Beispiele für die Gegenthese gab es schließlich zu allen Zeiten bis zum heutigen Tag mehr als genug.

OUBEY war bereits in jungen Jahren auf die Monadologie gestoßen und von der ihr zugrunde liegenden Metaphysik des Wilhelm Gottfried Leibniz fasziniert. Als Philosoph, Mathematiker, Physiker, Metaphysiker, Vordenker dessen was wir heute Computer nennen und einigem mehr gilt er vielen bis heute als letztes wirkliches Universalgenie.

Nicht dem gefeierten Newton, sondern dem lange Zeit verkannten Leibniz und dessen Monadologie widmete OUBEY deshalb eins seiner frühen Bilder und nannte es „Die Reise der Monaden“.

Dieses Bild begegnete und begeisterte in den vergangenen vier Monaten als Teil der „Art of Resonance Show“ im Mind Museum Manila so vielen Menschen wie nie zuvor. Das allein wäre Grund genug, die Monadologie von Leibniz noch einmal genauer zu studieren.

Dann las ich kürzlich einen Kommentar, der die These von der besten aller möglichen Welten zitierte, um sie ad absurdum zu führen angesichts der Abgründe, in die Menschen und Völker auch im 21. Jahrhundert stürzen als sei Geschichte nichts, woraus man etwas für die Zukunft lernen könnte, und mit dieser Begründung die Idee eines göttlichen Ursprungs dieser Welt gleich mit in Frage zu stellen.

Ich fühle mich keineswegs berufen, an dieser Stelle über die Existenz eines Gottes zu philosophieren. Doch so viel sei angemerkt, dass es auffällig ist, wie leicht uns die Unzulänglichkeit oder auch Nicht-Existenz eines Gottes in den Sinn kommt, wenn uns Schlimmes widerfährt – sei es individuell oder kollektiv, verursacht durch Naturgewalt oder durch die brutale Gewalt, die Menschen und ganze Völker anderen Menschen und anderen Völkern antun wie wir es auch in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts direkt oder indirekt erleben. Und dies ganz besonders dann, wenn selbst die barbarischsten Grausamkeiten ausgerechnet im Namen eines Gottes verübt werden.

Was OUBEY an der Leibniz´schen Monadologie faszinierte war weniger dessen damit verknüpfte Theodizee, sondern das ihr innewohnende Verständnis von der Freiheit, Einzigartigkeit und Unteilbarkeit einer jeden Monade, das heißt einer jeden Seele in diesem Universum. Kühn und selbst vielen heutigen Denkern immer noch weit voraus, gehörte für Leibniz nicht nur die eigene Spezies Mensch, sondern alles was im Universum existiert zu den beseelten Wesen.

Wobei der Mensch – so jedenfalls der bisherige Stand der Erkenntnis – als einzige Spezies auf diesem Planeten mit einem freien Willen ausgestattet ist, der über angeborenes Instinkt- und Gattungsverhalten hinausgeht und Entscheidungen ermöglicht wie sie kein anderes Wesen treffen kann. Und das, wenn es die Situation erfordert, auch entgegen eigener Instinkte und Triebe. Entscheidungen wie die, ob man einem anderen Menschen aus welchen Gründen auch immer zu schaden bereit ist, ob man einen oder gar viele Menschen zu töten bereit ist, oder ob man auf einen eigenen Vorteil zugunsten eines anderen Lebewesens zu verzichten in der Lage ist – nur einige wenige Beispiele für Entscheidungen des Willens.

Diese Welt ist nach Leibniz nicht deshalb die beste aller möglichen Welten, weil sie perfekt, das heißt vollkommen und in jeder Hinsicht fehlerfrei ist. Sondern weil sie den Menschen als einziges Gattungswesen auf dieser Welt mit einem freien Willen ausgestattet hat. Eine perfekte Welt und ein freier Wille ihrer Bewohner, sich für die eine oder andere Verhaltensweise zu entscheiden – das schließt sich aus. Auch über die Frage wie frei der menschliche Wille denn wirklich sei, wurde seit Zeiten gestritten.

Stellen wir uns einfach mal das Gegenteil vor: eine wirklich perfekte Welt. Wohl nicht erst seit Thomas Morus im Jahr 1516 sein philosophisches Traktat mit dem Titel „Utopia“ veröffentlichte, haben Menschen von einer perfekten Welt geträumt, einem Paradies auf Erden. Wie klug die Leibniz´sche Sicht auf Welt und Mensch war, erkennt man an den V ersuchen, derartige Utopien zu verwirklichen. Sowohl in Form kleiner, sektiererischer Gemeinschaften als auch in Form großer gesellschaftlicher Verwirklichungsversuche endeten alle mit einer größtmöglichen Unfreiheit des Einzelnen. Dass diese Systeme immer wieder von einzelnen verlassen oder im gesellschaftlichen Kollektiv überwunden werden, ist ein sehr beweisstarkes Zeugnis von der Kraft und Macht des freien Willens.

Für Leibniz gibt es keinen perfekten, idealen oder gar paradiesischen Urzustand dieser Welt und es gab ihn auch nie. Ganz im Unterschied zum Glauben daran, dass eine menschliche Sünde zum Grund für die Vertreibung aus solch einem einstigen Paradies wurde – quasi als Strafe – und dass seither jeder Mensch mit einer „Erbsünde“ geboren wird. Da gefällt mir die Idee eines Universums, das zugunsten der Freiheit menschliche Fehler und selbst Katastrophen und Verbrechen in Kauf nimmt, eindeutig besser. Beweisbar ist ohnehin weder das eine noch das andere.

Freiheit schafft Raum für Mögliches, fürs Überschreiten von Grenzen – im Denken wie im Tun, im Positiven wie im Negativen. Freiheit bedeutet aber immer auch Verantwortung. Jeder entscheidet jeden Tag, wie er seine Freiheit nutzt, um diese Welt einen besseren Ort werden zu lassen oder auch nicht, und trägt dafür die Verantwortung. Sei es im Kleinen, sei es im Großen.

In der „besten aller möglichen Welten“ ist die Freiheit eine Bedingung. Vermutlich war dies einer der Gründe, weshalb ein unbändiger Freigeist wie OUBEY dieser Idee von Leibniz ein Bild widmete. Und vielleicht lebt dieser Geist der Freiheit in diesem Bild so stark, dass es bis heute nahezu jeden Menschen, der es sieht, unmittelbar in seinen Bann zieht.

In der Kombination aus dem allen neigen wir dazu, das, was groß, laut und sichtbar ist, in seiner Bedeutung für uns zu überschätzen und das, was klein, unhörbar und unsichtbar ist, in seiner Bedeutung für uns zu unterschätzen.

Wenn man sich die technologische und industrielle Entwicklung der letzten 250 Jahre anschaut, und hierbei dann insbesondere die der letzten zwanzig Jahre ins Auge fasst, dann gewinnt dieser Sachverhalt eine brisante Bedeutung.

Als ich einmal mehrere Stunden im „Museum of Science and Industry“ in Manchester verbrachte, wurde meine bisherige Vorstellung von dem, was die „Erste industrielle Revolution“ in Europa, insbesondere und zuerst in England vor 150 bis 200 Jahren genannt wird, auf eine neue Erlebnisbasis gestellt.

Gigantische Maschinen, mehrere Meter hoch und viele Meter lang, angetrieben zunächst durch Dampf, später durch elektrische Energie, reihen sich dort in der riesigen „Power Hall“ aneinander. Es sind ausgewählte gut erhaltene Exemplare, die repräsentativ für hunderte ihrer Art stehen, die damals in den sich ausbreitenden Fabriken immer öfter zum Einsatz kamen.

Wie mag der Anblick solcher Maschinen wohl auf Menschen im 19. Jahrhundert gewirkt haben, die nie zuvor etwas Ähnliches gesehen hatten? Die bis dahin eigenständig ihr „Handwerk“ verrichtet hatten – sei es in der Landwirtschaft, in ihrer eigenen Werkstatt oder in einer Manufaktur. Wie fremdartig und furchterregend muss die erste Begegnung mit dem monströsen Getöse von Maschinen dieser Art gewesen sein und wie lange mag es gedauert haben, bis Menschen sich an diese neue Substanz in ihrem Leben gewöhnt hatten – ganz unabhängig von den damit verbundenen Arbeits- und Lebensverhältnissen, für die bis heute der Begriff des „Manchester Kapitalismus“ steht.

Diese Veränderung war radikal und sie war brutal. Vor allem aber war sie substanziell physisch erlebbar. Was sich veränderte, war sichtbar, laut und groß und insofern entsprach es dem Wahrnehmungssystem des Menschen wie er es seit zigtausenden von Jahren entwickelt hatte. Eine gigantische Dampfmaschine war als das erkennbar, was sie ist.

Heute stehen wir am Beginn einer anderen Revolution, in der eine neue Art von Technologie und Maschinen herrschen. Das sind nicht mehr die großen sichtbaren Ungetüme, die Dampf und Hitze verbreiten und uns ihren Rhythmus aufzwingen. Es sind Algorithmen, unsichtbare, unhörbare, aber ungeheuer wirkungsvolle Mechanismen, auf die unser Wahrnehmungssystem nicht eingerichtet ist. Virtuelle, substanzlose Welten entstehen. Wir erkennen sie nicht auf den ersten Blick als das was sie sind. Sie zwingen uns nicht, sie verführen uns. So tappen wir von einer Falle in die nächste und fühlen uns dennoch frei und gut in der vermeintlichen Komfortzone.

Unsere Spezies hat sich eine Welt geschaffen, die von zunehmendem Substanzverlust lebt. Was aber bedeutet das? Hier kommt der Philosoph Ludwig Wittgenstein ins Spiel, dem dieser Beitrag seinen Titel verdankt: „Hätte die Welt keine Substanz, so würde, ob ein Satz Sinn hat, davon abhängen, ob ein anderer Satz wahr ist. Es wäre dann unmöglich, ein Bild der Welt (wahr oder falsch) zu entwerfen.“  (Aus: Tractatus logico-philosophicus, 2.0211/2.0212).

Als Paul Watzlawick sein ebenso kluges wie unterhaltsames Buch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ schrieb, ahnte er nichts von Wirklichkeitskonstruktionen dieser Art. Auf eine physisch nahezu unmerkliche, sehr leise, unsichtbare, aber dennoch ungeheuer wirkungsvolle Weise stellt uns diese neue Revolution vor die Frage, wie gut und wie schnell wir unser Wahrnehmungssystem und unser Bewusstsein schärfen und weiterentwickeln können, um mit den scheinbar unmerklich und zugleich rapide wachsenden Veränderungseinflüssen intelligent und selbstbewusst umgehen zu können. Im großen Verwirrspiel um Wahrheit und Fake entsteht eine bisher nicht gekannte Art von Realitätsverlust. Die Matrix lässt grüßen. Dass wir fortlaufend Informationen und Daten abgeben, lässt sich heute schon gar nicht mehr verhindern. Doch das Wissen und das Bewusstsein von dieser Entwicklung wächst. Und solange Menschen im Spiel sind, entsteht niemals eine Kraft ohne eine Gegenkraft zu erzeugen.

Das neue Zeitalter ist noch jung. Vor uns liegen einige Dekaden, in denen Weichen gestellt werden.

 

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Bild: Gerd Altmann, Public Domain (Creative Commons CC0 1.0 Universell))

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