen Städten angereist waren, um die Wandbilder mit eigenen Augen zu sehen. Sie alle sprechen von Wertschätzung und Dankbarkeit dafür, dass einer wie Banksy den Mut hat, zu ihnen ins Kriegsgebiet der Ukraine zu kommen, um seine Solidarität und Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen. Manche äußern die Hoffnung, dass die Aktion eine neue Art der Aufmerksamkeit für den existenziellen Verteidigungskampf der Ukraine erzeugt. Andere sind einfach nur erstaunt über das, was sie sehen.

Kunst 

Die Motive der Wandbilder sind befremdlich und berührend zugleich. Die Orte, an denen sie zu finden sind, wurden mit Bedacht ausgewählt. Manche bringen auf jeweils sehr eigene Weise die Vision eines unbeschwerten Lebens in die zerstörte Umgebung. Andere halten einen Moment existenziellen Schreckens im Alltag fest. Und eines scheint ausdrücklich Hoffnung machen zu wollen.

Da gibt es zum Beispiel eine Ballerina, die, mit Leichtigkeit auf der Spitze tanzend, ein Stoffband über dem Kopf schwingt als wäre sie auf einer Bühne; eine Frau, die im Morgenmantel mit Lockenwicklern im Haar, Gasmaske vorm Gesicht und Feuerlöscher in der Hand auf einem einsam an der Hauswand zurückgelassenen realen Stuhl „steht“; in den Resten eines zur Außenwand gewordenen gekachelten Badezimmers liegt ein Mann in seiner Badewanne und braust sich ab; auf einer realen Panzersperre an einer Straßenkreuzung wippen zwei Kinder; aus einem gepanzerten Fahrzeug ragt ein überdimensionaler Phallus empor; auf dem Einschlagloch eines Hauses vollführt eine Akrobatin einen Handstand; auf den Mauerresten eines zerstörten Kindergartens legt ein kleiner Junge im weißen Kampfanzug einen großen, starken Mann aufs Kreuz.

Besonders über dieses Bild des kleinen Jungen, der einen großen starken Mann aufs Kreuz legt, wird vor Ort und auch in den Medien spekuliert: Der Junge könnte die Ukraine symbolisieren, die Putin besiegt. So sieht es auch eine Ukrainerin in einem der Videos. Meine spontane Assoziation kam dieser Idee sehr nah. Sie weckte in mir die Erinnerung an die Geschichte von Davids Kampf gegen Goliath.

Eine biblische Geschichte

Wer kennt sie nicht, diese biblische Geschichte aus dem Alten Testament? Ein Hirtenjunge namens David besiegt einen Riesen namens Goliath. Das Alte Testament ist voller Geschichten, die fantastisch klingen – von den sieben Plagen, mit denen Gott die Ägypter straft, bis hin zum Roten Meer, das sich wundersam für die aus Ägypten fliehenden Israeliten teilt, um deren Verfolger dann anschließend unter sich zu begraben. Doch keine dieser Geschichten erschien mir, als ich sie in meiner Kindheit zum ersten Mal hörte, so realistisch wie die von David und Goliath.

Das lag nicht an der Erklärung für den Sieg des kleinen David gegen den übermächtigen Goliath, die Samuel uns liefert. Er schreibt, dass dies so geschehen musste, weil David von Gott auserwählt war, nächster König der Israeliten zu werden. Durch seine Heldentat gegen den feindlichen Philister vollzog sich das Wort Gottes und David wurde zu Israels legendärem König David. Eins der nobelsten Traditionshotels in Jerusalem trägt heute seinen Namen.

Weshalb David siegt

Was mich an dieser Geschichte dagegen so begeisterte, war die Vorstellung, dass David es aus eigener Kraft durch großen Mut, die intelligente Nutzung seiner Fähigkeiten und die Erkenntnis der größten Schwachstelle seines Gegners, der zwar riesengroß, schwer gepanzert und bewaffnet, damit aber auch schwer beweglich war, geschafft hat, diese monströse Kampfmaschine namens Goliath zu besiegen.

Denn als jüngster Sohn hütete David die Herde seiner Familie und verteidigte sie täglich gegen die räuberischen Angriffe wilder Tiere, die er durch den geschickten Einsatz seiner Steinschleuder in die Flucht schlug oder tötete.

Der Stein, den er gekonnt und mit großer Wucht gezielt gegen die Stirn seines scheinbar übermächtigen Gegners schleuderte, traf den dort so tief und hart, dass der kopfüber stürzte und mit seinem kolossalen Körper bewusstlos im Sand liegen blieb. Dass David ihm danach auch noch den Kopf abschlug und damit die ganze Heerschar der Philister in die Flucht schlug, die bis dahin siegesgewiss grölend den „Schwächling“ verhöhnt hatten, war mir nicht mehr in Erinnerung, als ich Banksy´s Spraybild anschaute. Das wurde mir erst wieder bewusst, als ich dieser biblischen Geschichte noch einmal etwas tiefer auf den Grund gegangen bin. Die Erzählungen des Alten Testaments sind nicht nur fantastisch, sondern gelegentlich durchaus auch von unverblümter Grausamkeit.

Sinnbild und Vorbild

Die Geschichte von David und Goliath jedenfalls steht seit Jahrtausenden als Sinn- und Vorbild dafür, dass schiere Größe nicht gleichbedeutend sein muss mit unbesiegbarer Kraft oder Macht. Dass ein einzelner Mensch, wenn er sich nicht von der scheinbaren Größe des Gegners einschüchtern lässt, sondern sich seiner eigenen Stärken besinnt und der Übermacht beherzt entgegentritt, das Blatt der Geschichte wenden kann. Insofern ist sie mehr als die Geschichte über einen göttlich Auserwählten. Sie ist eine ermutigende Geschichte, die bis ins 21. Jahrhundert hinein nichts an ihrer vorbildlichen Wirkungskraft verloren hat.

Da liegt der Vergleich zum mutigen Verteidigungskampf der Ukraine gegen die scheinbar unbesiegbare Übermacht der russischen Armee nahe. Und er wird von Banksy durch den Kontext, in den er das Bild stellt, auch durchaus nahegelegt – es befindet sich auf den Mauerresten eines zerstörten Kindergartens.

Keine biblische Geschichte

Doch es geht hier nicht um eine biblische Geschichte. Die Ukraine ist kein einzelner Mensch, sondern ein Land, eine Nation. Sie ist zwar klein im Vergleich zu dem riesigen Russland, das sie angreift mit dem einzigen Ziel, ihre Existenz auszulöschen. Aber sie kämpft nicht allein, sondern hat starke Partner an ihrer Seite, die sie in vielfältiger Weise unterstützen. Dennoch ist dieser Kampf schwer, dauert lange und fordert viele Opfer.

Eins aber hat die Ukraine für mich mit dem kleinen David aus dem Alten Testament gemeinsam: Sie hat als Gemeinschaft die beherzte Entschlossenheit, ihr Land und ihre Freiheit zu verteidigen und diesen Kampf zu gewinnen. Sie lässt sich nicht einschüchtern und sie gibt nicht auf.

Was bleibt

Banksy´s Bilder ändern nichts an der existenziellen Bedrohung, in der die Menschen in den von ihm besuchten Städten und der ganzen Ukraine seit nunmehr neun Monaten leben und gegen die sie sich mit großem Mut, ebenso großer Menschlichkeit und bewundernswerter Unbeugsamkeit verteidigen.

Doch nun sind sie da, diese Bilder. Unerwartet aufgetaucht wie aus dem Nichts, haben sie die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für ein paar Tage wieder verstärkt auf das gelenkt, was die Menschen in der Ukraine Tag für Tag erleben und erleiden, und woran sich ein Teil dieser Weltöffentlichkeit inzwischen bereits gewöhnt zu haben scheint.

Für die Menschen in der Ukraine, insbesondere in  Irpin, Borodjanka und Horenka werden diese Bilder vermutlich auch nach dem Krieg eine bleibende Erinnerung daran sein, dass einer wie Banksy einmal zu denen gehörte, die an ihrer Seite standen – Standing with Ukraine.

 

 

 

 

Dieser einseitigen Sicht möchte ich heute etwas entgegensetzen. Statistisch betrachtet verbringt der Mensch ein Viertel bis ein Drittel seiner Lebenszeit im Schlaf. Das hat die Natur so eingerichtet. Wer glaubt, diese Zeit sei „verlorene Zeit“, der irrt sich. Ich halte es für kein Gütesiegel eines produktiven Menschen, dass er so lange wie möglich wach bleibt und so wenig wie möglich schläft. 

Schlaf als notwendiges Übel

„Ich brauche nur vier Stunden Schlaf!“, hörte ich einmal den Vorstandsvorsitzenden eines großen Unternehmens in einer Gesprächsrunde mit jungen Nachwuchsmanagern mit stolzer Selbstverständlichkeit von sich sagen. Die implizite Botschaft dazu lautete „Erstens: Ich bin so wichtig und damit eine derart wertvolle Ressource, dass ich zwanzig Stunden am Tag arbeite und mir das Schlafen nahezu abgewöhnt habe. Und zweitens: Wenn Sie nach oben kommen und genauso wichtig werden wollen wie ich, dann gewöhnen auch Sie sich das Ausschlafen am besten möglichst bald ab.“ 

Die Kunst und der Schlaf

Im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart startete im Oktober eine Ausstellung mit Werken von 40 Künstlern zum Thema Schlaf. Der Titel der Ausstellung lautet „Sleeping with a Vengeance, Dreaming of a Life“ (Mit Tiefenwirkung schlafen, von einem Leben träumen). Die Kuratorin Ruth Noack weist darauf hin, dass dem Schlaf in unserer Gesellschaft nur das notwendige Minimum als Platz eingeräumt wird. 

Ich finde es gut, dass hier auch einmal auf künstlerische Weise der Blick auf diesen wichtigen Aspekt menschlichen Lebens gerichtet wird. Denn der Mensch ist mehr als eine Ressource, die an ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und Verwertbarkeit zu messen ist. Schlaf ist dementsprechend kein notwendiges Übel, wie es den Anschein hat, wenn er auf die rein ökonomische Funktion reduziert wird.

Es geht um Rhythmus und Balance

Alles was lebt, muss schlafen. Jede Pflanze, jedes Tier und jeder Mensch. Das ist ein Naturgesetz. Manche von ihnen sind nachtaktive Wesen. Sie schlafen dann am Tag. Aber auch sie schlafen irgendwann. Die gesundheitlichen Probleme, die durch dauerhafte Arbeit in Wechselschicht entstehen können, zeigen, wie viel Kraft es kosten kann, den Schlaf an ökonomische Gesetzmäßigkeiten anzupassen. Und Schlafentzug ist nicht umsonst eine besonders perfide Foltermethode im breiten Arsenal menschlicher Schlechtigkeit, zumal ihre dramatischen  Folgen keine offen erkennbaren Spuren hinterlassen. 

Unser Geist, unser Bewusstsein, unsere Kreativität und Schaffenskraft sind auf den Schlaf angewiesen, auf das Sortieren und Verknüpfen von Erlebtem. Auf die Möglichkeit des Träumens. Das Ausruhen ist wertvoll – zu welcher Tages- oder Nachtzeit auch immer es stattfindet. Der Mensch hat sich durch künstliches Licht und geheizte Räume die Möglichkeit geschaffen, sich von den Jahreszeiten und dem natürlichen Tag- und Nacht-Rhythmus zu verabschieden. Er kann die Nacht zum Tag zu machen, wenn er will und hat damit grundsätzlich die Freiheit, seinen eigenen individuellen Rhythmus zu leben – soweit ihm sein privates oder berufliches Umfeld dies erlaubt. Wer in einer Organisation tätig ist, in der es um Zusammenarbeit geht, wird nicht umhin kommen, tagsüber wach und aktiv zu sein und seinen Rhythmus darauf einstellen. Wer ein Baby oder Kleinkind großzieht, wird zumindest für einige Zeit auf geregelten Nachtschlaf verzichten müssen.

Den eigenen Rhythmus leben zu können, ist eine Form der Freiheit

OUBEY hat vor allem und am liebsten nachts gearbeitet, ungestört vom Trubel der geschäftigen Außenwelt des Tages. Es war ein Moment seiner Freiheit und zugleich eine wichtige Grundlage für seine Schaffenskraft, dass er den eigenen, für ihn guten  Rhythmus finden und leben konnte. Vielen Schriftstellern, Malern und Musikern geht es ganz ähnlich. Der Welt, die sich im „normalen“ Rhythmus der Mehrheit befindet – und das nicht immer freiwillig – ist diese Arbeits- und Lebensweise vielleicht suspekt.

Für mich aber war es immer selbstverständlich, OUBEYs Rhythmus zu respektieren – auch wenn mein eigener aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit seinerzeit ein ganz anderer war. Genauso respektiere ich den Rhythmus in der Lebens- und Arbeitsweise eines jeden anderen Menschen..

So seltsam es vielleicht auch klingen mag: Das Schlafen ist für mich ein Element und Zustand nicht nur der Erholung, sondern auch der Freiheit und in gewisser Weise sogar des Glücks. 

Deshalb: Genießen Sie Ihren Schlaf!

Kunst und Kultur werden in der Moderne vor allem als Ausdruck der individuellen Gedanken und Inspirationen einzelner Künstler verstanden. Sie waren und sind aber noch immer zugleich auch Ausdruck des Weltverständnisses und Wertesystems einer Gesellschaft. Die Kultur der nordamerikanischen Indianer war  – wie die Kultur in den meisten vorindustriellen Gesellschaften außerhalb Europas – geprägt von einer sehr engen Verbundenheit und einem tiefen Respekt vor der Natur. 

Am Anfang war Winnetou …

Als ich zehn war, las ich einen Roman von Karl May nach dem anderen. Darin begegnete mir weniger die ursprüngliche indianische Kultur oder – wenn doch – dann eher in den Klischeevorstellungen eines belesenen und fantasiebegabten Deutschen, der selbst niemals in Amerika gewesen war. Doch was mir in den Geschichten immer authentisch schien und mein Verhältnis zur indianischen Kultur Nordamerikas sehr früh beeinflusst hat, war die von Karl May beschriebene ignorante und skrupellos brutale Vorgehensweise der weißen Einwanderer bei der Durchsetzung ihrer Interessen in der „Neuen Welt“: Macht, Land, Gold und später dann auch Öl.

So fragte ich mich mit zehn Jahren zum ersten Mal, was aus den Ureinwohnern Nordamerikas inzwischen geworden ist, wo und wo sie leben, welche Rolle sie in der amerikanischen Gesellschaft spielen und was von ihrer Kultur übrig geblieben sein mag. Im Laufe der Jahre erfuhr ich immer mehr über dieses dunkle Kapitel der amerikanischen Geschichte, das im innersten Kern ja auch ein Stück europäischer Geschichte in sich trägt, denn die Eroberer waren Europäer, wie man weiß. Ich erfuhr vom Untergang vieler Stämme und ihrer Kultur, aber auch vom Überleben indianischer Tradition und Weisheit in den Reservaten bis zum heutigen Tag.

Eine zum Glück nicht ganz untergegangene Kultur

Dass es nun im Jahr 2019 eine Ausstellung über die Kunst der Indianer im wohl renommiertesten Kunstmuseum der USA gibt, ist aus meiner Sicht ein erster, seit Jahrzehnten längst überfälliger Schritt hin zu historischer (Selbst)Erkenntnis. Dass sie – wie von indianischer Seite wohl zurecht kritisiert wird – von einem weißen Kurator ohne Einbeziehung indianischer Vertreter konzipiert wurde, zeigt, dass der lebensalltägliche praktisch wirksame Respekt vor dieser Kultur noch immer nicht dort angekommen ist, wo er hingehört. Wie die Ausstellung wohl ausgesehen hätte, wenn sie in einer Kooperation entstanden wäre?

Was sie zeigt, ist dennoch sehenswert. Im „American Wing“ des Museums sind Werke der Native Americans in einer enormen Bandbreite ausgestellt – vom meisterhaften Handwerk der Alltagskunst bis hin zu rituellen Masken und Kultgegenständen. Die Schönheit und Sorgfalt, mit der alles, vor allem auch die Alltagsgegenstände, liebevoll und kunstfertig hergestellt wurden – Körbe, Köcher, Schuhe, Jacken, Kleider, Tragegestelle für Babys – ist eindrucksvoll und geht nah. Denn sie ist Ausdruck eines Verhältnisses nicht nur zur Natur, sondern auch zur Zeit und zum Leben, das uns in der zivilisierten hektischen Welt des 21. Jahrhunderts weitgehend abhanden gekommen ist. 

Die Ausstellungsstücke sprechen für sich. Zugleich empfand ich die erläuternden Texttafeln hier sehr aufschlussreich, denn sie brachten den Respekt vor der Resistenz und Resilienz der nordamerikanischen Indianer im Kampf um den Erhalt ihrer Lebensräume und ihrer Kultur an dieser Stelle explizit zum Ausdruck. Eine Kultur, die sich die Erde nicht untertan machen wollte, sondern sich selbst als Teil dieser Erde verstand. Der hemmungs- und besinnungsloser Raubbau fernlag. Das Abschießen von abertausenden von Büffeln zum puren Spaß war der Vorbote für den Untergang ihrer eigenen bisherigen Lebensweise. 

Es geht nicht um die „edlen Wilden“, sondern um uns selbst

So hatte ich, während auf dem UN Klimagipfel debattiert, wütend gestritten, und um Argumente und Geld gerungen wurde, das Klimathema auf ganz andere Weise anschaulich und positiv vor Augen – am Beispiel einer beinahe untergegangen Kultur, die dem Planeten Erde das entgegenbrachte, was er heute mehr denn je braucht: Wertschätzung und Respekt.

Insofern werte ich diese Ausstellung trotz der erwähnten Kritik als einen späten, aber dennoch guten Anfang, als Zeichen von Wahrnehmung und Wertschätzung. Vielleicht wird es in zehn oder zwanzig Jahren eine gemeinsam kuratierte Ausstellung im Hauptgebäude des „Metropolitan Museum of Art“ geben, die dann von einer sehr viel größeren Zahl an Menschen besucht und wahrgenommen wird? Ich würde sie mir auf jeden Fall sehr gerne anschauen. 

Um Missverständnissen zuvorzukommen: Natürlich sind auch die Indianer keine besseren Menschen gewesen. Das Idealbild des „edlen Wilden“ wie er von Karl May in der Figur des Winnetou erfunden wurde, möchte ich hier nicht bedienen. Aber in der Betrachtung ihrer Kunst und Kultur steckt aus meiner Sicht dennoch ein wertvoller Ansatz für unseren heutigen Umgang als Spezies mit dieser Erde, auf der und von der wir leben: das eigenverantwortliche, bewusste Handeln und Gestalten von Leben auf der Grundlage von Einsichten in die ursprünglichen Zusammenhänge unseres Daseins auf diesem Planeten.

Das so wichtige Klimathema, der Respekt vor unserer Erde und der Zukunft der kommenden Generationen, erfährt aus meiner Sicht in diesen Tagen endlich die Aufmerksamkeit, die ihm in den Industriegesellschaften seit mehr als einhundertfünfzig Jahren immer mehr verloren gegangen ist. Durch die schlichte Erkenntnis, dass wir nicht die Herren des Ökosystems sind, sondern einfach nur ein Teil desselben.

„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“ (Weisheit der Cree). Dieser ikonische Gedanke uramerikanischer Weisheit wird durch die Kunst der Native Americans positiv erlebbar. Respekt.

Einige Bilder aus dieser Ausstellung finden Sie hier:

Der Beitrag im Monopol Magazin basiert auf der ernüchternden Erfahrung des Autors Oliver Koerner von Gustorf auf der diesjährigen Biennale. Doch er bezieht sich im Grunde auf den gesamten kommerzialisierten Kunstbetrieb der heutigen Zeit. 

Dekadent und selbstbezogen

Er beschreibt und kritisiert das System, die ausgestellte Kunst wie auch die Kunstmacher, Manager und potentiellen Käufer. Nichtssagende Kunst, die so tut als sei sie bedeutsam, vor allem aber teuer verkauft werden will. Und wenn schon nicht verkaufbar, dann aber doch im Sinne erfolgreichen Marketings für den Künstler und seinen Galeristen wenigstens spektakulär und aufsehenerregend. Passend dazu die Gepflogenheiten und Attitüden der Akteure des etablierten Kunstbetriebs. 

Sie treffen sich aus Anlass mehr oder weniger bedeutender Events, tauschen Visitenkarten aus und fühlen sich wichtig. Die Biennale nur noch eine Bühne für pseudointellektuelle Selbstpräsentation. Die Kunstszene eine in sich geschlossene Gesellschaft.  Exklusiv zelebrierte Dekadenz.. 

Daran ist viel Wahres, doch wenig Neues. Denn seit mehr als dreißig Jahren ist diese Entwicklung bereits im Gange und für jedes kritische Auge, das sich nicht bezirzen und verführen lässt, auch klar erkennbar. Genau aus der Erkenntnis dieser Mechanismen heraus beschloss OUBEY im Jahr 1992 nach seiner ersten, sehr erfolgreichen Verkaufsausstellung, diesem System den Rücken zu kehren. Eine sehr gute Entscheidung.

Eine exklusive Aura

Das ganze System in seiner jetzigen Form ist interessant nur für seine Insider, d.h. für die, die an ihm und in ihm verdienen. Ich kann dem Verfasser des nur zustimmen, wenn er schreibt: „In der etablierten Kunstwelt gelten dieselben Regeln für die Menschen wie für die Ware Kunst. Sie müssen in irgendeiner Weise eine exklusive Aura haben, sonst funktioniert das System nicht.“ 

Genauso recht hat die Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr, wenn sie schreibt: „Moderne Kunst ist eben das, was das Kunstsystem als Kunst ausstellt. Was kein Label hat, nicht in irgendeiner Galerie steht, nicht Teil einer Ausstellung ist, keine Signatur eines anerkannten Künstlers hat, gilt nicht als Kunst.“

Interessant und in gewisser Weise paradox dabei ist, dass ein Magazin wie Monopol ja selbst Teil dieses Betriebs ist, den es da so heftig kritisiert. Deshalb die Frage: Gehört zu dieser Erkenntnis auch Selbsterkenntnis? Und wenn ja, welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Oder bleibt es bei der einstimmigen Kritik der Szene, und nachdem sich alle gegenseitig bestätigt haben, wie furchtbar dieser Kunstbetrieb doch ist, macht man dann so weiter wie bisher?

Banksy undercover

Ich vermute eher Letzteres. 

Der Kunstbetrieb macht genau das, was ihm wirtschaftlich nützt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch so ganz nebenbei entscheidet er darüber was wichtige, bedeutsame Kunst ist und was nicht. Was nicht teuer verkaufbar ist, ist uninteressant und damit unbedeutend. 

Ein solches System müsste sich ja selbst zerstören, um anzuerkennen, dass die lebendige Kunst schon längst außerhalb der „Heiligen Hallen“ des etablierten Kunstbetriebs stattfindet. Manchmal sogar direkt nebenan. So auch bei der diesjährigen Biennale. 

Denn Banksy, der größte Street-Art-Künstler unserer Zeit, ließ sich die Gelegenheit der Biennale für eine nächste Aktion nicht entgehen. Er baute an einem der Kanäle unerkannt einen eigenen Stand auf, und tatsächlich realisierte keiner der Kunstexperten, dass Banksy da war. Das sagt mehr als tausend Worte und offenbart die Blindheit für das, was sich an lebendiger Kunst außerhalb des Betriebs abspielt. Allzu gerne würde man sich ja auch noch diesen widerspenstigen Banksy einverleiben, der sich teuer verkaufen ließe, doch der lässt das – soweit er es beeinflussen kann – nicht zu. Er lässt sich seinen Erfolg nicht abkaufen. Am System vorbei und dabei dessen perfide Mechanismen zugleich intelligent nutzend, hat er auf eigenen Wegen Prominenz erlangt.

Es gibt viele, die ähnlich spannende Kunst machen oder gemacht haben wie Banksy. Sie sind nicht weltberühmt wie er. Darum geht es aber auch gar nicht. Es geht darum, dort wo Menschen leben, die Kunst mit ihrem Leben in Verbindung zu bringen, sie zu inspirieren, sie zum Denken oder Handeln anzuregen, oder ihnen auch einfach  nur Freude zu bereiten. Genau diese Freude an der Kunst sollte man sich durch nichts verderben lassen –schon gar nicht durch eine Biennale in Venedig. Finde ich. Und was meinen Sie?

Ein revolutionäres Unterfangen, das den Grundsatz „form follows function“ als Befreiungsformel von den Schönheitsmaßstäben einer bürgerlichen Gesellschaft verstand, die dem 19. Jahrhundert entstammte. Und die anstrebte, bessere Wohn- und Lebensverhältnisse für alle Menschen zu schaffen.

Gibt es ein Nonplusultra?

Innerhalb eines Jahrzehnts wurde ein neuer, moderner, klarer Stil entwickelt. Dabei wurden die eigenen Gestaltungsgrundsätze zum absoluten Maßstab und Nonplusultra für alles erklärt, was Design, Kunst, Handwerk und Architektur betraf und manche Anhänger des Bauhauses sehen das auch heute noch so.

Ich sehe das differenzierter. Ja, das Bauhaus war ein Fortschritt im Kontext der Zeit, weil es neue Denk- und Gestaltungsräume erschlossen hat. Und ja, das Bauhaus war wichtig, vielleicht sogar notwendig, um ein neues Verständnis von wesentlichen Aspekten und Dingen des Lebens zu gewinnen. 

Doch wenn ich mir anschaue, was sich in der Tradition des „Form Follows Function“ und unter Berufung auf die Prinzipien des Bauhauses in den letzten 60 Jahren an Stadt- und Wohngestaltung ausgebreitet hat, dann sehe ich hier eine gewaltige Diskrepanz zwischen diesem einst absoluten Anspruch und dem, was in der Realität daraus geworden ist .

Was folgte war Normierung und Standardisierung unter dem Maßstab der Ökonomisierung – quadratisch, praktisch, gut. Öde und gleichförmige Wohnlandschaften, die kein wirkliches Zusammenleben ermöglichen. Gigantische Silos, in denen Menschen an Stadträndern in aufgetürmten Schuhschachteln leben..

Zugegeben – im Vergleich zu primitiven Altbauwohnungen im Hinterhof ohne Zentralheizung und sanitäre Grundausstattung waren diese Bauten tatsächlich ein Fortschritt. Doch mit einem ästhetischen Anspruch auf gestalterische Schönheit, die der Funktion folgt, haben sie nichts gemeinsam. 

Die Schönheit der architektonischen Bauhaus-Ästhetik, die es aus meiner Sicht in den originalen Bauten wirklich gab und noch immer gibt, beschränkt sich heute auf einige, zum Teil luxuriöse Ausnahmebeispiele. In der massenhaften Anwendung hat sich das einstige Versprechen jedoch nicht bewahrheitet. Hier braucht es heute ganz andere, neue Konzepte, wie sie in lokalen und regionalen Projekten – ohne Absolutheitsanspruch – ja auch realisiert werden.

Gab es eigentlich auch Frauen im Bauhaus?

Doch nicht nur das, was in Fortsetzung der Grundgedanken des Bauhauses nach dem Zweiten Weltkrieg das Bild unserer Städte geprägt hat, gibt Anlass zur kritischen Hinterfragung.

Noch ein ganz anderer Aspekt bringt mich in eine distanzierte Haltung zum Absolutheitsanspruch des Bauhauses und seiner Gründer. Obwohl es sehr viele weibliche Mitglieder gab – phasenweise waren sogar mehr Frauen als Männer am Bauhaus tätig – sind sie bis heute weitestgehend unbekannt geblieben. Denn bis zu seiner Auflösung durch die Nationalsozialisten war das Bauhaus eine durch und durch männlich dominierte Organisation. 

Vor allem dem 100jährigen Jubiläum ist es zu verdanken, dass die Frage nach den Frauen im Bauhaus nun zum ersten Mal öffentlich beleuchtet wird. So auch in einem sehr interessanten Bericht über „Die Frauen im Bauhaus“,  der vor kurzem auf Arte TV ausgestrahlt wurde. Wenn man diesem sorgfältig recherchierten Bericht folgt, wurden selbst begabteste und ambitionierte Frauen bewusst von relevanten Leitungsfunktionen ausgeschlossen und auch von den öffentlichkeitswirksamen Aufgaben ferngehalten. Stattdessen wurden sie vorzugsweise den handwerklichen Bereichen, allen voran der Weberei zugeteilt. Umso interessanter zu erfahren, dass die Bauhaus-Frauen aus der ihnen verordneten Nische heraus mit ihren Teppichen, Möbeln und  Kinderspielzeug damals nicht nur gestalterisch, sondern auch ökonomisch ausgesprochen erfolgreich waren.

Was die Akzeptanz qualifizierter Frauen im Bauhaus als gleichwertige und gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe betrifft, waren dessen männliche Gründer und Protagonisten dann doch noch eher dem 19. Jahrhundert zugewandt als einer revolutionären Grenzüberschreitung in die Zukunft. 

Ein neues Konzept fürs 21. Jahrhundert?

Heute ist gemieteter Wohn- und Lebensraum vor allem zu einer Frage von Menge, Preis und Rendite geworden. Das Thema wurde politisch lange vernachlässigt, wenn nicht gar ignoriert. Nun fehlt es akut und massiv an bezahlbarem Wohnraum. Da tauchen plötzlich Enteignungsfantasien auf, doch Gestaltungsfragen wie sie einst vom Bauhaus gestellt wurden, spielen schon seit langem keine Rolle in der öffentlichen Diskussion. Das halte ich für einen großen Mangel. Deshalb würde ich mir – trotz aller Widersprüche, die dem Bauhauskonzept innewohnten – dann heute doch eine so radikal umdenkende und zukunftsorientierte Kraft wünschen wie sie das Bauhaus mit seinen Impulsen vor 100 Jahren für die damalige Gesellschaft war. 

Eigentlich ein unbedeutender Austausch, der mich dann aber doch ins Nachdenken darüber brachte, wie unterschiedlich Menschen ihre Lebenssituation empfinden und bewerten. Und wie manchmal gerade diejenigen, denen es richtig gut geht, am lautesten jammern über die Ungerechtigkeiten dieser Welt, während andere, die tatsächlich kein einfaches Leben haben, dennoch eine innere Zufriedenheit ausstrahlen.

Jammern tut gut – wirklich?

Vielleicht denken Sie jetzt, dass es manchmal hilft, wenn man über seine Gedanken und Gefühle mit einem anderen Menschen sprechen kann, und dass es gut tut, wenn man jemanden hat, der zuhört. Da stimme ich Ihnen zu. Doch das nenne ich nicht Jammern. 

Echtes Jammern ist wie eine gedankliche Endlosschleife. Es dreht sich im Kreis und findet kein wirkliches Ende, denn es hat nicht gar das Ziel ein Ende zu finden. Es ist Ausdruck einer seltsamen Lust am unzufrieden Sein oder – anders herum betrachtet – am Nichtzufriedensein wollen. Es ist nie genug und nie gut genug. 

Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen in den Wohlstandsgesellschaften im Schnitt deutlich unzufriedener mit ihren Lebensverhältnissen sind als Menschen in ärmeren Ländern. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich möchte hier nicht den Zustand der Armut romantisieren. Es geht mir um das „Jammern auf hohem Niveau“, wie Lothar Späth es einmal zurecht genannt hat.

Wenn ich alles schlecht rede und dauernd an das denke, was andere haben, ich aber nicht habe, dann geht es mir letztlich irgendwann auch schlecht – nicht materiell, aber geistig. Denn diese Lebenseinstellung verbreitet negative Energie, macht krank und ändert nichts an der Situation, führt nicht zu einer positiven Entwicklung oder Lösung. Jammern hilft nicht. Das Einzige, was hilft, ist  es zu ändern – und seien die ersten Schritte auch noch so klein.

Die gefährliche Frage nach dem „Warum“

Und wenn man eine Situation nicht ändern kann? Wenn eine Naturkatastrophe die Lebensgrundlage zerstört oder der unerwartet plötzliche Tod eines geliebten Menschen die Welt ins Wanken bringt? Natürlich kann ich verstehen, wenn Menschen in einer solchen Situation auch jammern, weil sie erkennen, dass sie dieses „Schicksal“ nicht ändern können. Den Schmerz, die Trauer und auch die Wut über die eigene Ohnmacht in einer solchen Situation kenne ich aus eigener Erfahrung nur zu gut. 

Und doch habe ich die eine Frage, die mich ins Jammern hätte führen können, nie gestellt und das ist die Frage nach dem „Warum“. Warum musste OUBEY so jung sterben? Diese Frage führt ins Nichts, denn auf sie gibt es keine Antwort – jedenfalls nicht in dieser Welt. Wir können unser Leben in vielerlei Hinsicht sehr wohl beeinflussen und gestalten, aber manche Dinge haben wir einfach nicht in der Hand. Das akzeptieren zu können hilft. Wir haben die Unwägbarkeiten des Lebens nicht verstanden, wenn wir davon ausgehen, dass wir von Schicksalsschlägen verschont bleiben, während andere davon getroffen werden. Das ist nicht selbstverständlich. 

Deshalb sollten wir dankbar sein für die guten Erfahrungen und die schönen Zeiten, die wir schon erlebt haben und immer noch erleben dürfen. Wer dankbar ist, der kennt kein Jammern.

Die Wahrnehmungsfalle

Wer jammert, befindet sich in einer Wahrnehmungsfalle: Man sieht gar nicht mehr die guten Dinge, nur die schlechten. Und wenn man immer nur über die schlechten Dinge redet, gibt es einen verstärkenden  Rückkopplungseffekt – sie erscheinen immer noch schlechter. Das Jammern lebt also vom Jammern. Aber es ist eine Beschwerde ohne Adressaten, es richtet sich an niemand Konkreten. Es ist eine Form, Verantwortung abzugeben. Wer laut jammert, bekommt Aufmerksamkeit, muss aber nichts ändern. Manche wollen das vermutlich auch gar nicht. 

Es ist wie es ist

Ich halte mich an die Menschen, die zuerst einmal die Realitäten anerkennen so wie sie sind, ohne darüber zu jammern. Das bedeutet ja keineswegs, sich mit allem abzufinden – im Gegenteil: Es ist wie es ist bedeutet nicht, dass es so bleibt wie es ist. Für mich ist das lediglich eine Ausgangsbasis, von der aus ich sehen und überlegen kann, was ich aus dem Hier und Heute machen kann, wie es sich entwickeln und verändern lässt. So entstehen neue Möglichkeiten, das Leben bleibt interessant und spannend.

Solange wir leben, können wir immer etwas ändern – und sei es das eigene Verhalten. Es gibt die unglaublichsten Geschichten über Menschen, die aus scheinbar ausweglosen Situationen wieder herausgefunden haben und ein gutes Beispiel dafür sein können, was möglich ist, wenn man nicht jammert, obwohl das Leben einen an die eigenen Grenzen bringt. 

So versuche ich zu leben. Und das wünsche ich Ihnen – und der Dame am Nebentisch – auch.

Wer nicht fragt bleibt dumm

Dabei geht doch nichts über eine gute Frage, denn jeder Lern- und Erkenntnisprozess beginnt mit der Neugier, aus der eine Frage entsteht, die nach einer Antwort sucht. 

Das wusste bereits Sokrates, der im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung seine philosophische Schule gründete und seine Studenten lehrte, kluge Fragen zu stellen. „ Ich weiß, dass ich nicht weiß“ heißt sein berühmter Ausspruch, mit dem er alles hinterfragte, was allgemein als Wissen und selbstverständlich galt. 

Für ihn war klar, dass wirkliche Weisheit nur Derjenige erlangt, der sich mit Demut und Neugier in die Welt hinaus begibt. Wer fragt und hinterfragt, der kann zu echten Erkenntnissen kommen. Deshalb ist die Ausgangslage des „Nicht-Wissens“ einer der Grundpfeiler seiner Denkschule. 

Neugier als Schlüssel zur Vielfalt

Ich bin überzeugt, dass Sokrates Recht hat. Die Fülle der ungelösten Fragen  dieser Welt und des Universums, dessen Teil wir sind, ist so groß, dass jede neu gefundene Antwort auf eine Frage bereits eine nächste Frage auslöst. So geht das jedenfalls den forschenden Wissenschaftlern, denen wir einiges an Erkenntnissen und Entwicklungen verdanken. Zu glauben, ein Einzelner könne auf alles eine Antwort haben, begrenzt den Horizont der Fragen auf ein überschaubares Feld. Wer glaubt, dass es nichts Neues mehr unter der Sonne gibt, hört auf, die Welt zu entdecken und dabei auch sich selbst zu erkennen. Er bleibt stehen und hört damit auf, sich weiterzuentwickeln.

Leben bedeutet aber Bewegung und Vielfalt. Und ist nicht genau dafür die Kunst des Fragens ein elementares und zutiefst kluges Werkzeug für unser Leben? Neugier ist ein Schlüssel, um die Tore zu einer Welt der Vielfalt aufzuschließen.

Raum für Entdeckung

Nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die  Kunst kann dieses Fragen, Staunen und Entdecken auslösen. OUBEY war der Kunst ebenso verbunden wie der Wissenschaft. Er war ein fragender, forschender Künstler. Seine Bilder stellen Fragen, sie geben aber auch Antworten, die ihrerseits zu neuen Fragen führen. Das macht sie so spannend. 

Dass OUBEYs Bilder diese Qualität haben, konnte ich in den Encounters immer wieder erleben. Die Betrachter stehen nachdenklich, fasziniert, überrascht und mit fragendem Blick vor seinen Werken. Sie begeben sich auf eine Entdeckungsreise in die Bilder hinein. Voller Neugier lassen sie sich auf die Fragen ein, die die Bilder in ihnen auslösen. Und suchen, emotional berührt, in ihrem Inneren nach Antworten.

Was beim Betrachten von OUBEYs Bildern nicht hilft, ist ein scheinbar allwissender Gelehrter, der sie auf eine Erklärung reduziert.. Sie brauchen einen weiten, offenen Raum der Begegnung mit Menschen und mit der Welt. Dann kommen die Fragen und die Antworten auf die Fragen wie von selbst. Aus dem Innersten der Betrachter.

Kinderkram

Es gab eine Zeit, in der galten Comics unter Erwachsenen bestenfalls als Kinderkram, unter strengen Pädagogen als minderwertiger Schund. Dank meiner Mutter, die für mich irgendwann die „Micky Maus“ abonnierte, hatte ich entgegen dem damaligen Zeitgeist jahrelang das Vergnügen, jede Woche ein neues Heft im Briefkasten zu finden, das ich mit größtem Vergnügen las. Das habe ich ihr bis heute nicht vergessen.

Es war die Zeit, in der die Trennungslinie zwischen „E“ und „U“, also zwischen ernsthafter Kunst einerseits und vergnüglicher Unterhaltungskultur andererseits streng gezogen wurde. Vor allem, wenn die Unterhaltung aus Amerika kam. Der trivial-unterhaltsame Bereich, zu dem neben Comics auch die englischsprachige Pop- und Rockmusik gehörten, wurde ausgegrenzt und fand seine Heimat zunächst nur in den eigenen Welten der Jugend – und der Subkultur.

Kunst

Inzwischen haben Comics nicht nur längst Einzug in die Erwachsenenwelt gehalten, sondern sind auch – zurecht wie ich finde – als Teil der Kultur und Ausdrucksform von Kunst anerkannt. OUBEY sah das schon immer so. Seine Comic Sammlung war schon immer beachtlich und wuchs im Laufe der Jahre kontinuierlich an. Darin finden sich unter anderen auch viele der wunderbaren Publikationen des Zeichners Jean Giraud, der sich selbst Moebius nannte, sowie die Bände der japanischen Comic Serie „Akira“. Sie zeichnen sich nicht nur durch ihre herausragende zeichnerische Qualität aus, sondern ebenso durch die philosophischen Themen, die in Geschichten wie „Die luftdichte Garage“ behandelt werden. Der Band „Zu den Sternen“, dessen Coverbild Sie im Header dieses Beitrags finden, ist „eines der faszinierendsten Science Fiction Abenteuer, die Moebius je zu Papier gebracht hat“, kommentierte der Verlag bei dessen Veröffentlichung. Moebius wurde hierfür im Jahr 1984 vom französischen Kulturminister Jack Lang mit dem Großen Staatspreis Frankreichs für Graphische Künste ausgezeichnet.

Kommerz

Spätestens seit Stan Lee die Comic-Helden der Marvel-Welt auf die große Leinwand brachte, gehört das Genre zum Mainstream. Heute kommt kaum ein Kinogänger mehr an ihnen vorbei. Und mit dem zugehörigen Merchandising werden Milliarden erwirtschaftet. Stan Lee, ein Superheld des Marketing. Ist es allein dem gekonnten Marketing eines Stan Lee zuzuschreiben, dass die einst verpönten Comics nicht zuletzt dank ihrer aufwendigen Verfilmungen zum „Kulturgut“ wurden?  

Eine uralte Sehnsucht

Wohl auch, aber da gibt es aus meiner Sicht noch einen anderen, tieferliegenden Grund. Die Grenzen haben sich aufgeweicht, das Denken wurde offener und die Sehnsucht der Menschen nach fabelhaften und fantastischen Heldengeschichten hat in vielen Comics eine neue Ausdrucksform gefunden. 

Diese Sehnsucht ist nicht neu. Sie fand ihren Ausdruck bereits in den alten Götter- und Heldensagen und zeigt sich heute, im Spiegel der Zeit, in neuem Gewand. Der Fantasie, die in diesen unwahrscheinlichen Geschichten mit ihren unverwüstlichen Helden lebendig wird, liegt ein Bedürfnis nach der Unbesiegbarkeit des Guten zugrunde. Dieses Bedürfnis wird in den Comics auf sehr unterhaltsame Weise befriedigt. Die rationale aufgeklärte Welt findet hier ihren vergnüglichen Gegenpart, der gelegentlich auch durchaus politische Anspielungen enthält. Das gilt übrigens nicht nur für die sich irgendwie alle ähnelnden Helden der Marvel Comics. Das galt und gilt auch noch immer für sehr viele andere Comic-Serien, die vielleicht etwas in die Jahre gekommen sind wie z.B. Asterix & Obelix oder das ebenso winzige wie allgewaltige Marsupilami.

„Aber was daran ist nun Kunst?“ werden Sie vielleicht fragen. 

Freiheit der Fantasie

Diese Frage werde ich hier sicher nicht beantworten können. Aber ich sehe Gemeinsamkeiten zwischen dem, was Kunst genannt wird und dem, was man Comic nennt. 

Die Idee, diesen Beitrag zu schreiben, kam in einem Gespräch auf, das ich vor einiger Zeit mit jemandem über OUBEY führte. Aufgrund der zum Teil sehr tiefgründigen, vielschichtigen Bilder und Zeichnungen, die er von OUBEY kannte, war er sehr erstaunt, als ich im Gespräch irgendwann erwähnte, dass OUBEY auch gerne mal Comics zeichnete.  

Bereits als Schüler verfasste und produzierte er selbst eine eigene Comicserie: „Die Abenteuer des André Noir“. Da es damals noch keine öffentlichen Kopiergeräte gab, er aber möglichst viele Exemplare herstellen und verkaufen wollte, zeichnete er jedes einzelne Heft mit der Hand.   

In der Kunst ist alles möglich. Das gilt ganz besonders auch für Comics. Hier werden neue Wesen, neue Welten und neue Universen geschaffen und visualisiert. Das Denken bekommt Flügel und entführt sich selbst in den freien Raum der Fantasie. Wenn ich mir manche Bilder und Zeichnungen von Paul Klee anschaue, der ohne Frage ein wirklich großer Künstler war, dann wird der Zusammenhang für mich klar erkennbar. Mit einem Teil von OUBEYs Werken geht mir das genauso.

Aus meiner Sicht ist es ein Fortschritt, dass die Grenzen nicht mehr so dogmatisch gezogen werden. Kunst erweitert ihr Spektrum und das, was Spaß macht, wird nicht mehr per se ausgegrenzt.

Starre Grenzen sind für den Geist eine Herausforderung, die er überwinden will. Dass das immer wieder und immer öfter gelingt, finde ich sehr gut, sehr erfrischend und eine wertvolle Entwicklung.

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Headerfoto: Moebius – Zu den Sternen (Cover), Schwermetall Band 5, 1987

Wann ist ein Mensch jung? Wann ist ein Mensch alt?

Ludmilla Larusso, inzwischen über 50, wirkte jung, als sie da auf der Bühne stand und sang. Wie kann das sein? Es war Ihre Ausstrahlung, ihre Stimme, vor allem aber auch ihre spürbare Freude und Begeisterung an dem, was sie tut. Dagegen sieht manch einer, obwohl er um einige Jahrzehnte jünger ist als sie, regelrecht „alt“ aus. Wie kann das sein?

Für mich hat Alter nicht allein mit der Summe an Lebensjahren zu tun. Die Frage nach dem Alter ist eher eine Frage der inneren Einstellung. Und ist diese Einstellung von Neugier und Unternehmungslust geprägt, von dem Gedanken, dass es nie zu spät ist, etwas Neues zu entdecken, dann entsteht eine Energie, die den Menschen jung macht – ob er nun 15 ist oder 50.

Und was ist mit den biologischen Hardfacts? – werden Sie vielleicht zurecht fragen. Klar, spielen auch die eine Rolle und manches kann man mit steigender Lebenszeit nicht mehr so gut wie das mit zwanzig oder dreißig noch der Fall war. Aber glücklicherweise sind wir Menschen ja Individuen und als solche fähig, der puren Biologie mit einer inneren Einstellung zu begegnen, die dazu führt, dass unsere Leben eben nicht mit 50 oder 70 Jahren vorbei sein muss. 

Einladung zur Neugier

Es gibt Menschen, die – obwohl noch jung an Jahren – ihr Leben bereits bis zur Rente im Kopf durchgeplant haben und alles, was nicht in diesen Plan passt, ignorieren. Das ist doch zielstrebig und ganz vernünftig, meinen Sie? Das sollte man doch nicht kritisieren? 

Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich kritisiere das nicht. Jeder kann und soll so leben wie es ihn zufrieden macht und wie er es für richtig hält, solange er anderen Menschen dabei nicht schadet. Ich denke allerdings, dass man sich auf diese Weise selbst um einige schöne Möglichkeiten bringen kann, die das Leben lebendig und überraschend machen. Was bleibt, sind dann oft nur die Überraschungen, mit denen das Leben uns konfrontiert und auf die wir dann oft hilflos reagieren, weil sie den einst gefassten Plan über den Haufen werfen.

Neues zu versuchen und sich selbst zu überraschen ist für mich eine wichtige Konstante im Leben. Natürlich immer erst einmal prüfen, ob man sich etwas tatsächlich zutraut bzw. ob man etwas wirklich will. Aber wenn das der Fall ist, dann sollte man es einfach versuchen. Wenn es misslingt, dann hat man es wenigstens versucht. Ich möchte mich am Ende meines Lebens möglichst nicht fragen müssen, warum ich die schönen Möglichkeiten, die sich mir geboten haben, nicht genutzt habe. Deshalb habe ich mir immer die Freiheit geschenkt, Neues anzupacken, wenn sich eine passende Möglichkeit ergab, und habe es bis heute nie bereut.

Eine leere Leinwand ist wie der Aufruf zu etwas Neuem

Und ich mag Menschen, die das auch tun. Ein Künstler muss gewissermaßen mit jedem Bild „neu anfangen“. Manche malen zwar ganze Serien, aber dennoch ruft eine leere Leinwand immer wieder zu etwas Neuem auf.  Das habe ich im Zusammenleben mit OUBEY über einundzwanzig Jahre aus nächster Nähe miterlebt. Wenn OUBEY nicht bereit und in der Lage gewesen wäre, immer wieder ganz neue Wege zu gehen als Künstler, wäre das Werk, das er hinterlassen hat, nicht so interessant und vielfältig wie es ist und würde heute gewiss nicht so viele Menschen auf der ganzen Welt faszinieren und begeistern. Bei ihm rief jede Antwort die nächste Frage hervor. In der Kindheit verhalten sich fast alle Menschen so. Wenn sie erwachsen werden, lässt das oft nach, weil sie glauben, alle Antworten zu kennen – zumindest die wichtigen. Das ist ein Irrtum. Denn niemand kennt jemals alle Antworten. Staunen und Entdecken ist ebenso wichtig wie Wissen. 

Mit dem Herzen sehen

So kommt es, dass eine Ludmilla Larusso bei „The Voice of Germany“ nicht nur das begeisterte Publikum in Erstaunen versetzte, sondern auch die aufmerksamen Coaches. Vielleicht hat es geholfen, dass sie bei dieser Show mit dem Rücken zur Bühne sitzen und nicht sehen, wie alt oder jung, groß oder klein, dick oder dünn, hübsch oder weniger hübsch ein Kandidat ist. Sie wissen nicht wie dieser Mensch aussieht, sie hören nur den Gesang. Und mit ihrem Gesang erreichte Ludmilla die Herzen. Ein schönes Beispiel für die Richtigkeit dessen, was Antoine de Saint-Exupéry einmal sagte: Man sieht nur mit dem Herzen gut. 

Alter ist nicht das Ergebnis einer Rechenaufgabe. Alter ist eine Frage der Lebendigkeit, Offenheit und Neugier – im Herzen und im Kopf. Es ist immer möglich, noch etwas dazu zu lernen, zu erleben, zu entdecken. Neugier ist ein Elixier, das Lust aufs Leben macht und deshalb jung hält. 

Eine weitere geniale Aktion des Künstlers Banksy, mit der es ihm gelingt, die absurden Mechanismen des kommerziellen Kunstbetriebs für alle erkennbar offenzulegen. Hierzu muss man wissen, dass Banksy als Streetart Künstler zwar großen Wert auf die Wirksamkeit seiner Graffitis und Aktionen legt, sich am Millionenspiel des Kunstmarkts jedoch nicht beteiligt. Seine Unabhängigkeit ist ihm wichtiger als Ruhm und Reichtum.

Umso verwunderlicher, dass nun „Girl with Balloon“ im Auktionshaus Sotheby´s versteigert wurde und just in dem Moment, als das Bild für einen dieser astronomischen Preise in den Besitz des Meistbietenden überging, durch die Selbstzerstörung wertlos wurde. Genau hier setzt Banksy´s entlarvender Geniestreich an: Wird ein zerstörtes Bild in diesem System zwangsläufig wertlos? Das Beispiel zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist: es steigt in seinem Wert sogar noch erheblich an. Und so verwandelt sich das geschredderte Bild in eine Lupe, durch die die Absurditäten des kommerziellen Kunstbetriebs en detail und live betrachtet werden können.

Girl with Balloon – ein Testballon?

Sobald man sich als Künstler in dieses Spekulationssystem des Kunstmarkts hinein begibt, kann man sich seinen Wirkungsmechanismen kaum noch entziehen und läuft Gefahr, nach und nach seine innere Freiheit gegen Geld einzutauschen. Aus diesem Grund verkaufe ich OUBEYs Bilder nicht. Sie sind in größtmöglicher geistiger Freiheit entstanden. Diese Freiheit möchte ich ihnen und auch mir in meinem Tun erhalten. Sie brauchen keine materielle Wertschätzung, um ihren Wert als Kunstwerke zu beweisen. Klar, dass mir Banksy´s Haltung und die intelligente Konsequenz  seiner Aktionen sehr gut gefällt. Auch er arbeitet nicht für den Verkauf, sondern für Wirksamkeit und öffentliche Wahrnehmung.. 

Und wenn er ausnahmsweise doch einmal verkauft, dann entwickelt sich um den Verkauf eine aufklärerische Wirkung. So auch, als er einmal anonym an einem Stand im Central Park New York den Passanten Originale für 60 Dollar zum Verkauf anbot. Wer dort dem unbekannten Künstler ein Bild abkaufte, tat es nicht, um einen „Banksy mit Aussicht auf rasante Wertsteigerung“ zu erwerben, sondern aus Interesse und Sympathie. Banksy filmte die Aktion und veröffentlichte den Film – zum Ärger aller Kunsthändler, denen dieses einmalige Schnäppchen entgangen war. Sie hätten die Werke ohne Frage liebend gerne für Unsummen weiterverkauft.

Sein „Girl with Balloon“ hatte Banksy angeblich mit der Auflage verschenkt, dass es vom Beschenkten niemals verkauft werden darf. Ein Testballon, der zeigen sollte, wie stark die Gegenkräfte sind, um den Verlockungen des Kunstmarktes zu widerstehen. Gegenkräfte wie „Respekt vor dem Wunsch des Künstlers“, Wertschätzung für den Vertrauensbeweis dieses Geschenks“ oder auch einfach nur die „Liebe zur Kunst“.

Diese Kräfte waren offensichtlich nicht so stark wie die Anziehungskraft des Marktes, auf dem das Bild dann zur Auktionsware wurde.

Wertsteigerung durch Zerstörung 

So unterschiedlich der Charakter ihres Werkes ist – in ihrem Freigeist, ihrer Fähigkeit zur Autonomie und ihrer distanzierten Haltung zum Kunstmarkt sind OUBEY und Banksy sich sehr ähnlich. Beide haben sich den Wirkungsmächten des Kunstbetriebs entzogen. OUBEY tat es vor allem, um möglichst unbeeinflusst von äußeren Erwartungen die Bilder malen zu können, die in seinem Kopf entstanden. Banksy tut es, um mit seiner Arbeit diesen Kunstbetrieb zu entlarven und zu kritisieren und um seine Kunst dahin zu bringen, wo er ihren eigentlichen Platz sieht: unter die Menschen, die sich teure Kunst gar nicht leisten können. 

Wer meint, dass die Steigerung des Verkaufswerts von „Girl with Balloon“ nach der Zerstörungsaktion bedeutet, dass Banksy mit dieser Aktion sein Ziel verfehlt, ja sogar das Gegenteil erreicht hat, der irrt.

Denn gerade diese Wertsteigerung zeigt wie stark die Macht der Spekulation ist, und dass es nicht die Kunst ist, die hier im Vordergrund steht. Sondern dass sich der Markt die Kunst nach Belieben einverleibt. Selbst wenn sie zerstört ist. 

Banksy´s Inszenierung war perfekt. Sie macht auf einmalige Weise sichtbar wie der Markt funktioniert, wie er sich wendet und dreht, sich den Gegebenheiten anpasst und letztlich durchsetzt. Ob man das gut oder schlecht findet, steht auf einem anderen Blatt. Klar ist, dass es so ist. Das entlarvende Ziel ist erreicht. Alle Welt redet über die Aktion und wird sie wohl so schnell nicht vergessen.

VR, AR und Co.

Es sind Erfindungen wie der 3D-Drucker oder GIF-Animationen, die es Ihnen, mir und unserer Nachwelt ermöglich, die alten Kulturstätten auf eine ganz neue Art und Weise zu entdecken. Die Buddha-Statuen wurden mit Hilfe der 3D-Drucktechnik in voller Größe rekonstruiert. Dank GIFs können wir die bekanntesten Bauwerke der Weltgeschichte Stein für Stein und Säule für Säule sehen. Obwohl in einigen Fällen kaum noch die Basis für eine Rekonstruktion vorhanden war, wurden die ursprünglichen Strukturen wieder zum Leben erweckt. Und tatsächlich präsentieren sich viele der Gebäude ganz anders als es überliefert wurde. 

Augmented Reality (AR) kann uns tatsächlich die Möglichkeit bieten, die antiken Ruinen in ihrer ursprünglichen Pracht auf unserem Smartphone zu bewundern! Ich finde diese Entwicklung großartig. Wahrscheinlich ist vielen noch gar nicht bewusst, welch tolle neue Möglichkeiten 3D-Drucker, Virtual Reality (VR) und Co. bieten. Klar ist aber: Die neue Welt schafft nicht nur Neues, sie macht auch die alte erlebbar.  

Neue Sphären

Im alten Gaswerk in Pforzheim gibt es beispielsweise noch bis Ende des Jahres die Ausstellung „ROM 312“. Das weltweit größte 360-Grad-Panorama zeigt Ihnen die prächtigsten Kapitale der Antike im Jahr 312 n. Chr.! 

Forscher sind inzwischen mit 360-Grad-Kameras ausgestattet, die sie mit auf ihre Speditionen nehmen und uns damit einen noch nie dagewesenen Einblick verschaffen. Vielleicht ist Ihnen das Projekt „Uhrwerk Ozean“ bekannt: Die Ergebnisse der Expedition rund um die Wirbel im Ozean wurden in einem 360-Grad-Filmerlebnis zusammengefasst, das die komplexe aber hochspannende Materie auch Laien verständlich, unterhaltsam und anschaulich näherbringt. In diesem Fall ermöglicht uns die Technik der neuen Welt einen Ausflug in die unglaubliche Erlebniswelt Ozean. 

Eine Synergie für die Ewigkeit

Nun gibt es sicher Menschen, denen die Werke der Antike relativ egal sind und die auch ohne lebhaftes Naherlebnis im Ozean klarkommen. „Was hat das mit mir zu tun?“ oder „Wen interessiert das denn?“ fragen sie sich wahrscheinlich. 

Natürlich ist die Vergangenheit nüchtern betrachtet vorbei – sie lässt sich nicht wiederholen. Doch ich bin überzeugt davon, dass sie insofern nicht vorbei ist, als dass sie immer noch in unsere Gegenwart hineinwirkt. Vergangenheit und Gegenwart sind miteinander in Synergie verbunden. Aufgrund dieser Verbindung können wir auf den Erkenntnissen und dem Wissen unserer Vorfahren aufbauen, es nutzen und somit auch unser heutiges Wissen kontinuierlich erweitern. 

Es waren die alten Griechen, die schon vor mehr als 2000 Jahren den Goldenen Schnitt, ästhetische Proportionen, mathematische Grundformeln und sogar Gesetzmäßigkeiten in der Bewegung der Himmelskörper entdeckten – alles Erkenntnisse, die wir heute noch nutzen. Ich finde, diese Leistungen unserer Vorfahren verdienen Respekt! Die Vergangenheit verdient Respekt!

Es gibt noch viele unentdeckte Welten

Die GIFs der weltbekannten Kulturstätten sind nur ein kleines Beispiel, das andeutet, was sich alles noch erschließen lässt. Diese Möglichkeiten können und sollten wir nutzen, um uns fortzubilden und zu wachsen – um nicht stehen zu bleiben. Ich freue mich, diese Fortschritte miterleben zu dürfen und hoffe, dass ich mir die Welt noch ein Stück mehr erschließen darf.   

PS: Wenn Sie noch keines dieser GIFs gesehen haben, dann schauen Sie mal hier rein: http://www.openculture.com/2018/04/watch-seven-ancient-ruins-get-restored-to-their-glorious-original-state-with-animated-gifs.html

Für Tiere, die in erster Generation aus der freien Wildbahn in einen Zoo dieser Welt gebracht wurden, war dieser Verlust der Freiheit sicher schwer zu ertragen. Doch auch in denen, die der zweiten oder dritten Generation angehören und in einem Zoo geboren wurden, lebt noch immer das Gen der freien Wildbahn.
Das Gen der freien Wildbahn haben nicht nur die wilden Tiere. Auch OUBEYs Kunst trägt es in gewisser Weise in sich.

Kein Zirkus

OUBEYs Bilder entstammen seinem unbeugsamen Freigeist. Unbeeindruckt von den Regeln des Kunstbetriebs tat er nur das, was ihm wichtig und richtig erschien. Im übertragenen Sinn kann man deshalb sagen, dass seine Bilder freiheitsliebend sind. Als ich mich fragte, wie ich OUBEYs Bilder nach seinem frühem Tod adäquat in die Öffentlichkeit bringen sollte, war für mich sehr bald klar: Sie gehören nicht in den Zirkus des Kunstbetriebs. Sie gehören viel eher in eine Art von „Freier Wildbahn“, in der sie sich, so frei wie sie entstanden sind, nun auch frei von allen üblichen Wahrnehmungsgewohnheiten in der Öffentlichkeit behaupten können. So brachte ich die Bilder an Orte, an denen üblicherweise keine Kunst zu finden ist, z.B. in den Kontext einer internationalen Managementkonferenz.

Museum vs. Garderobe

Bei den jährlichen Konferenzen der „Peter Drucker Society“ in Wien geht es um Fragen des Managements in Wirtschaft und Gesellschaft. Kunst steht dort normalerweise nicht im Fokus. Als jedoch der Präsident der Gesellschaft von meiner ENCOUNTER- Tour erfuhr, schlug er vor, OUBEYS Kunst im Rahmen der nächsten Konferenz zum Thema „Managing Complexity“ auszustellen – ohne musealen Kontext, frei von Erklärungen, ja sogar ohne jeglichen ausdrücklichen Hinweis auf die Bilder. Sie waren sozusagen in freier Wildbahn zu erkunden. Das Thema passte sehr gut, da die Thematik der „Komplexität“ in OUBEYs Kunst von zentraler Bedeutung ist. Also nahm ich das Angebot an. Und so hingen zwei seiner Bilder im November 2013 frei schwebend zwischen zwei riesigen klassizistischen Säulen und vier andere Bilder hatten in einem schmalen Flur ihren Platz an den Alutüren der Garderobenschränke gefunden. Was denken Sie, was passierte?

Manager und Kunst = Starke Anziehungskraft

Zunächst waren alle Teilnehmer sehr auf den eigentlichen Grund ihrer Anwesenheit und den gegenseitigen Austausch fokussiert. Doch die Konferenz dauerte zweieinhalb Tage und im Laufe der Zeit kamen immer mehr Konferenzteilnehmer von sich aus in den Flur mit den Bildern, betrachteten sie, griffen zu den Kopfhörern und schauten sich die Encounter Videos an. Obwohl die Aufmerksamkeit nicht aktiv gelenkt wurde, wuchs das Interesse stetig – ebenso wie die Bereitschaft, selbst einem unbekannten Bild vor laufender Kamera zu begegnen. Solche „Open Encounters“ gehören zu jeder Station der Global Encounter Tour und sind besonders spannend. Am Ende gab es in Wien sogar eine Warteschlange für die Open Encounters, so dass wir noch eine „Sonderschicht“ einlegten. Wer weiß was an einem dritten Tag passiert wäre …

Frei und unvoreingenommen

Durch die außergewöhnliche Möglichkeit konnte ich miterleben, welch starke Wirkung OUBEYs Kunst von sich aus auf diese Menschen hatte. Das beeindruckte mich sehr und es zeigte mir zugleich, dass meine Entscheidung für die „freie Wildbahn“ gut und richtig gewesen war.

Denn auch wenn Museen einen großen Beitrag zur Erhaltung und Zugänglichkeit von Kunst leisten, und Kunst in einem optimal inszenierten Rahmen präsentieren, ist es doch eine großartige Chance, Kunst auch einmal frei von diesem Kontext aus nächster Nähe in einem Garderobenflur zu erleben und sich so eine ganz eigene Meinung zu bilden.

 

Als ich dann vor der Aufgabe stand, sein bis dahin verborgen gebliebenes Vermächtnis an die Öffentlichkeit zu bringen, war das für mich zunächst eine schwierige Situation, denn ich wollte auf keinen Fall in die Rolle kommen, nun diejenige sein, die sich zu seinem Werk äußert und den Eindruck erweckt, als könne sie seine Bilder erklären. Und natürlich wollte ich in OUBEYs Sinne handeln und seiner Haltung treu bleiben. Also  war ich nicht an Erklärungen interessiert. Vielmehr fragte ich mich, wie es gelingen könnte, seine Bilder in einen hochwertigen Prozess des Entdeckens aus vielfältigen und interessanten Perspektiven heraus zu bringen. Wäre hier die Meinung eines Kunstexperten oder eines anderen Künstlers hilfreich?

Meine Antwort auf diese Frage lautete: Nein! Stattdessen reiste ich mit den Bildern zu Personen, die sich professionell mit den gleichen Themen und Fragen auseinandersetzen wie OUBEY: Astronomen, Astrophysiker, Biologen, Mathematiker, Quanten- und Komplexitätsforscher, Musiker, Philosophen und Komponisten. Mit den Erkenntnissen dieser Wissenschaften hatte auch OUBEY sich zeit seines Lebens auf sehr hohem Niveau auseinandersetzt. Im Laufe der Begegnungen zeigte sich, wie richtig meine Entscheidung für diesen Weg gewesen war. 

Filterfreies Kunsterleben

„Ich muss Sie warnen: Ich habe keine Ahnung von Kunst!“ war oft die erste Aussage, bevor jemand sich auf das „Encounter“-Erlebnis mit einem bis dahin unbekannten Bild von OUBEY vor laufender Kamera einließ. Meine ehrliche Antwort in diesen Fällen war jedes Mal dieselbe: „Wunderbar! Genau deshalb bin ich heute mit diesem Bild hier bei Ihnen.“

„Unmittelbarkeit ist für meine Bilder das Entscheidende“, meinte OUBEY einmal. Unmittelbarkeit entsteht in der direkten, ungefilterten, emotionalen Begegnung zwischen Bild und Betrachter. Genau das kennzeichnet die „Encounters“ mit OUBEY, die als Videodokumentationen online zu sehen sind. Sie zeigen ein ungewöhnliches, breites und enorm  abwechslungsreiches Spektrum an ebenso fundierter wie spontaner Resonanz – frei von jeglichem Anspruch auf  Kunstexpertise.

Musik wirkt anders 

Wenn wir von Kunst reden, denken wir meist erst einmal an Malerei. Denken wir aber zum Beispiel mal an die Musik und die Möglichkeiten, die ein jeder Mensch heutzutage hat, Musik zu hören wann immer und wie oft er will. Das geht mit der Malerei so nicht. Ich kann mir zwar auch zuhause Bilder anschauen, die online stehen oder in Kunstbüchern abgebildet sind – doch beim Fahrradfahren, Walken oder anderen Aktivitäten kann ich sie nur schwerlich anschauen, Musik dagegen kann ich sehr wohl hören. 

Musik erreicht die Menschen einfacher und direkter als jede andere Kunstart. Das gilt nicht nur für die medial vermittelte Musik. Auch Konzerte haben eine eigene Qualität und emotionale Dynamik, die sich von Kunstausstellungen deutlich unterscheidet. Auch im Musikbetrieb gibt es natürlich die Filterfunktion eines Expertentums ähnlich den Kunstexperten im Galeriebetrieb oder Kunsthandel. 

Doch seit Menschen ihre musikalischen Präsentationen auf YouTube online stellen können, hat sich hier eine Freiheit, so etwas wie eine bis vor kurzem noch unbekannte Demokratisierung durchgesetzt. Jeder kann hochladen, jeder kann runterladen. Views, Likes, Shares und Downloads sind Ausdruck der unmittelbaren Reaktion auf das Gehörte bzw. Gesehene durch eine breite weltweite Öffentlichkeit. 

Man könnte jetzt natürlich einwenden, das sei dann ja nur noch „Massengeschmack“. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass hinter jeder dieser Reaktionen ein Individuum steht, dem das, was es sieht hört oder sieht gefällt oder nicht gefällt. Das ist zwar so nicht einfach auf die Malerei übertragbar. Doch die Erfahrungen, die ich bisher mit der Nutzung des Internets zur Verbreitung von OUBEYs Kunst gemacht habe, bestätigen mich darin, diesen ungewöhnlichen und innovativen Weg weiter zu gehen und den so entstandenen Resonanzraum Schritt für Schritt zu erweiterten.

In Sachen Kunst ist ein Gefühl schon ein guter Einstieg

Selbstverständlich ist es gut und wichtig, dass auch Experten sich zu Wort melden, wenn es um Kunst geht. Es ist aber ebenso gut und wichtig, sich erst einmal seine eigene Meinung zu bilden. Umso interessanter ist es, sich später dann auch eine Expertenmeinung anzuhören und mit der eigenen Meinung abzugleichen. Oft genug haben übrigens ja auch verschiedene Experten sehr unterschiedliche Meinungen über dieselbe Sache. 

Deshalb finde ich es gut, wenn Menschen sich im Museum die Zeit und die Freiheit nehmen, sich die Ausstellungsstücke in Ruhe anzuschauen und sich erst einmal selbst fragen „Welche Gedanken und Gefühle löst das Bild in mir aus? Was lese und erkenne ich selbst darin?“ Denn bei allen intellektuellen Überlegungen, die dabei auch eine Rolle spielen, ist es zu allererst immer eine Gefühlsreaktion, die uns mit einem Kunstwerk verbindet. 

Die Grenzen der Zeit

Die vor ca. 25 Jahren entdeckten, mehr als 30.000 Jahre alten Zeichnungen an den Wänden der Höhle von Chauvet in Südfrankfreich, die Werner Herzog uns in seinem Dokumentarfilm „Cave of Forgotten Dreams“ dankenswerterweise zugänglich gemacht hat, rufen beim Betrachten trotz des unglaublich großen zeitlichen Abstands zum Moment ihrer Entstehung ein aufregendes Erlebnis der Nähe hervor. Als würde man in schwindelerregender Höhe auf einer geistigen Hängeseilbrücke tiefe Schluchten der Zeit überqueren. Als ob die Grenzen der Zeit für den Moment ihres Anblicks aufgehoben wären.

Eine seltene Freiheit

Diese prähistorischen Wandmalereien stehen für sich selbst. Darin sind sie OUBEYs Kunst ähnlich und sind ihr auch in einem anderen Aspekt auf ganz eigene Weise verwandt: Sie sind verborgene, über eine gewisse Zeit hinweg unberührt und ungesehen gebliebene Schätze. Ihre Existenz im Verborgenen hat ihnen eine Freiheit geschenkt, wie sie heute kaum noch irgendwo zu finden ist. Diese Freiheit steckt in ihnen und überträgt sich auf uns, wenn wir sie anschauen. Wir können sie in selten reiner Unmittelbarkeit entdecken, genießen und auf uns wirken lassen.

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