Thoughts & Insights
27 Cube Memory System
Als ich OUBEY irgendwann einmal fragte, was „27 Cube Memory System“, der Titel seines einzigen Triptychons, genau bedeutet, schaute er mich mit einem sehr besonderen Blick an und meinte ohne zu zögern: „Das musst Du den Fritz Haller fragen“. Dabei blieb es, bis ich 2005, im Jahr nach OUBEYs Tod, mit dem originalen Triptychon im Laderaum meines Wagens zu Fritz Haller nach Bern fuhr, um ihn zu fragen.
Fritz Haller und OUBEY waren sich in den Jahren 1981/82 an der Universität Karlsruhe begegnet, wo OUBEY Architektur studierte und Haller kurz zuvor den Lehrstuhl für „Baugestaltung und Baukonstruktion“ übernommen hatte. In der ersten gemeinsamen Nacht unseres Lebens, als wir uns Geschichten aus unserem bisherigen Leben erzählten und unsere Zukunftsideen austauschten, gehörten OUBEYs begeisterte Schilderungen von der Person seines Professors und Projekten wie „Integral Urban“ oder „Prototypische Raumkolonien“, die er durch Fritz Haller kennengelernt hatte, zu dem, was mir bis heute lebendig im Gedächtnis geblieben ist.
Fritz Haller gehörte zu den ganz wenigen Menschen, deren Autorität OUBEY nahezu uneingeschränkt anerkannte. Ein gelernter Zimmermann, der als Autodidakt das etablierte universitäre Umfeld mit seiner visionären Vorstellungskraft und seiner unkonventionellen Vorgehensweise weit überragte. So jedenfalls sah es OUBEY und empfand den Professor als ermutigendes Modell dafür, wie weit man es bringen kann, wenn man sich nicht den Konventionen unterwirft und seinen eigenen Weg geht. Und Haller akzeptierte den jungen OUBEY, der so gar nicht ins Schema des braven, fleißigen, ehrgeizigen Architekturstudenten passte. Wenn andere Klappstühle entwarfen, wie es die Aufgabe verlangte, entwickelte OUBEY stattdessen den Rotationsvektor und damit die Basis eines eigenen und eigenwilligen mathematischen Ansatzes. „Haller akzeptierte das als Ergebnis für die Entwicklung eines Klappstuhls und meinte, das sei interessant. Daran solle ich weiterarbeiten“, erzählte OUBEY 1992. Was Haller dann letztlich selbst tat, weil OUBEY das Ganze nicht weiterverfolgte.
Die herausragende Bedeutung, die Haller für den jungen OUBEY am Scheideweg zwischen Architektur und Kunst hatte, wird insbesondere aus der Tatsache ersichtlich, dass OUBEY ihm ein Triptychon widmete, das er nach der „mehrzelligen Grundstruktur orthogonaler Systeme“ benannte, die von Haller entwickelt worden war: 27 Cube Memory System. Außer Fritz Haller gibt es nur zwei Personen, denen OUBEY je ein Bild gewidmet hat: Gottfried Wilhelm Leibniz mit dem Bild „Die Reise der Monaden“ und Albert Einstein mit dem Bild „Einsteins Tränen“, dessen Titel zugleich auch auf den Titel eines Perry Rhodan Romans anspielt.
Das „27 Cube Memory System“ erklärt den grundsätzlichen Aufbau eines jeden Würfels, der sich aus insgesamt 27 Würfeln, bestehend aus vier unterschiedlichen Würfeltypen, zusammensetzt. Das Ganze funktioniert nur, wenn die Würfel, die sich durch eine unterschiedliche Zahl offener Seiten voneinander unterscheiden, in der richtigen Weise angeordnet werden. Ein intelligentes Bausystem, bestechend, scheinbar einfach, aber keineswegs trivial.
Im gleichnamigen Triptychon geht es aber weniger um das Würfelsystem, wenngleich sich im mittleren Bildteil viele Anspielungen darauf finden lassen sowie auch der Name „Fritz Haller“ – eingeritzt in die äußere Kruste der dick aufgetragenen Farbschicht. Der Name ist nur zu finden, wenn man aus großer Nähe gezielt danach sucht. Haller selbst hat ihn trotz fortgeschrittener Parkinsonerkrankung erstaunlicherweise sofort erkannt, als ich 2005 das Bild zu ihm brachte. Eine große Fotoreproduktion des Triptychons mit einer Widmung ließ ich als Erinnerung an das außergewöhnliche und auch außerirdische Wiedersehenzwischen Haller und OUBEY in Bern und erhielt meinerseits als Geschenk den umfangreichen Katalog zu Hallers Einzelausstellung im Berliner Gropius Bau, die OUBEY und ich seinerzeit leider verpasst haben. In den sieben folgenden Jahren bis zum Tod von Fritz Haller, besuchte ich ihn und seine Frau jedes Jahr und so wurden wir Freunde.
In diesem dreiteiligen Bild, so sagte es OUBEY als wir einmal mehr über dieses Bild sprachen, findet auch der für ihn existenzielle Entscheidungsprozess des Jahres 1983 seinen künstlerischen Ausdruck: Architektur studierend und dabei die Kunst in sich tragend = durch die Begegnung mit Haller, dem großartigen Architekten, ermutigt dem Herzen zu folgen und eigenen Weg zu gehen = und so die Architektur hinter sich lassend, um fortan als freier Künstler zu leben und zu arbeiten. Dies ist unschwer lesbar, wenn man sich dem Bild intensiv widmet. Doch ohne das Wissen um diesen persönlichen Hintergrund des Werks würde man es vielleicht einfach nur so sehen, dass unser Weg vom Leben – das ja als Leben immer auch ein Sterben ist – durch den Tod in die Freiheit des Geistes und der Seele führt. Der Tod steht nicht am Ende, sondern im Zentrum. Er ist Brücke, Tor und Schlüssel aus der hiesigen körperlich gebundenen Existenzform des Geistes in eine andere, immaterielle energetische Form. Auch diese Sichtweise auf das Bild hat OUBEY selbst einmal geäußert in jenem Gespräch im Jahr 1992. Dieser Sichtweise folgend habe ich im Mai 2005, als ich von meinem Besuch beim inzwischen verstorbenen Fritz Haller aus Bern zurückkam, meine eigenen Gedanken zu diesem Bild in Form eines Gedichts zum Ausdruck gebracht. Ob und wenn ja wann ich es veröffentlichen werde, weiß ich noch nicht.
Das rechte Flügelbild des Triptychons erlebte übrigens bereits zweimal einen Encounter – einer davon steht online und zeigt seine Begegnung mit der Maori Violinistin Elena. Sie hatte von alldem, was in diesem Beitrag zu lesen ist, selbstverständlich nicht die geringste Ahnung. Umso interessanter sind ihre Assoziationen und Entdeckungen. „Das leidenschaftliche Rot sehnt sich nach der Freiheit im unendlichen Blau“ war einer der Gedanken in dem anderen dieser beiden Encounter, der nicht online steht.
Nach zehn Jahren Projektarbeit und fünf Jahren OUBEY MINDKISS in der Öffentlichkeit, ist eine wichtige Phase des Projekts abgeschlossen und eine nächste Phase beginnt. Zahlreiche Menschen haben sich zu diesem Triptychon geäußert, mit interessanten Unterschieden und erstaunlichen Übereinstimmungen. Die Gefahr einer verengten Sichtweise besteht nicht mehr. Zudem ist die Serie der persönlichen Encounters mit OUBEYs Bildern beendet – abgesehen von dem einzigen bisher noch unerfüllt gebliebenen Wunsch einer Begegnung mit einem Astronauten. Das Triptychon wird also sicher nicht zu einem Encounter reisen. Deshalb kann ich heute erstmals einen Gedanken wie diese veröffentlichen und Ihnen damit auch OUBEY selbst vielleicht ein wenig näher bringen. Ich freue mich darüber, dass das möglich ist und denke, OUBEY sieht das genauso.
Wenn Sie sich das Mittelbild des Triptychons mit seinen Einritzungen gerne einmal aus nächster Nähe anschauen und den Namen von Fritz Haller finden wollen, können Sie dies beim„Virtuellen 360 Grad Besuch“ in OUBEYs Atelier tun.
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