Auch die Zahlen zeigen, dass meine Beobachtung in Paris keine Ausnahme mehr ist: In der Juni-Ausgabe von brandeins können Sie nachlesen, dass 40% der britischen Millennials ihren Urlaubsort danach auswählen, wie gut er sich auf Instagram präsentieren lässt – natürlich am besten immer zusammen mit einem Portrait von sich selbst
Das Phänomen des Sightseeing-Tourismus mit der dazugehörenden Fotografiersucht ist nicht neu. Je weniger Zeit ich habe, um einen Ort wirklich zu erleben und kennenzulernen, desto wichtiger ist es, wenigstens im Foto festzuhalten, dass ich tatsächlich dort war. Doch die rasant steigende Zahl an Selfies, die in den sozialen Medien veröffentlicht werden, ist für mich Ausdruck einer neuen Qualität des Umgangs mit der Wirklichkeit, dem Leben und sich selbst.
Sie erinnert mich an die Geschichte von Narziss, dessen Eitelkeit damit bestraft wurde, dass er sein Spiegelbild in einer Wasseroberfläche sieht und sich so sehr in dieses Bild verliebt, dass er gar nicht genug vom Anblick seines Antlitzes bekommen kann – ohne je zu wissen, dass es sein eigenes Spiegelbild, d.h.er selbst ist, in den er sich verliebt hat. Das ist die Strafe. Wahrscheinlich weiß kaum noch jemand, dass Selbstverliebtheit in der Antike als Strafe galt. Nemesis – oder nach anderen Quellen Artemis – verdammte Narziss zu dieser unstillbaren Liebe zu seinem Spiegelbild.
Die alten Griechen sind uns in manchen ihrer Erkenntnisse bis heute mindestens ebenbürtig. In dieser sind sie uns vielleicht sogar überlegen. Denn auf die Idee, dass Eitelkeit mit Selbstverliebtheit bestraft wird, käme heute wohl niemand mehr. Umso interessanter finde ich diese antike Geschichte, wenn ich über die Selfie-Manie unserer Tage nachdenke.
Im Falle der Selfies benutzen wir die Kamera quasi als Spiegel, in dem wir uns selbst sehen. Dabei sollte sie, wie Wim Wenders es so schön gesagt hat, ein Auge sein, durch das ein Mensch die Welt sieht.
Nur gehen wir noch weiter: Wir wollen uns nicht nur ständig selbst sehen, wir teilen diese Bilder von uns auch pausenlos mit der ganzen Welt. Der Blick auf die Welt rückt dabei in den Hintergrund, denn die Welt bin ich. Und sie ist besonders schön, wenn ich von möglichst vielen anderen gesehen werde, die mir möglichst viele Likes schenken, versteht sich.
Natürlich kann das jeder so machen, wie er möchte. Aber ich frage mich schon, was der Bedeutungsrahmen dieser Selfie-Kultur ist.
„In der Zukunft wird jeder einmal für 15 Minuten lang berühmt sein.“, sagte Andy Warhol in den 1960er Jahren voraus. Er hatte damals bereits erkannt, dass wir uns in ein Medienzeitalter hineinbewegen, in dem jeder sich wie ein Star fühlen kann, nur weil er mal kurz im Fernsehen zu sehen ist. Heute spielt das Fernsehen hierbei zwar auch immer noch eine gewisse Rolle. Doch durch das Internet kann heute jeder allen auf der ganzen Welt jederzeit mitteilen: Schaut her, wie toll ich bin und was ich alles Tolles mache.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich finde es großartig, dass heute jeder seine Ideen in Blogs oder Podcasts und Videos auf YouTube oder anderen Plattformen teilen kann. Davon profitieren insbesondere viele junge Menschen, die künstlerisch, technisch oder praktisch etwas drauf haben, was andere begeistert oder ihnen im Alltag konkret weiterhilft. Dieses ganze Wissen und Können blieb früher nur allzu oft im privaten Umfeld stecken, wurde von Verlagen und Agenturen einfach ignoriert und kam deshalb nie ans Licht der Öffentlichkeit. Gut, dass das heute anders ist!
Doch ob ich nun gerade irgendwo auf der Welt einen Latte Macchiato trinke oder Sushi esse – mal ehrlich: wer muss das denn wirklich wissen? Wen interessiert das? Die Nachwelt ganz sicher nicht. Wohl aber die, die genauso unterwegs sind und mit ihrem eigenen nächsten Selfie noch eins draufsetzen? So stellt die Überflussgesellschaft ihren Lebensstil ungebremst und selbstverliebt öffentlich zur Schau. Selbstverliebt ohne zu erkennen, dass sie nur sich selbst liebt. Narziss lässt grüßen.
Welche Motivation auch immer dahinter steckt – eines geht in der Selfie-Manie auf jeden Fall verloren: Der Genuss an der Vergänglichkeit des schönen Augenblicks und das Vertrauen darauf, dass das Beste immer nur das ist, was uns im Gedächtnis bleibt.
Schon immer haben Menschen ihre Erlebnisse, wichtige Ereignisse oder interessante Personen in Bildern festgehalten – angefangen von den großartigen Höhlenmalereien unserer Vorfahren vor mehr als 30.000 Jahren bis hin zu den Gemälden, Portraits und Zeichnungen eines Dürer, da Vinci, Brueghel, Bosch oder Goya. Bis dann vor rund 150 Jahren die Fotografie erstmals ganz neue Möglichkeiten eröffnete, die für uns heute längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind.
Doch wenn Menschen heute einen großen Teil ihrer Lebenszeit damit verbringen, sich selbst optimal in Szene zu setzen und das beste Selfie-Motiv zu finden, und wenn ihr Blick sich nur noch selten vom Display ihres Smartphones löst, dann geht ihnen die Freiheit verloren, diesen Moment einfach nur zweckfrei und intensiv zu erleben. Vereinfacht gesagt, schlägt dann das Digitale das Analoge.
Ich finde, dass wir die Möglichkeiten des Internets und der Digitalisierung bewusst und gezielt nutzen sollen. Ich glaube aber auch, dass wir – je mehr wir in die digitalisierte Wirklichkeit hineinwachsen, ein ebenso großes Bedürfnis nach Erlebnissen in der analogen Welt entwickeln. Und ich habe den Eindruck, dass die Lust auf das Original, auf das Authentische grundsätzlich wieder wächst. Das macht mich hoffnungsfroh – auch in Zeiten der Selfie-Manie.
Ich jedenfalls hatte diesen Traum in den Weltraum zu fliegen schon als Kind. „Peterchens Mondfahrt“ war mein Lieblingsmärchen. Wie Abermillionen Menschen auf der ganzen Welt war ich später dann ebenso fasziniert wie berührt von der legendären Aufnahme, die William Anders aus der Apollo 8 heraus machte: Die strahlend blaue Erdkugel, frei im Dunkel des Weltraums schwebend. Und durch die Begegnung mit OUBEY entdeckte ich auch mein Interesse an der Science-Fiction mit ihren fantastischen Geschichten über menschliche Expeditionen in die Weiten des Alls, wie sie beispielsweise Perry Rhodan als Held der einzigartigen gleichnamigen Serie erlebt. Kennen auch Sie diese Sehnsucht?
Auch wenn wir heute enorm viel über das Universum, seine Struktur und seine Entstehungsgeschichte wissen und erklären können, bleibt der Blick hinauf in den Nachthimmel zum Mond und den Sternen doch noch immer etwas Wunderbares, das wir in seiner Größe und Bedeutung nicht wirklich verstehen, das uns zugleich aber anzieht und beschäftigt wie wenig anderes. An Orten wie Ayers Rock in Australien, an denen es meilenweit kein elektrisches Licht gibt, erstrahlt der Nachthimmel in einem ganz besonders intensiven Glanz. Menschen, die dort eine Nacht verbracht haben, berichten, dass dieses Erlebnis ihre Seele tief berührt hat.
In solchen Momenten spüren wir unsere tiefe Verbindung zum Weltall. Der Anblick allein eröffnet uns Zugang zu dem unbewussten Wissen, dass wir dort herkommen und dort wieder hingehen. Jeder Astronaut, der im Weltall war, sagt, dass er verändert wieder zurückgekommen ist.
Und natürlich ist da auch die Neugier, unbekannte Welten zu entdecken und zu erobern, Grenzen zu erproben und zu überschreiten – im Kopf wie auch in der Realität. Die Erde tatsächlich zu verlassen, um auf dem Mond oder einem anderen Planeten zu landen, wurde spätestens seit Jules Verne zu einer so starken Idee, dass sie nur hundert Jahre später von Menschen tatsächlich realisiert wurde. Eigentlich kaum zu glauben, aber doch wahr.
So wie die Entdecker und Abenteurer einst die heimischen Häfen Europas verließen, um in die Neue Welt überzusetzen, so verlassen Menschen in der Zukunft vielleicht ihren Heimatplaneten ganz, um ein neues Zuhause im Weltall zu finden.
Die Besiedlung des Weltraums – eine aufregende Idee, die auch OUBEY bereits während seines Architekturstudiums im Rahmen eines Projekts zur „Gestaltung Prototypischer Raumkolonien“ beschäftigte. Technische, architektonische, biologisch-ökologische und psychologisch-soziale Fragen wurden auf wissenschaftlichem Niveau bearbeitet und, im Rahmen der Möglichkeiten, beantwortet. Die Projektdokumentation ist heute noch interessant zu lesen.
Ein Gedanke dahinter war der: „Durch einen glücklichen Zufall hat es uns wie auch vielfältigstes Leben anderer Art hierher geweht. Wir Menschen haben als Spezies auf dieser Erde im Laufe der Evolutionsgeschichte eine sehr erstaunliche Entwicklung genommen. Dabei haben wir uns vor allem in den letzten zweihundert Jahren geradezu rasant vermehrt und immer mehr Raum eingenommen. Das tut der Erde nicht gut. Deshalb sollten wir sie in Ruhe lassen und uns da draußen eine neue Heimat schaffen. Wie könnte oder sollte dieser neue Raum aussehen?“
Was für eine herausfordernde Aufgabenstellung, an der Ermöglichung dieser Ideen zu arbeiten.
Der Schritt von einer Raumfahrt, die ausschließlich ausgebildeten und ausgewählten Astronauten offensteht, hin zur Möglichkeit eines Weltraumtourismus steht uns nun jedenfalls schon mal sehr konkret bevor. So weit, so gut, so schön …?
Sehnsuchtsorte der Menschheit gibt es ja schon lange. Bis vor sieben oder acht Jahrzehnten waren vor allem die weit entfernt liegenden Sehnsuchtsorte nur für Menschen mit entsprechendem Vermögen erreichbar. Indem sich dann mit dem Aufkommen des Massentourismus immer mehr Menschen ihren Traum vom paradiesischen Urlaubsziel erfüllen konnten, trat umgekehrt ein Prozess der Zerstörung dieser einstigen Sehnsuchtsorte ein. Denn wenn jeder, der sich einen einsamen Palmenstrand wünscht, ihn auch bekommt, ist der Strand die längste Zeit einsam gewesen. Von anderen unerwünschten Nebenwirkungen einmal ganz abgesehen.
Ein Ausflug zur ISS wird erst einmal nur für Reiche möglich sein, die eine solche Ausgabe schmerzfrei entbehren können. Der Tourismus dorthin wird deshalb und aufgrund der Tatsache, dass die ISS nur einer sehr kleinen Zahl von Besuchern Raum bietet, begrenzt bleiben. Ob überhaupt und, wenn ja, wann diese Grenzen in Richtung eines Massentourismus gesprengt werden, ist nicht absehbar. Was passieren würde, wenn der Weltraumtourismus sich so entwickeln sollte, dass er für Normalverdiener erschwinglich wird, bleibt also erst mal eher Science-Fiction.
Die Fantasie lässt viele Szenarien zu. Würde uns ein Weltraum-Tourismus als Menschheit weiterbringen, indem wir unser Bewusstsein schärfen, die Zusammenhänge zwischen Kosmos, Erde und Mensch besser zu erkennen und uns in diesen Zusammenhängen neu einzuordnen? Oder würden wir als Touristen den Weltraum genauso behandeln, wie wir es bisher mit den Sehnsuchtsorten und Sehenswürdigkeiten auf dieser Erde getan haben?
Die Lust an hemmungsloser Expansion in diesem Sektor nimmt auf der Erde immer noch zu und hat mit den gigantischen Kreuzfahrtschiffen, die seit einigen Jahren beispielsweise täglich die Lagune von Venedig okkupieren, einen nächsten Höhepunkt erreicht. Tausende von Menschen werden entladen, fallen einen halben Tag über die Stadt her und wenn alle am Abend wieder an Bord sind, geht es weiter zum nächsten Station. Wer die Bilder gesehen hat, weiß, wovon ich spreche.
Ich bin und bleibe begeistert von der Erforschung des Weltraums durch Astronomen und Astronauten, die zugleich Experten unterschiedlichster Wissenschaftsrichtungen sind. Ich finde die Idee einer Besiedlung anderer Planeten in künstlich angelegten Weltraumkolonien nach wie vor faszinierend. Die Fortschritte bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz eröffnet hier ganz neue Perspektiven, die bis vor zehn oder zwanzig Jahren nur als Science-Fiction vorstellbar waren, nicht aber als immer realistischer werdende Option. Doch ich bin auch skeptisch, wenn ich an mögliche Begleiterscheinungen und Konsequenzen denke, die hierbei durch die bekannten Verhaltensmuster und Einstellungen unserer Gattung hervorgerufen werden können. Sind wir in der Lage, diese selbst erstellte Herausforderung nicht nur technisch und physisch zu meistern, sondern auch ethisch?
Was meinen Sie?
Das Soziale Netz im Internet lädt permanent zu spontanen Reaktionen ein. Und spontan heißt, aus dem Bauch heraus dem ersten Gefühlsimpuls zu folgen. Nicht lange zögern, nicht lange nachdenken. Kein Innehalten. Schnell und unmittelbar reagieren. Ist das wirklich authentisch? Und kann es nicht sein, dass Authentizität – so verstanden – missverstanden wird? Dass sie sogar problematisch ist?
Wer die Klaviatur der Gefühle beherrscht, kann punkten. Das gilt für Werbung und Politik genauso wie für zwischenmenschliche Beziehungen im Alltag. Sehnsüchte zu wecken und Versprechungen zu machen ist der eine Teil der Tastatur. Neid, Angst oder auch Wut zu schüren ist der andere. Ob eine Babywindel verkauft wird oder ein politisches Statement – Gefühle sind Hebel, um die Menschen zu packen. Aber gerade in der Politik, und unsere deutsche Geschichte ist hier reich an beklemmenden Beispielen, wird eines deutlich: Wer zu gefühlig ist, wird schnell gefügig gemacht.
Wer sich allein auf seine Gefühle verlässt, läuft leicht Gefahr, dass er wie eine Marionette an seinen Gefühlsfäden entlang fremdgesteuert wird.
Für mich ist das ein Missverständnis, Gefühlen per se den Nimbus der Authentizität zu verleihen. Denn unsere Gefühle von heute können morgen schon wieder anders sein. Wenn Sie auf die Entwicklungsgeschichte Ihres eigenen Gefühlslebens zurückblicken, werden Sie vielleicht selbst feststellen, dass manches, was vor einem, zehn oder zwanzig Jahren für sie gefühlsmäßig ultimativ richtig war, sich heute in anderem Licht darstellt. Das Gegenteil gilt also: Die Gefühlskultur, wie sie herrscht, verdeckt viel Authentizität.
Kochen die Gefühle bei einem Menschen hoch, dann wird eines deutlich: Der Mensch ist außer sich – zum Beispiel vor Freude oder vor Wut. Er ist also nicht bei sich. Er ist nicht authentisch.
Authentisch sein bedeutet für mich, dass ich fähig bin, meine eigenen Gedanken und Gefühle im Zusammenhang und Vergleich mit den übereinstimmenden oder widersprechenden Gedanken und Gefühlen anderer zu hinterfragen und so eine gewisse Distanz zu ihnen zu entwickeln – bevor ich sie lauthals in die Welt hinaus trage. Ich nenne das Selbstführung. Sie ist für mich ein wesentliches Element von Authentizität. Ein Fähnchen im Wind der Gefühle ist nicht authentisch.
Und es bedeutet für mich auch, sich kontinuierlich um rationale Überprüfung der eigenen Gefühlslage zu bemühen. Gefühle sind wichtig, können aber auch trügerisch sein. Ihnen blind zu vertrauen mag manchmal naheliegen, aber empfehlenswert ist es ganz sicher nicht.
„Will ich mich authentisch zeigen oder mich hinter meinen Gefühlen verstecken?“ Das ist für mich die Frage, mit der Sie, ich und jeder andere auch eine beruhigende Distanz zu der emotionalen Schnelligkeit, die heutzutage herrscht, schaffen kann. „In der Ruhe liegt die Kraft“ mag ein altmodischer Gedanke sein. Man könnte ihn aber auch einfach cool finden.
Da ich für mein OUBEY MINDKISS Projekt die verschiedenen Plattformen des Social Web selbst nutze, kenne ich die Reaktionsweisen anderer Nutzer und die damit verbundenen Herausforderungen aus eigener Erfahrung. Hier einige persönliche Gedanken.
Durch die digitale Vernetzung ist es unglaublich leicht geworden, persönliche Meinungen zu verbreiten. Das ist gut, denn so werden auch Menschen gehört, die sonst keine Öffentlichkeit hätten. Und so kann auch jeder Zugang zu Informationen und Meinungen haben, die das eigene Wissen erweitern und neue Erkenntnisse ermöglichen. Das kann aber auch etwas ganz anderes bewirken, indem es einen speziellen menschlichen Zug ins uns verstärkt: den Hang zur Rechthaberei.
Wie oft wird nur noch dem zugestimmt und das weitergeleitet, was der eigenen Meinung entspricht – ohne je geprüft zu haben, ob diese Meinung in diesem Fall tatsächlich fundiert begründet ist. Im Umkehrschluss werden Informationen oder Meinungen, die nicht ins eigene (Welt)Bild passen, ignoriert oder schlimmstenfalls in einem „shitstorm“ sogar geächtet.
Es fiel Menschen wahrscheinlich schon immer schwer, abweichende Meinungen nicht nur zu tolerieren, sondern womöglich gar als Anregung fürs eigene Denken zu betrachten. Und noch schwerer fiel es uns schon immer, eigene Irrtümer oder Fehler in der Betrachtung oder Bewertung eines Sachverhalts zuzugeben. Irrtümer oder Fehler zuzugeben, wird als Zeichen der Schwäche gesehen.
Sowohl die Geschwindigkeit als auch die Struktur der Kommunikation im Social Web scheint diese menschliche Neigung zur Rechthaberei im Sinne einer permanenten Selbstbestätigung des eigenen Denkens zu fördern – zulasten einer differenzierteren Betrachtung von Sichtweisen, die von der eigenen Meinung abweichen.
Wirkliche Dialoge finden zu selten statt. Weil wir uns zu oft zu wenig mit den abweichenden Meinungen anderer auseinandersetzen. Der ideologische Aspekt in der Meinungsbildung spielt dann eine immer stärkere Rolle, denn je weniger ich bereit bin, mich mit den Informationen, die mich erreichen, wirklich kritisch im Sinne einer Diskussion auseinanderzusetzen, umso mehr schwimme ich auf der Welle der Meinungsmacher mit. Bin verführbar durch die scheinbare Richtigkeit der Meinung der Vielen.
Im Dialog hat die Wirklichkeit immer mindestens drei Seiten: Eine, die ich sehe, eine, die Du siehst, und eine Seite, die keiner von uns Beiden sieht. Man kann sie auch mit einem Würfel vergleichen: Niemals sehe ich von meinem Standpunkt aus alle Seiten eines Würfels, der vor mir liegt. Um alle Seiten zu sehen, muss ich ihn umdrehen oder brauche die ergänzende Perspektive anderer Menschen. Das ist stark. Und das bedeutet: Auch zugegeben zu können, dass der eigene Standpunkt nicht der einzig richtige sein muss.
Sich selbst – und anderen gegenüber – eigene Grenzen und Schwächen eingestehen zu können, ist aus meiner Sicht ein Ausdruck von Stärke. Kein Mensch ist unfehlbar. Nur wer auch eigene Irrtümer und Fehler zugeben kann, ist wirklich stark und menschlich zugleich. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass wir in diesem Sinne auch die großartigen Möglichkeiten des Social Web ganz anders und viel besser nutzen können. Denn es bietet die Möglichkeit eines konstruktiven Diskurses. Ob diese Möglichkeit genutzt wird, liegt allein am Verhalten eines jeden einzelnen der Millionen Nutzer.
Ein revolutionäres Unterfangen, das den Grundsatz „form follows function“ als Befreiungsformel von den Schönheitsmaßstäben einer bürgerlichen Gesellschaft verstand, die dem 19. Jahrhundert entstammte. Und die anstrebte, bessere Wohn- und Lebensverhältnisse für alle Menschen zu schaffen.
Innerhalb eines Jahrzehnts wurde ein neuer, moderner, klarer Stil entwickelt. Dabei wurden die eigenen Gestaltungsgrundsätze zum absoluten Maßstab und Nonplusultra für alles erklärt, was Design, Kunst, Handwerk und Architektur betraf und manche Anhänger des Bauhauses sehen das auch heute noch so.
Ich sehe das differenzierter. Ja, das Bauhaus war ein Fortschritt im Kontext der Zeit, weil es neue Denk- und Gestaltungsräume erschlossen hat. Und ja, das Bauhaus war wichtig, vielleicht sogar notwendig, um ein neues Verständnis von wesentlichen Aspekten und Dingen des Lebens zu gewinnen.
Doch wenn ich mir anschaue, was sich in der Tradition des „Form Follows Function“ und unter Berufung auf die Prinzipien des Bauhauses in den letzten 60 Jahren an Stadt- und Wohngestaltung ausgebreitet hat, dann sehe ich hier eine gewaltige Diskrepanz zwischen diesem einst absoluten Anspruch und dem, was in der Realität daraus geworden ist .
Was folgte war Normierung und Standardisierung unter dem Maßstab der Ökonomisierung – quadratisch, praktisch, gut. Öde und gleichförmige Wohnlandschaften, die kein wirkliches Zusammenleben ermöglichen. Gigantische Silos, in denen Menschen an Stadträndern in aufgetürmten Schuhschachteln leben..
Zugegeben – im Vergleich zu primitiven Altbauwohnungen im Hinterhof ohne Zentralheizung und sanitäre Grundausstattung waren diese Bauten tatsächlich ein Fortschritt. Doch mit einem ästhetischen Anspruch auf gestalterische Schönheit, die der Funktion folgt, haben sie nichts gemeinsam.
Die Schönheit der architektonischen Bauhaus-Ästhetik, die es aus meiner Sicht in den originalen Bauten wirklich gab und noch immer gibt, beschränkt sich heute auf einige, zum Teil luxuriöse Ausnahmebeispiele. In der massenhaften Anwendung hat sich das einstige Versprechen jedoch nicht bewahrheitet. Hier braucht es heute ganz andere, neue Konzepte, wie sie in lokalen und regionalen Projekten – ohne Absolutheitsanspruch – ja auch realisiert werden.
Doch nicht nur das, was in Fortsetzung der Grundgedanken des Bauhauses nach dem Zweiten Weltkrieg das Bild unserer Städte geprägt hat, gibt Anlass zur kritischen Hinterfragung.
Noch ein ganz anderer Aspekt bringt mich in eine distanzierte Haltung zum Absolutheitsanspruch des Bauhauses und seiner Gründer. Obwohl es sehr viele weibliche Mitglieder gab – phasenweise waren sogar mehr Frauen als Männer am Bauhaus tätig – sind sie bis heute weitestgehend unbekannt geblieben. Denn bis zu seiner Auflösung durch die Nationalsozialisten war das Bauhaus eine durch und durch männlich dominierte Organisation.
Vor allem dem 100jährigen Jubiläum ist es zu verdanken, dass die Frage nach den Frauen im Bauhaus nun zum ersten Mal öffentlich beleuchtet wird. So auch in einem sehr interessanten Bericht über „Die Frauen im Bauhaus“, der vor kurzem auf Arte TV ausgestrahlt wurde. Wenn man diesem sorgfältig recherchierten Bericht folgt, wurden selbst begabteste und ambitionierte Frauen bewusst von relevanten Leitungsfunktionen ausgeschlossen und auch von den öffentlichkeitswirksamen Aufgaben ferngehalten. Stattdessen wurden sie vorzugsweise den handwerklichen Bereichen, allen voran der Weberei zugeteilt. Umso interessanter zu erfahren, dass die Bauhaus-Frauen aus der ihnen verordneten Nische heraus mit ihren Teppichen, Möbeln und Kinderspielzeug damals nicht nur gestalterisch, sondern auch ökonomisch ausgesprochen erfolgreich waren.
Was die Akzeptanz qualifizierter Frauen im Bauhaus als gleichwertige und gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe betrifft, waren dessen männliche Gründer und Protagonisten dann doch noch eher dem 19. Jahrhundert zugewandt als einer revolutionären Grenzüberschreitung in die Zukunft.
Heute ist gemieteter Wohn- und Lebensraum vor allem zu einer Frage von Menge, Preis und Rendite geworden. Das Thema wurde politisch lange vernachlässigt, wenn nicht gar ignoriert. Nun fehlt es akut und massiv an bezahlbarem Wohnraum. Da tauchen plötzlich Enteignungsfantasien auf, doch Gestaltungsfragen wie sie einst vom Bauhaus gestellt wurden, spielen schon seit langem keine Rolle in der öffentlichen Diskussion. Das halte ich für einen großen Mangel. Deshalb würde ich mir – trotz aller Widersprüche, die dem Bauhauskonzept innewohnten – dann heute doch eine so radikal umdenkende und zukunftsorientierte Kraft wünschen wie sie das Bauhaus mit seinen Impulsen vor 100 Jahren für die damalige Gesellschaft war.
Eigentlich ein unbedeutender Austausch, der mich dann aber doch ins Nachdenken darüber brachte, wie unterschiedlich Menschen ihre Lebenssituation empfinden und bewerten. Und wie manchmal gerade diejenigen, denen es richtig gut geht, am lautesten jammern über die Ungerechtigkeiten dieser Welt, während andere, die tatsächlich kein einfaches Leben haben, dennoch eine innere Zufriedenheit ausstrahlen.
Vielleicht denken Sie jetzt, dass es manchmal hilft, wenn man über seine Gedanken und Gefühle mit einem anderen Menschen sprechen kann, und dass es gut tut, wenn man jemanden hat, der zuhört. Da stimme ich Ihnen zu. Doch das nenne ich nicht Jammern.
Echtes Jammern ist wie eine gedankliche Endlosschleife. Es dreht sich im Kreis und findet kein wirkliches Ende, denn es hat nicht gar das Ziel ein Ende zu finden. Es ist Ausdruck einer seltsamen Lust am unzufrieden Sein oder – anders herum betrachtet – am Nichtzufriedensein wollen. Es ist nie genug und nie gut genug.
Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen in den Wohlstandsgesellschaften im Schnitt deutlich unzufriedener mit ihren Lebensverhältnissen sind als Menschen in ärmeren Ländern. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich möchte hier nicht den Zustand der Armut romantisieren. Es geht mir um das „Jammern auf hohem Niveau“, wie Lothar Späth es einmal zurecht genannt hat.
Wenn ich alles schlecht rede und dauernd an das denke, was andere haben, ich aber nicht habe, dann geht es mir letztlich irgendwann auch schlecht – nicht materiell, aber geistig. Denn diese Lebenseinstellung verbreitet negative Energie, macht krank und ändert nichts an der Situation, führt nicht zu einer positiven Entwicklung oder Lösung. Jammern hilft nicht. Das Einzige, was hilft, ist es zu ändern – und seien die ersten Schritte auch noch so klein.
Und wenn man eine Situation nicht ändern kann? Wenn eine Naturkatastrophe die Lebensgrundlage zerstört oder der unerwartet plötzliche Tod eines geliebten Menschen die Welt ins Wanken bringt? Natürlich kann ich verstehen, wenn Menschen in einer solchen Situation auch jammern, weil sie erkennen, dass sie dieses „Schicksal“ nicht ändern können. Den Schmerz, die Trauer und auch die Wut über die eigene Ohnmacht in einer solchen Situation kenne ich aus eigener Erfahrung nur zu gut.
Und doch habe ich die eine Frage, die mich ins Jammern hätte führen können, nie gestellt und das ist die Frage nach dem „Warum“. Warum musste OUBEY so jung sterben? Diese Frage führt ins Nichts, denn auf sie gibt es keine Antwort – jedenfalls nicht in dieser Welt. Wir können unser Leben in vielerlei Hinsicht sehr wohl beeinflussen und gestalten, aber manche Dinge haben wir einfach nicht in der Hand. Das akzeptieren zu können hilft. Wir haben die Unwägbarkeiten des Lebens nicht verstanden, wenn wir davon ausgehen, dass wir von Schicksalsschlägen verschont bleiben, während andere davon getroffen werden. Das ist nicht selbstverständlich.
Deshalb sollten wir dankbar sein für die guten Erfahrungen und die schönen Zeiten, die wir schon erlebt haben und immer noch erleben dürfen. Wer dankbar ist, der kennt kein Jammern.
Wer jammert, befindet sich in einer Wahrnehmungsfalle: Man sieht gar nicht mehr die guten Dinge, nur die schlechten. Und wenn man immer nur über die schlechten Dinge redet, gibt es einen verstärkenden Rückkopplungseffekt – sie erscheinen immer noch schlechter. Das Jammern lebt also vom Jammern. Aber es ist eine Beschwerde ohne Adressaten, es richtet sich an niemand Konkreten. Es ist eine Form, Verantwortung abzugeben. Wer laut jammert, bekommt Aufmerksamkeit, muss aber nichts ändern. Manche wollen das vermutlich auch gar nicht.
Ich halte mich an die Menschen, die zuerst einmal die Realitäten anerkennen so wie sie sind, ohne darüber zu jammern. Das bedeutet ja keineswegs, sich mit allem abzufinden – im Gegenteil: Es ist wie es ist bedeutet nicht, dass es so bleibt wie es ist. Für mich ist das lediglich eine Ausgangsbasis, von der aus ich sehen und überlegen kann, was ich aus dem Hier und Heute machen kann, wie es sich entwickeln und verändern lässt. So entstehen neue Möglichkeiten, das Leben bleibt interessant und spannend.
Solange wir leben, können wir immer etwas ändern – und sei es das eigene Verhalten. Es gibt die unglaublichsten Geschichten über Menschen, die aus scheinbar ausweglosen Situationen wieder herausgefunden haben und ein gutes Beispiel dafür sein können, was möglich ist, wenn man nicht jammert, obwohl das Leben einen an die eigenen Grenzen bringt.
So versuche ich zu leben. Und das wünsche ich Ihnen – und der Dame am Nebentisch – auch.