Das Soziale Netz im Internet lädt permanent zu spontanen Reaktionen ein. Und spontan heißt, aus dem Bauch heraus dem ersten Gefühlsimpuls zu folgen. Nicht lange zögern, nicht lange nachdenken. Kein Innehalten. Schnell und unmittelbar reagieren. Ist das wirklich authentisch? Und kann es nicht sein, dass Authentizität – so verstanden – missverstanden wird? Dass sie sogar problematisch ist?
Wer die Klaviatur der Gefühle beherrscht, kann punkten. Das gilt für Werbung und Politik genauso wie für zwischenmenschliche Beziehungen im Alltag. Sehnsüchte zu wecken und Versprechungen zu machen ist der eine Teil der Tastatur. Neid, Angst oder auch Wut zu schüren ist der andere. Ob eine Babywindel verkauft wird oder ein politisches Statement – Gefühle sind Hebel, um die Menschen zu packen. Aber gerade in der Politik, und unsere deutsche Geschichte ist hier reich an beklemmenden Beispielen, wird eines deutlich: Wer zu gefühlig ist, wird schnell gefügig gemacht.
Wer sich allein auf seine Gefühle verlässt, läuft leicht Gefahr, dass er wie eine Marionette an seinen Gefühlsfäden entlang fremdgesteuert wird.
Für mich ist das ein Missverständnis, Gefühlen per se den Nimbus der Authentizität zu verleihen. Denn unsere Gefühle von heute können morgen schon wieder anders sein. Wenn Sie auf die Entwicklungsgeschichte Ihres eigenen Gefühlslebens zurückblicken, werden Sie vielleicht selbst feststellen, dass manches, was vor einem, zehn oder zwanzig Jahren für sie gefühlsmäßig ultimativ richtig war, sich heute in anderem Licht darstellt. Das Gegenteil gilt also: Die Gefühlskultur, wie sie herrscht, verdeckt viel Authentizität.
Kochen die Gefühle bei einem Menschen hoch, dann wird eines deutlich: Der Mensch ist außer sich – zum Beispiel vor Freude oder vor Wut. Er ist also nicht bei sich. Er ist nicht authentisch.
Authentisch sein bedeutet für mich, dass ich fähig bin, meine eigenen Gedanken und Gefühle im Zusammenhang und Vergleich mit den übereinstimmenden oder widersprechenden Gedanken und Gefühlen anderer zu hinterfragen und so eine gewisse Distanz zu ihnen zu entwickeln – bevor ich sie lauthals in die Welt hinaus trage. Ich nenne das Selbstführung. Sie ist für mich ein wesentliches Element von Authentizität. Ein Fähnchen im Wind der Gefühle ist nicht authentisch.
Und es bedeutet für mich auch, sich kontinuierlich um rationale Überprüfung der eigenen Gefühlslage zu bemühen. Gefühle sind wichtig, können aber auch trügerisch sein. Ihnen blind zu vertrauen mag manchmal naheliegen, aber empfehlenswert ist es ganz sicher nicht.
„Will ich mich authentisch zeigen oder mich hinter meinen Gefühlen verstecken?“ Das ist für mich die Frage, mit der Sie, ich und jeder andere auch eine beruhigende Distanz zu der emotionalen Schnelligkeit, die heutzutage herrscht, schaffen kann. „In der Ruhe liegt die Kraft“ mag ein altmodischer Gedanke sein. Man könnte ihn aber auch einfach cool finden.
Ist die Entscheidung des Museums eine Ausnahme oder ist sie das erste Signal für einen Umschwung?
Museen sind eine relativ junge Errungenschaft unserer Zivilisationsgeschichte. Bis zur Französischen Revolution befanden sich Kunstschätze zumeist im Privatbesitz von Königen, Fürsten und anderen Adeligen, die als Mäzene die Künstler ihrer Zeit beauftragten und bezahlten und deren Werke dann für sich behielten. Erst im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des aufsteigenden Bürgertums, wurden diese Kunstschätze nach und nach in staatlich finanzierten Kunstmuseen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das war ein großer Fortschritt.
Seither ist die Zahl der Museen stetig gewachsen. Heute stehen sie angesichts gesunkener staatlicher Subventionen untereinander im harten wirtschaftlichen Wettbewerb. Angesichts hohem Kapitalbedarf bei schrumpfendem Kulturetat befinden sie sich in der Besucher-Einnahmen-Falle. Das doch eigentlich gemeinnützige, nicht kommerziell ausgerichtete Museum muss nach dem Modell des ständigen Wachstums arbeiten. Das hat zwei Trends zur Folge:
Zum einen den Trend zu Blockbuster-Ausstellungen über Kunst, die im kommerziellen Kunstbetrieb hoch gehandelt wird. Was viel kostet muss viel wert sein, heißt das Prinzip, und wirkt deshalb als Publikumsmagnet. Dieser Trend hat zur Folge, dass experimentelle Konzepte oder weniger bekannte Künstler, die nicht zu den Pop Stars der Kunstszene gehören, außen vor bleiben. Das Risiko eines Minusgeschäfts ist den Museen einfach zu groß.
Dem folgt als zweiter Trend, dass viele Museen, um derart publikumswirksame Ausstellungen finanzieren zu können, großzügige Spenden reicher Privatpersonen oder Unternehmen gerne entgegennehmen.
Ist doch egal, wo das Geld herkommt – Geld stinkt nicht, denken Sie vielleicht. Und wenn das Geld einem guten Zweck wie der Aufbewahrung von Kunst in einem Museum oder der Restauration von Notre-Dame zugute kommt, dann ist das nur recht und billig.
Tatsächlich hat es lange Zeit niemanden interessiert wo die Mittel fürs Kultursponsoring eigentlich herkommen und welche Konsequenzen damit verbunden sind. Nun wird das aber immer häufiger kritisch hinterfragt.
So zum Beispiel auch von einer Aktivistengruppe, die sich in Anlehnung an das berühmte „To be or not to be“ aus Shakespeare´s Hamlet „BP or not BP“ nennt. Damit bezieht sie sich auf das Sponsoring der Royal Shakespeare Company und des British Museum durch den Ölkonzern BP und vor allem auf dessen bekannt gewordenen Versuche der Einflussnahme darauf, welche Sonderausstellungen zum Schlager im Programm des Britischen Museums werden sollen.
Im Fall der Familie Sackler gilt die Kritik vor allem der Tatsache, dass sie ihr Geld, das sie mit ethisch dubiosen Pharma-Geschäften verdient, dann im Kultursponsoring quasi „reinwäscht“.
Und als Mitte April ein Feuer die Kathedrale Notre-Dame in Paris und einen Teil des dort aufbewahrten Kulturerbes zu zerstören drohte, löste das nicht nur allgemeines Entsetzen aus, sondern auch eine bis dahin nicht dagewesene Spendenbereitschaft unter den reichsten Familien Frankreichs aus. Innerhalb kürzester Zeit kamen 800 Millionen Euro zusammen. Das ist ohne Frage gut für die Zukunft der beschädigten Notre-Dame. Und doch empfand die französische Öffentlichkeit diesen Vorgang eher befremdlich. Woher kommt dieses Störgefühl?
In einer pluralistischen Gesellschaft, die auf demokratischen Grundsätzen basiert, ist die Frage nach der Unabhängigkeit gemeinnütziger Einrichtungen eine sehr wichtige Frage. Denn nur ein ausreichendes Maß an Unabhängigkeit ermöglicht echte Vielfalt und stärkt den Mut zu Neuem, das nicht stromlinienförmig im Zeitgeist schwimmt, sondern auch mal Anstoß erregt oder zum Widerspruch reizt. Das tut einer offenen Gesellschaft gut.
Letztlich greift diese Art von Kultursponsoring ja überhaupt nur deshalb, weil der Allgemeinheit das Geld fehlt, um frei von solcher Unterstützung unabhängig agieren zu können.
Allzu oft können sich Großverdiener ihrer Pflicht entziehen, unspektakulär und ohne Prestigegewinn wie jeder andere auch ihren Teil zur Gemeinschaft beizutragen. Mit ihren freiwilligen Finanzierungsbeiträgen holen sie diese Pflicht nach und erscheinen dabei zugleich als Wohltäter.
Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Es wäre spekulativ und unredlich, den Sponsoren ihre Liebe zu Kunst und Kultur absprechen zu wollen. Doch die Frage nach dem Zweck so mancher Großzügigkeit muss erlaubt sein. Sponsoring ist immer auch eine Form der Werbung und des Marketing von Firmen oder Einzelpersonen, und das zumeist in Kombination mit einem interessanten Abschreibungs- oder Steuersparmodell. Das ist erlaubt und aus unternehmerischer Sicht sogar naheliegend.
Ich denke, ohne hier das weite Feld der Finanzierung von Museen im Besonderen und Kunst im Ganzen abstecken zu wollen oder können, dass wir genauer hinschauen müssen, woher das Geld für unsere Kultur kommt. Ich jedenfalls hoffe, dass die Aktion der Tate Gallery keine Eintagsfliege bleibt, sondern da, wo es angebracht ist, Schule machen wird.
Da ich für mein OUBEY MINDKISS Projekt die verschiedenen Plattformen des Social Web selbst nutze, kenne ich die Reaktionsweisen anderer Nutzer und die damit verbundenen Herausforderungen aus eigener Erfahrung. Hier einige persönliche Gedanken.
Durch die digitale Vernetzung ist es unglaublich leicht geworden, persönliche Meinungen zu verbreiten. Das ist gut, denn so werden auch Menschen gehört, die sonst keine Öffentlichkeit hätten. Und so kann auch jeder Zugang zu Informationen und Meinungen haben, die das eigene Wissen erweitern und neue Erkenntnisse ermöglichen. Das kann aber auch etwas ganz anderes bewirken, indem es einen speziellen menschlichen Zug ins uns verstärkt: den Hang zur Rechthaberei.
Wie oft wird nur noch dem zugestimmt und das weitergeleitet, was der eigenen Meinung entspricht – ohne je geprüft zu haben, ob diese Meinung in diesem Fall tatsächlich fundiert begründet ist. Im Umkehrschluss werden Informationen oder Meinungen, die nicht ins eigene (Welt)Bild passen, ignoriert oder schlimmstenfalls in einem „shitstorm“ sogar geächtet.
Es fiel Menschen wahrscheinlich schon immer schwer, abweichende Meinungen nicht nur zu tolerieren, sondern womöglich gar als Anregung fürs eigene Denken zu betrachten. Und noch schwerer fiel es uns schon immer, eigene Irrtümer oder Fehler in der Betrachtung oder Bewertung eines Sachverhalts zuzugeben. Irrtümer oder Fehler zuzugeben, wird als Zeichen der Schwäche gesehen.
Sowohl die Geschwindigkeit als auch die Struktur der Kommunikation im Social Web scheint diese menschliche Neigung zur Rechthaberei im Sinne einer permanenten Selbstbestätigung des eigenen Denkens zu fördern – zulasten einer differenzierteren Betrachtung von Sichtweisen, die von der eigenen Meinung abweichen.
Wirkliche Dialoge finden zu selten statt. Weil wir uns zu oft zu wenig mit den abweichenden Meinungen anderer auseinandersetzen. Der ideologische Aspekt in der Meinungsbildung spielt dann eine immer stärkere Rolle, denn je weniger ich bereit bin, mich mit den Informationen, die mich erreichen, wirklich kritisch im Sinne einer Diskussion auseinanderzusetzen, umso mehr schwimme ich auf der Welle der Meinungsmacher mit. Bin verführbar durch die scheinbare Richtigkeit der Meinung der Vielen.
Im Dialog hat die Wirklichkeit immer mindestens drei Seiten: Eine, die ich sehe, eine, die Du siehst, und eine Seite, die keiner von uns Beiden sieht. Man kann sie auch mit einem Würfel vergleichen: Niemals sehe ich von meinem Standpunkt aus alle Seiten eines Würfels, der vor mir liegt. Um alle Seiten zu sehen, muss ich ihn umdrehen oder brauche die ergänzende Perspektive anderer Menschen. Das ist stark. Und das bedeutet: Auch zugegeben zu können, dass der eigene Standpunkt nicht der einzig richtige sein muss.
Sich selbst – und anderen gegenüber – eigene Grenzen und Schwächen eingestehen zu können, ist aus meiner Sicht ein Ausdruck von Stärke. Kein Mensch ist unfehlbar. Nur wer auch eigene Irrtümer und Fehler zugeben kann, ist wirklich stark und menschlich zugleich. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass wir in diesem Sinne auch die großartigen Möglichkeiten des Social Web ganz anders und viel besser nutzen können. Denn es bietet die Möglichkeit eines konstruktiven Diskurses. Ob diese Möglichkeit genutzt wird, liegt allein am Verhalten eines jeden einzelnen der Millionen Nutzer.