Wie war es möglich, dass Blütenpflanzen, deren erstes Erscheinen in der Evolutionsgeschichte aufgrund versteinerter Funde heute auf die Zeit vor 140 – 250 Millionen Jahren datiert werden kann, überhaupt entstehen und sich seither mit evolutionsgeschichtlicher Höchstgeschwindigkeit zu einer Vielfalt von mehr als 100.000 Arten entwickeln konnten?

 

Zunächst war alles grün

Bis dahin hatte es dreieinhalb Milliarden Jahre lang lediglich Algen gegeben, die unter Wasser lebten, aber keinerlei Pflanzen, die auf der Erde Wurzeln schlagen. Aus den Algen entwickelten sich Moose und vor ca. 400 Millionen Jahren dann die Farne als allererste Stengelpflanzen in der Geschichte dieses Planeten.

Das Farn hat alle Zeitalter der Erdgeschichte überlebt und wird womöglich auch alles, was diesen Planeten in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten erwartet, überstehen – in filigraner Schönheit und organischen Robustheit. Ein wohl einzigartiges Beispiel an pflanzlicher Resilienz.

Als ich vor vielen Jahren einmal die Gelegenheit hatte, mit erfahrener Begleitung in die Tiefen eines Kohlebergwerks hinabzusteigen, entdeckte ich beim Kriechgang durch ein enges Flöz aus dem Augenwinkel heraus im Schein meiner Grubenlampe den Abdruck eines Farns in einem Stück Kohle. Nie zuvor und nie danach bin ich in meinem Leben den Spuren der Evolutionsgeschichte so nah gewesen wie in diesem Moment. Ich war berührt und hielt inne. Dann ergriff ich dieses Stück Kohle, das vor wieviel Jahrmillionen auch immer dieses Farnblatt in sich aufgenommen hatte, und setzte meinen Kriechgang von da an nur noch einhändig abgestützt fort. In der anderen Hand hielt ich das versteinerte Farn und halte es bis heute mit einer Mischung aus Zuneigung und Respekt in Ehren.

 

Dann wurde es bunt

Wie andere Vorgänger der heutigen Blütenpflanzen war und sind auch Farne sogenannte doppeltgeschlechtlicher Nacktsamer. In seiner bisexuellen DNA verbargen sich allerdings die Anlagen zum Hervorbringen eines Bedecktsamers, d.h. einer Blüte. Blütenpflanzen sind also aufgrund des genetischen Erbes der Nacktsamer entstanden. Sie verfügen mit ihrer Blüte, die in ihrem inneren Aufbau ein „architektonisches“ Meisterwerk der Natur darstellt, allerdings über ein Fortpflanzungsorgan, das sich nicht selbst befruchten kann, sondern auf die Zusammenarbeit mit anderen Lebewesen angewiesen ist – Bienen, Schmetterlingen und anderen Insekten.

Zum Zweck ihrer Fortpflanzung entwickelten Blütenpflanzen Eigenschaften, die auf alle Arten tierischer Bestäuber eine starke Anziehungskraft ausüben wie bunte Farben und ausströmende Düfte. Und dank der Fremdbestäubung kam es zu einer sich ausbreitenden Vermischung bzw. Kreuzung der Arten, da diverse Insekten die Samen von einer Blüte zu anderen Blüten transportierten und dort hinterließen. Heute machen Blütenpflanzen 90% der pflanzlichen Artenvielfalt aus.

 

Darwin wäre begeistert

Erst 150 Jahre nach Darwin haben Paläobotanikerinnen im 21. Jahrhundert dank modernster high tech das für Darwin seinerzeit noch unfassbare Rätsel aufgelöst. Er wäre sicher begeistert.

Weniger begeistert wäre er vermutlich, wenn er vom menschlichen Umgang mit dieser Vielfalt in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bis zur heutigen Zeit wüsste. Der natürliche Wildwuchs an Blütenpflanzen wie es ihn einst auf Wiesen und an Wegrändern gab, wurde zunehmend zurückgedrängt durch eine auf den Anbau von Nutzpflanzen orientierten industrialisierten Landwirtschaft ebenso wie von der Versiegelung der Erdoberfläche durch den Ausbau asphaltierter Flächen und die Anlage von Gärten, in denen bunte Wiesenblumen als Unkraut eliminiert und durch gepflegten Rasen oder getrimmte Nadelhölzer in schwarzem Kies ersetzt wurden.

Jeder menschliche Eingriff in das kybernetische System der Natur hat Folgen. Verschwinden die Blumen, dann verschwinden in der Folge auch deren Bestäuber. Wir wissen das schon lange. Und haben damit begonnen Bienen zu züchten so wir Wälder züchten und industrialisierten Ackerbau betreiben. Doch kybernetische Systeme funktionieren nicht in linear monokausalen Wirkungsketten. Sie sind komplex. Mal sehen wie lange es dauern wird bis unsere Spezies das wirklich begriffen haben wird. Die Naturforscher jedenfalls haben es begriffen. Sie kämpfen für den Erhalt der pflanzlichen Artenvielfalt.

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