Thoughts & Insights

Time Out of Mind

Wir können die Zeit nicht anhalten. Aber wir können sie vergessen. Zeit bedeutet im tiefsten Grund immer Lebenszeit und als solche ist sie das wertvollste Gut für jedes körperliche Wesen auf dieser Welt. Nur der Geist (sagte Erwin Schrödinger) und die bedingungslos freie Liebe (sage ich) stehen über der Zeit.

 

Meine Entscheidung, nach mehr als zehn Jahren ununterbrochenen und lustvollen Tuns im MINDKISS Projekt eine Auszeit von unbestimmter Dauer einzulegen, war reiflich überlegt. Ich war mir des Risikos bewusst, dass diese Pause eventuell das Ende des Projekts bedeuten könnte. Aber lieber wollte ich dieses Risiko in Kauf nehmen, als der Verführung zu erliegen, auf dem bis dahin so erfolgreichen Weg in Wiederholungschleifen stecken zu bleiben. Im „Mehr vom Selben“ sah ich das noch größere und wahre Risiko. Dann lieber das „Nichtstun“ wagen.

Was mich konkret in dieser Auszeit erwarten würde, wie sich das ungewohnte „Nichtstun“ anfühlen würde und was dieser Schritt für mein weiteres Leben bedeuten könnte, war nicht wirklich absehbar. In meinem Innersten war ich mir aber dennoch sicher, dass genau diese Entscheidung zu diesem Zeitpunkt richtig und gut ist – für mich selbst genauso wie fürs MINDKISS Projekt. Ein Hauch von Abenteuer.

 

Was kam, war kein dolce vita, sondern herausfordernde Arbeit an tiefliegenden Widersprüchen. Einerseits freute ich mich auf das Freisein, andererseits spürte ich auch eine bis dahin nicht gekannte Unsicherheit. Täglich meldeten sich Fragen und Zweifel, erinnerten mich daran, dass jeder Tag zählt, dass ein nicht genutzter Tag ein verschwendeter Tag ist und dass das Leben schneller zu Ende sein kann als man denkt.

„Was ist ein genutzter Tag?“ fragte ich zurück. Und wer entscheidet eigentlich über das, was für mich und OUBEY in meinem Leben von Bedeutung ist? Kann ein genutzter Tag nicht auch ein Tag sein, an dem man einmal alles vergisst? An dem man einfach nur hier ist und sich die Zeit gibt, den Raum des Möglichen neu zu erforschen? Ohne zu wissen, ja sogar ohne wissen zu wollen, wohin das alles führt, wo man sich irgendwann vielleicht wiederfindet oder ob man sich überhaupt irgendwann  wiederfindet?

Es dauerte lange bis das Fragen und Zweifeln irgendwann aufhörte. Manchmal ist es wichtig, einfach nur durchzuhalten und nicht aufzugeben. Dafür braucht man Selbstvertrauen, sage ich heute, und danke meinem Selbstvertrauen für seine unerschütterliche Ausdauer in dieser Zeit. Und ich danke OUBEY, denn es war nie seine Stimme, die diese Fragen stellte und diese Zweifel äußerte. Es war meine eigene.

So verschwand die Zeit aus meinem Denken. Ich begann den neu gewonnenen Freiraum als Erlebnisraum zu genießen. Es war ein wenig so wie damals, als Kind in den Anfängen meines Lebens. Als Kind lebst Du zeitbefreit, ganz und gar im Hier und Jetzt, vergisst beim Spielen dich selbst und alles um dich herum und die Vorstellung eines nächsten Tages ist schon eine sehr weitgehende Vorstellung.

Nach und nach tauchten immer öfter Momente der Lust auf Neues und Nächstes auf. Ihnen folgten bald erste Überlegungen und Ideen wie es im Projekt auf ganz neue Weise weitergehen könnte. Dass es jemals dahin kommen würde, war weder geplant noch vorhersehbar gewesen. Dass es nun so weit kam, erfüllt mich umso mehr mit Freude.

Die Erfahrungen mit meiner „Time out of Mind“ sind nun Teil meiner Lebenserfahrung. Ich nehme sie mit hinein in alles, was ich weiterhin tun werde und somit auch in meine gerade beginnende Vorbereitungsarbeit für die nächste Etappe des MINDKISS Projekts. Bis die Ergebnisse dieses Tuns öffentlich sichtbar werden, braucht es allerdings noch seine Zeit.

PS: Seinem 30. Studioalbum, das im Jahr 1997 erschien, gab Bob Dylan den Titel „Time Out of Mind“. Dieses erste originale Album nach einer Schaffenspause von sieben Jahren erhielt prompt drei Grammies – darunter auch den fürs beste Album des Jahres.

Im Vergleich mit dem vorhergangengen (Under the Red Sky) und dem danach folgenden Album (Love and Theft) markiert es aus meiner Sicht nicht nur ein grandioses „Comeback“, sondern vor allem den bedeutsamen Übergang zu dem, was manche sein „Spätwerk“ nennen, das heute, rund zwanzig Jahre später, noch immer am Wachsen ist.

https://en.wikipedia.org/wiki/Time_Out_of_Mind_(album)

Foto: By Source, Fair use, https://en.wikipedia.org/w/index.php?curid=20131867

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