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UNSER GEHIRN IST KEINE PERFEKTE MASCHINE UND DAS IST AUCH GUT SO

Vor einigen Wochen habe ich mir zum ersten Mal die Talkrunde von Markus Lanz im Fernsehen angeschaut und ich war positiv überrascht. Nicht nur, weil Lanz in meinen Augen ein guter und kritischer Gastgeber war, sondern vor allem auch weil er mit dem Neurowissenschaftler Henning Beck einen Gast in der Runde hatte, der auf unterhaltsame Weise seine interessanten Erkenntnisse über die Funktionsweise unseres menschlichen Gehirns vorstellte.

Am Ende des Abends sah ich mich in meiner Auffassung bestätigt, dass Lernen und Innovation nur möglich sind, wenn Fehler und Imperfektion erlaubt und akzeptiert sind. Denn Perfektion ist nicht immer und für alles das Beste.
Wie das, werden Sie vielleicht fragen. Perfektion ist doch anstrebenswert und Fehler sind schlecht und deshalb zu vermeiden. So lernen wir es ja auch schon in der Schule. Fehler werden mit dem Rotstift markiert und mit einer schlechten Note bestraft. Die Botschaft ist klar: Alles muss richtig und perfekt sein. Ob es auch wirklich nützlich ist, steht auf einem anderen Blatt.

Das Gute am Nicht-Perfekten

Kein Mensch ist perfekt und auch unser Gehirn macht Fehler – und davon keineswegs wenige und das ist gut so. Das ist geradezu großartig! Unser Gehirn ist kein Computer mit Festplatte und Arbeitsspeicher, auf der alles was wir lernen, wissen und erleben fix gespeichert wird und jederzeit in dieser fixierten Form abgerufen werden kann. Unser Gehirn ist immer in Aktion, verknüpft und vernetzt permanent Altes mit Neuem. Unser Gedächtnis funktioniert nicht als „Fotoalbum“ der persönlichen Geschichte, sondern unterstützt uns dabei, mit dem Neuen in der Gegenwart gut und erfolgreich umgehen zu können. In diesem Prozess vergisst es auch vieles, was uns in der Gegenwart belasten oder behindern könnte – ohne dass wir das bewusst wahrnehmen oder beeinflussen können. Unser Gehirn reagiert und agiert ununterbrochen auf das, was es interessant findet. Was es nicht interessant findet, wird gar nicht erst wahrgenommen, denn auf Langeweile ist es definitiv nicht ausgelegt. Es liebt und braucht immerzu neue Impulse, um sich zu entwickeln und schafft auch selbst immer wieder Neues, bringt Ideen und Innovationen hervor.

Wir sehen nie alles

Dass in diesem Prozess auch Fehler passieren, versteht sich von selbst. Als Beispiel brachte Henning Beck bei Markus Lanz ein Filmbeispiel, das ich schon seit vielen Jahren kenne und auch selbst immer wieder eingesetzt habe, um zu zeigen, dass die scheinbare Schwäche unserer Wahrnehmung durchaus auch eine Stärke ist. Dieses Beispiel ist die sogenannte Gorilla-Studie. Für diese Studie zeigten die Psychologen Christopher Chabris und Daniel Simons einigen Versuchspersonen einen Film, in dem sechs Basketballspieler umherlaufen und sich gegenseitig den Ball zuwerfen. Drei trugen weiße, drei schwarze T-Shirts. Die Aufgabe für die Versuchspersonen lautete: „Zählen Sie die Pässe der weiß gekleideten Spieler“. Irgendwann lief im Film dann ein Schauspieler im Gorillakostüm durch die Szene – eigentlich unübersehbar, sollte man meinen. Doch die meisten Probanden bemerkten ihn nicht und so war es auch bei Markus Lanz und seinen Gästen, als sie diesen Film sahen.

Der eingeschränkte Fokus

Warum sehen so viele Menschen den unübersehbaren Gorilla nicht? Weil sie sich derart stark aufs Zählen der Ballwechsel der Spieler mit weißem Trikot konzentrieren, dass sie alles andere ausblenden – sogar den Gorilla. Manche erkennen und beachten zwar den Gorilla, können dann aber nicht mehr die Ballwechsel weiterzählen und wissen am Ende nicht, wie oft sich die Spieler mit weißem Trikot tatsächlich den Ball zugespielt haben.
Beides gleichzeitig zu fokussieren schafft unser Gehirn nicht. Die Aufmerksamkeit unseres Gehirns ist immer auf etwas Spezielles ausgerichtet. Im Blick auf das Spezielle ist es dann vielleicht perfekt. Das ist eine wichtige Qualität. Aber im Blick auf die gesamte Szenerie ist unser Gehirn nicht perfekt. Deshalb sehen zwei Menschen, wenn sie eigentlich dasselbe sehen, nicht zwangsläufig wirklich dasselbe. Das zu wissen und anzuerkennen ist sehr wichtig fürs eigene Selbstverständnis, aber auch für das Verständnis im Miteinander und auch für unser Verständnis von der Welt.

Fehler ermöglichen Lernen, Fortschritt und Innovation

Wie man konstruktiv mit Fehlern umgehen und damit Erstaunliches erreichen kann, zeigt uns das Silicon Valley seit vielen Jahren. „Du kannst nicht innovativ sein, wenn Du nicht experimentierst und dabei immer wieder Fehlschläge erlebst“ lautet dort die Devise. Auf ein einziges verwendbares Ergebnis kommt jede Menge an Fehlversuchen. Erst ab dann geht es darum, das bestmögliche, perfekte Ergebnis zu erzielen. Space X und Hyperloop sind eindrucksvolle Beispiele hierfür.
Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass sich diese Erkenntnisse nicht nur verbreiten, sondern auch zu neuem praktischen Handeln führen: in der familiären Erziehung, in Schulen und Universitäten und auch in Organisationen und Unternehmen. Je mehr Menschen dies begreifen und akzeptieren, desto mehr Chancen und Möglichkeiten werden sich auftun und damit auch ganz neue Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit. Davon bin ich fest überzeugt.
Was also hält uns eigentlich davon ab, uns solche Möglichkeiten selbst zu eröffnen?

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