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Die erstaunliche Geschichte von der Entstehung des MINDKISS Buchs

Zu den vielen außergewöhnlichen Geschichten, die das MINDKISS Projekt mittlerweile hervorgebracht hat, gehört ohne Frage die Geschichte des OUBEY MINDKISS Buchs. Vielleicht haben Sie dieses Buch schon mal irgendwo gesehen und erinnern sich an den fulminanten weißen Schuber, der eher einer Skulptur gleicht als dem, was man üblicherweise unter einem Schuber versteht?

Die Idee, ein Buch über OUBEY und seine Kunst zu veröffentlichen war die erste Idee, die mir nach seinem Tod durch einen Verkehrsunfall im Jahr 2004 in den Sinn kam. Doch wie müsste ein Buch konzipiert und gestaltet sein, das ihm und seiner Kunst gerecht wird? Schnell war klar, dass der Gedanke zwar gut und naheliegend war, aber noch seine Zeit brauchte.  Ich stellte die Buchidee erst mal zurück und entschied mich für den damals sehr innovativen Weg übers Internet. Mit einer Website über OUBEY und seine Kunst würde ich wesentlich mehr Menschen erreichen können und interaktiv wäre sie obendrein auch noch.

Zu diesem Zeitpunkt lernte ich durch einen glücklichen Zufall den Grafikdesigner Stefan Sagmeister kennen und fragte ihn, ob er eventuell das Design für den Internetauftritt von OUBEYs Kunst entwerfen würde. Seine Antwort: „Ich mache keine Websites, nur Bücher.“ „Ein Buch brauche ich auch“ erwiderte ich spontan. Er lächelte. So landete ich bei der Suche nach einem Webdesigner zu meiner Überraschung ein Jahr später dann wieder bei der Buchidee.

In unbeschwerter Ahnungslosigkeit

Die Frage, ob es tatsächlich Zufall gibt oder nicht, hat schon viele Philosophen beschäftigt. In meinem Fall ist klar, dass ich meine erste Begegnung mit einem der besten und inzwischen wohl auch berühmtesten Grafikdesigner der Welt nicht dem Zufall verdankte, sondern vielmehr dem Zusammenwirken einiger gut vernetzter Menschen, die ihre Freude daran hatten, das Ganze hinter meinem Rücken zu arrangieren. Sie schleusten mich in eine Reisegruppe von Kunstmäzenen auf deren Reise nach New York ein,  und ließen mich wissen, wann und wo diese Gruppe Herrn  Sagmeister treffen würde – drei Tage später in New York.

Also flog ich drei Tage später zum ersten Mal in meinem Leben nach New York. Als ich ihn dort tatsächlich traf, hatte ich noch immer keine Ahnung, wer er eigentlich war, welch tolle Projekte er bereits für Stars wie Lou Reed, die Talking Heads oder die Rolling Stones gemacht hatte und schon gar nicht, dass er dafür mit dem Grammy und anderen großen Preisen überhäuft worden war. Ein Star unter den Designern. In unbeschwerter Ahnungslosigkeit ging ich auf ihn zu und fragte. Sein freundliches Lächeln ermutigte mich.

 Nicht Ja, nicht Nein

„Bevor ich Ja oder Nein sage, muss ich erst einmal Arbeiten von OUBEY sehen. Ich übernehme nur Projekte, von denen ich selbst absolut überzeugt bin“, war seine Reaktion. Das schreckte mich nicht, ganz im Gegenteil: Von diesem Moment an war ich mir sicher, dass er der Richtige für dieses Buchprojekt sein würde. „Dann komme ich in ein paar Monaten noch einmal mit Bildern von OUBEY im Gepäck“ meinte ich. Und so war es dann auch.

Als ich ein halbes Jahr später mit meinem Laptop voller Bilder bei ihm im Studio saß, schaute er sie sich in aller Ruhe an. Ich spürte, dass er sie interessant fand und fragte ihn zum zweiten Mal. Seine Antwort war weder Ja noch Nein. Stattdessen fragte er mich einfach: „Was halten Sie von fünf Bänden in einem schönen Schuber?“

Ich war auf Anhieb begeistert. Mit wenigen Blicken auf einige Bilder hatte er sowohl die Vielfalt als auch die Konsistenz in OUBEYS Kunst erkannt. Beides fand schließlich im MINDKISS Buch seinen kongenialen und sensationellen Ausdruck: Fünf zierliche Bände, die die Unterschiedlichkeit und Eigenständigkeit von OUBEYs Arbeit zum Ausdruck bringen, vereint in einem grandiosen Schuber, der zeigt, das alles miteinander verbunden ist. 

Eine optische Sensation

Ein ganzes Jahr war ich damit beschäftigt, die Bilder für die verschiedenen Bände auszusuchen und die Reihenfolge ihres Erscheinens in jedem Band zu entscheiden. Auf dieser Basis begannen Stefan und sein Team, allen voran Roy Rub und Seth Labenz, mit der Ausgestaltung. Im Innern bekam jeder Band sein eigenes Farbklima, im Cover waren sie sich alle gleich: strahlend metallisches Silber. Selbst eine eigene Schrift wurde für dieses Buch entwickelt – sehr mathematisch und zugleich von großer Transparenz und Leichtigkeit. Rätselhaft für jeden, der sie zum ersten Mal sieht, aber dennoch lesbar. Auf dem Buchrücken jedes Bands eine Ansammlung kleiner Pixel. Wenn die Bände in einer bestimmten Reihenfolge zusammenstehen, dann ergibt sich das Wort „OUBEY“. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus und als dann ein Paket mit dem Prototyp des Schubers bei mir ankam, war ich sprachlos. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen.

Erst als wir soweit gekommen waren, ging für mich die Textarbeit los.

Kleider für den Erkenntnisprozess

Ich wandte mich an einen renommierten Texter, der auf der Grundlage meines Inputs für jeden Band einen längeren Einführungstext schrieb. Sehr gute Texte. Doch ich spürte, dass sie nicht das waren, was ich für das Buch wollte.

Während einer hochspannenden Diskussion half mir dann die unlängst verstorbene Annemarie Monteil aus Basel, Kunstkritikerin und Freundin, auf die Sprünge: „Weißt du, Dagmar, das Beste an den Texten sind die Originalzitate von OUBEY. Alles andere schmälert die Kunst, weil es ihr nur Kleider überzieht, die sie nicht braucht.“

Wow, das saß. Denn wir waren mit den Texten zu diesem Zeitpunkt eigentlich fertig. Aber ich wusste sofort, dass sie Recht hat. Und ich bin, wenn es notwendig ist, radikal und konsequent genug, um etwas vollkommen neu zu überdenken. Das Bessere ist der Feind des Guten.

Alles neu

Die Texte schrieben im konventionellen Stil von Kunstbüchern und Katalogen über OUBEYS Kunst. Da schrieb jemand dem Leser vor, wie er die Bilder zu finden hat. Aber OUBEYS Kunst sollte jeder für sich selbst entdecken. Die Menschen sollten seiner Kunst so frei begegnen wie möglich, und nicht schon durch die honorige Stimme eines Dritten irgendeinem Interpretationsschema folgen. 

Also war klar: Wir brauchen neue Texte!

Stefan Sagmeister war ein bisschen geschockt. Er begann wohl langsam daran zu zweifeln, ob das Buch jemals fertig werden würde. Doch zum Glück war durch die mehrjährige Zusammenarbeit mittlerweile so viel Vertrauen entstanden, dass er mir abnahm, dass ich gute Gründe für diese Kehrtwendung hatte und am Ende etwas Besseres dabei herauskommen würde. Natürlich sind solche radikalen Entscheidungen immer auch mit einem Risiko verbunden. Doch ich war mir nun absolut sicher: OUBEYS Kunst sollte nicht beschrieben, erklärt oder interpretiert werden. Nicht in diesem Buch und auch in keiner anderen Produktion des Projekts. Diesem Grundsatz bin ich bis heute treu geblieben.

So gibt es in den fünf Bänden des Buchs jeweils nur drei kurze Texte: Ein Originalzitat von OUBEY selbst, ein Stück Text aus einem Buch oder ein Gedicht, das OUBEY viel bedeutet hat, und am Ende noch ein kurzer Text von mir, in dem es aber ausschließlich um Hintergrundgeschichten zur Entstehung der Bilder geht. 

Die einzige Möglichkeit

Diese neue Textstruktur zu entwickeln, hat noch einmal ein paar Monate gedauert – und mir dabei viel Freude bereitet. Auf meiner Odyssee zu dem, was MINDKISS ausmacht, war ich an einem Punkt großer Klarheit angelangt, nicht nur für das Buch.

2010 war es dann endlich soweit. Das Buch erschien im Deutschen Kunstverlag – limitierte Auflage, 1000 einzeln nummerierte Exemplare, und es erhielt auch bald drei bedeutende Preise für sein herausragendes Design. Gemeinsam mit der ersten Version der Website www.oubey.com und dem Film „OUBEY Experience“ wurde es im ZKM Karlsruhe am 23. März 2010 der Öffentlichkeit präsentiert. Noch sind nicht alle Exemplare verkauft, doch es wird definitiv keine Neuauflage geben. So wie die Geschichte dieses Buchs einzigartig ist, wird auch das Buch einmalig bleiben. 

Oft werde ich gefragt, ob ich eins von OUBEYs Bilder verkaufen würde. Und viele, die einen Encounter mit einem seiner Bilder erlebt haben, hätten dieses Bild gerne bei sich behalten. Aber da ich ja keines von OUBEYS Bildern verkaufe und die Bilder nur selten in der Öffentlichkeit zu sehen sind, wurde das Buch zu einer Möglichkeit, wie Menschen OUBEYS Kunst nicht nur kennenlernen, sondern auch mit nach Hause nehmen können.

Und wenn mir glückliche Besitzer des Buches dann gelegentlich ein Foto zuschicken, auf dem das Buch in einem Regal, einer Vitrine, auf dem „Lesetisch“ oder im Schaufenster des eigenen Geschäfts zu sehen ist, dann freue ich mich darüber, dass der lange und sehr ungewöhnliche Entstehungsprozess dieses Buches zu einem Ergebnis geführt hat, das nicht nur bedeutende Preise eingebracht hat, sondern auch Menschen wirklich begeistern kann. Von meinem eigenen Lernprozess in dieser Geschichte einmal ganz abgesehen. 

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