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Comics – ein Genre zwischen Kinderkram, Kunst und Kommerz

Als im letzten Jahr Stan Lee verstarb, der Gründer des „Marvel“ Imperiums, Erfinder von Superhelden wie Spider Man und neben Walt Disney wohl die einflussreichste Größe im weltweiten Comic Markt, gab es Nachrufe in den Feuilletons namhafter Zeitschriften weltweit. Sie würdigten ihn und die Bedeutung seines Schaffens für die kulturelle Entwicklung der zurückliegenden Jahrzehnte. War das der Ausdruck eines Sinneswandels oder nur eine Verbeugung vor seinem überwältigenden kommerziellen Erfolg?

Kinderkram

Es gab eine Zeit, in der galten Comics unter Erwachsenen bestenfalls als Kinderkram, unter strengen Pädagogen als minderwertiger Schund. Dank meiner Mutter, die für mich irgendwann die „Micky Maus“ abonnierte, hatte ich entgegen dem damaligen Zeitgeist jahrelang das Vergnügen, jede Woche ein neues Heft im Briefkasten zu finden, das ich mit größtem Vergnügen las. Das habe ich ihr bis heute nicht vergessen.

Es war die Zeit, in der die Trennungslinie zwischen „E“ und „U“, also zwischen ernsthafter Kunst einerseits und vergnüglicher Unterhaltungskultur andererseits streng gezogen wurde. Vor allem, wenn die Unterhaltung aus Amerika kam. Der trivial-unterhaltsame Bereich, zu dem neben Comics auch die englischsprachige Pop- und Rockmusik gehörten, wurde ausgegrenzt und fand seine Heimat zunächst nur in den eigenen Welten der Jugend – und der Subkultur.

Kunst

Inzwischen haben Comics nicht nur längst Einzug in die Erwachsenenwelt gehalten, sondern sind auch – zurecht wie ich finde – als Teil der Kultur und Ausdrucksform von Kunst anerkannt. OUBEY sah das schon immer so. Seine Comic Sammlung war schon immer beachtlich und wuchs im Laufe der Jahre kontinuierlich an. Darin finden sich unter anderen auch viele der wunderbaren Publikationen des Zeichners Jean Giraud, der sich selbst Moebius nannte, sowie die Bände der japanischen Comic Serie „Akira“. Sie zeichnen sich nicht nur durch ihre herausragende zeichnerische Qualität aus, sondern ebenso durch die philosophischen Themen, die in Geschichten wie „Die luftdichte Garage“ behandelt werden. Der Band „Zu den Sternen“, dessen Coverbild Sie im Header dieses Beitrags finden, ist „eines der faszinierendsten Science Fiction Abenteuer, die Moebius je zu Papier gebracht hat“, kommentierte der Verlag bei dessen Veröffentlichung. Moebius wurde hierfür im Jahr 1984 vom französischen Kulturminister Jack Lang mit dem Großen Staatspreis Frankreichs für Graphische Künste ausgezeichnet.

Kommerz

Spätestens seit Stan Lee die Comic-Helden der Marvel-Welt auf die große Leinwand brachte, gehört das Genre zum Mainstream. Heute kommt kaum ein Kinogänger mehr an ihnen vorbei. Und mit dem zugehörigen Merchandising werden Milliarden erwirtschaftet. Stan Lee, ein Superheld des Marketing. Ist es allein dem gekonnten Marketing eines Stan Lee zuzuschreiben, dass die einst verpönten Comics nicht zuletzt dank ihrer aufwendigen Verfilmungen zum „Kulturgut“ wurden?  

Eine uralte Sehnsucht

Wohl auch, aber da gibt es aus meiner Sicht noch einen anderen, tieferliegenden Grund. Die Grenzen haben sich aufgeweicht, das Denken wurde offener und die Sehnsucht der Menschen nach fabelhaften und fantastischen Heldengeschichten hat in vielen Comics eine neue Ausdrucksform gefunden. 

Diese Sehnsucht ist nicht neu. Sie fand ihren Ausdruck bereits in den alten Götter- und Heldensagen und zeigt sich heute, im Spiegel der Zeit, in neuem Gewand. Der Fantasie, die in diesen unwahrscheinlichen Geschichten mit ihren unverwüstlichen Helden lebendig wird, liegt ein Bedürfnis nach der Unbesiegbarkeit des Guten zugrunde. Dieses Bedürfnis wird in den Comics auf sehr unterhaltsame Weise befriedigt. Die rationale aufgeklärte Welt findet hier ihren vergnüglichen Gegenpart, der gelegentlich auch durchaus politische Anspielungen enthält. Das gilt übrigens nicht nur für die sich irgendwie alle ähnelnden Helden der Marvel Comics. Das galt und gilt auch noch immer für sehr viele andere Comic-Serien, die vielleicht etwas in die Jahre gekommen sind wie z.B. Asterix & Obelix oder das ebenso winzige wie allgewaltige Marsupilami.

„Aber was daran ist nun Kunst?“ werden Sie vielleicht fragen. 

Freiheit der Fantasie

Diese Frage werde ich hier sicher nicht beantworten können. Aber ich sehe Gemeinsamkeiten zwischen dem, was Kunst genannt wird und dem, was man Comic nennt. 

Die Idee, diesen Beitrag zu schreiben, kam in einem Gespräch auf, das ich vor einiger Zeit mit jemandem über OUBEY führte. Aufgrund der zum Teil sehr tiefgründigen, vielschichtigen Bilder und Zeichnungen, die er von OUBEY kannte, war er sehr erstaunt, als ich im Gespräch irgendwann erwähnte, dass OUBEY auch gerne mal Comics zeichnete.  

Bereits als Schüler verfasste und produzierte er selbst eine eigene Comicserie: „Die Abenteuer des André Noir“. Da es damals noch keine öffentlichen Kopiergeräte gab, er aber möglichst viele Exemplare herstellen und verkaufen wollte, zeichnete er jedes einzelne Heft mit der Hand.   

In der Kunst ist alles möglich. Das gilt ganz besonders auch für Comics. Hier werden neue Wesen, neue Welten und neue Universen geschaffen und visualisiert. Das Denken bekommt Flügel und entführt sich selbst in den freien Raum der Fantasie. Wenn ich mir manche Bilder und Zeichnungen von Paul Klee anschaue, der ohne Frage ein wirklich großer Künstler war, dann wird der Zusammenhang für mich klar erkennbar. Mit einem Teil von OUBEYs Werken geht mir das genauso.

Aus meiner Sicht ist es ein Fortschritt, dass die Grenzen nicht mehr so dogmatisch gezogen werden. Kunst erweitert ihr Spektrum und das, was Spaß macht, wird nicht mehr per se ausgegrenzt.

Starre Grenzen sind für den Geist eine Herausforderung, die er überwinden will. Dass das immer wieder und immer öfter gelingt, finde ich sehr gut, sehr erfrischend und eine wertvolle Entwicklung.

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Headerfoto: Moebius – Zu den Sternen (Cover), Schwermetall Band 5, 1987

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