Blog

DIE EXPERTISE DER LAIEN

OUBEYs Werke waren unerschlossen als er starb. Nie hatte sich ein Kunst-Experte, ein anderer Künstler oder sonst wer dazu geäußert – selbst OUBEY nicht. Er hat seine Arbeiten nie erklärt.

Als ich dann vor der Aufgabe stand, sein bis dahin verborgen gebliebenes Vermächtnis an die Öffentlichkeit zu bringen, war das für mich zunächst eine schwierige Situation, denn ich wollte auf keinen Fall in die Rolle kommen, nun diejenige sein, die sich zu seinem Werk äußert und den Eindruck erweckt, als könne sie seine Bilder erklären. Und natürlich wollte ich in OUBEYs Sinne handeln und seiner Haltung treu bleiben. Also  war ich nicht an Erklärungen interessiert. Vielmehr fragte ich mich, wie es gelingen könnte, seine Bilder in einen hochwertigen Prozess des Entdeckens aus vielfältigen und interessanten Perspektiven heraus zu bringen. Wäre hier die Meinung eines Kunstexperten oder eines anderen Künstlers hilfreich?

Meine Antwort auf diese Frage lautete: Nein! Stattdessen reiste ich mit den Bildern zu Personen, die sich professionell mit den gleichen Themen und Fragen auseinandersetzen wie OUBEY: Astronomen, Astrophysiker, Biologen, Mathematiker, Quanten- und Komplexitätsforscher, Musiker, Philosophen und Komponisten. Mit den Erkenntnissen dieser Wissenschaften hatte auch OUBEY sich zeit seines Lebens auf sehr hohem Niveau auseinandersetzt. Im Laufe der Begegnungen zeigte sich, wie richtig meine Entscheidung für diesen Weg gewesen war. 

Filterfreies Kunsterleben

„Ich muss Sie warnen: Ich habe keine Ahnung von Kunst!“ war oft die erste Aussage, bevor jemand sich auf das „Encounter“-Erlebnis mit einem bis dahin unbekannten Bild von OUBEY vor laufender Kamera einließ. Meine ehrliche Antwort in diesen Fällen war jedes Mal dieselbe: „Wunderbar! Genau deshalb bin ich heute mit diesem Bild hier bei Ihnen.“

„Unmittelbarkeit ist für meine Bilder das Entscheidende“, meinte OUBEY einmal. Unmittelbarkeit entsteht in der direkten, ungefilterten, emotionalen Begegnung zwischen Bild und Betrachter. Genau das kennzeichnet die „Encounters“ mit OUBEY, die als Videodokumentationen online zu sehen sind. Sie zeigen ein ungewöhnliches, breites und enorm  abwechslungsreiches Spektrum an ebenso fundierter wie spontaner Resonanz – frei von jeglichem Anspruch auf  Kunstexpertise.

Musik wirkt anders 

Wenn wir von Kunst reden, denken wir meist erst einmal an Malerei. Denken wir aber zum Beispiel mal an die Musik und die Möglichkeiten, die ein jeder Mensch heutzutage hat, Musik zu hören wann immer und wie oft er will. Das geht mit der Malerei so nicht. Ich kann mir zwar auch zuhause Bilder anschauen, die online stehen oder in Kunstbüchern abgebildet sind – doch beim Fahrradfahren, Walken oder anderen Aktivitäten kann ich sie nur schwerlich anschauen, Musik dagegen kann ich sehr wohl hören. 

Musik erreicht die Menschen einfacher und direkter als jede andere Kunstart. Das gilt nicht nur für die medial vermittelte Musik. Auch Konzerte haben eine eigene Qualität und emotionale Dynamik, die sich von Kunstausstellungen deutlich unterscheidet. Auch im Musikbetrieb gibt es natürlich die Filterfunktion eines Expertentums ähnlich den Kunstexperten im Galeriebetrieb oder Kunsthandel. 

Doch seit Menschen ihre musikalischen Präsentationen auf YouTube online stellen können, hat sich hier eine Freiheit, so etwas wie eine bis vor kurzem noch unbekannte Demokratisierung durchgesetzt. Jeder kann hochladen, jeder kann runterladen. Views, Likes, Shares und Downloads sind Ausdruck der unmittelbaren Reaktion auf das Gehörte bzw. Gesehene durch eine breite weltweite Öffentlichkeit. 

Man könnte jetzt natürlich einwenden, das sei dann ja nur noch „Massengeschmack“. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass hinter jeder dieser Reaktionen ein Individuum steht, dem das, was es sieht hört oder sieht gefällt oder nicht gefällt. Das ist zwar so nicht einfach auf die Malerei übertragbar. Doch die Erfahrungen, die ich bisher mit der Nutzung des Internets zur Verbreitung von OUBEYs Kunst gemacht habe, bestätigen mich darin, diesen ungewöhnlichen und innovativen Weg weiter zu gehen und den so entstandenen Resonanzraum Schritt für Schritt zu erweiterten.

In Sachen Kunst ist ein Gefühl schon ein guter Einstieg

Selbstverständlich ist es gut und wichtig, dass auch Experten sich zu Wort melden, wenn es um Kunst geht. Es ist aber ebenso gut und wichtig, sich erst einmal seine eigene Meinung zu bilden. Umso interessanter ist es, sich später dann auch eine Expertenmeinung anzuhören und mit der eigenen Meinung abzugleichen. Oft genug haben übrigens ja auch verschiedene Experten sehr unterschiedliche Meinungen über dieselbe Sache. 

Deshalb finde ich es gut, wenn Menschen sich im Museum die Zeit und die Freiheit nehmen, sich die Ausstellungsstücke in Ruhe anzuschauen und sich erst einmal selbst fragen „Welche Gedanken und Gefühle löst das Bild in mir aus? Was lese und erkenne ich selbst darin?“ Denn bei allen intellektuellen Überlegungen, die dabei auch eine Rolle spielen, ist es zu allererst immer eine Gefühlsreaktion, die uns mit einem Kunstwerk verbindet. 

More

Newsletter