Beispiele für die Gegenthese gab es schließlich zu allen Zeiten bis zum heutigen Tag mehr als genug.

OUBEY war bereits in jungen Jahren auf die Monadologie gestoßen und von der ihr zugrunde liegenden Metaphysik des Wilhelm Gottfried Leibniz fasziniert. Als Philosoph, Mathematiker, Physiker, Metaphysiker, Vordenker dessen was wir heute Computer nennen und einigem mehr gilt er vielen bis heute als letztes wirkliches Universalgenie.

Nicht dem gefeierten Newton, sondern dem lange Zeit verkannten Leibniz und dessen Monadologie widmete OUBEY deshalb eins seiner frühen Bilder und nannte es „Die Reise der Monaden“.

Dieses Bild begegnete und begeisterte in den vergangenen vier Monaten als Teil der „Art of Resonance Show“ im Mind Museum Manila so vielen Menschen wie nie zuvor. Das allein wäre Grund genug, die Monadologie von Leibniz noch einmal genauer zu studieren.

Dann las ich kürzlich einen Kommentar, der die These von der besten aller möglichen Welten zitierte, um sie ad absurdum zu führen angesichts der Abgründe, in die Menschen und Völker auch im 21. Jahrhundert stürzen als sei Geschichte nichts, woraus man etwas für die Zukunft lernen könnte, und mit dieser Begründung die Idee eines göttlichen Ursprungs dieser Welt gleich mit in Frage zu stellen.

Ich fühle mich keineswegs berufen, an dieser Stelle über die Existenz eines Gottes zu philosophieren. Doch so viel sei angemerkt, dass es auffällig ist, wie leicht uns die Unzulänglichkeit oder auch Nicht-Existenz eines Gottes in den Sinn kommt, wenn uns Schlimmes widerfährt – sei es individuell oder kollektiv, verursacht durch Naturgewalt oder durch die brutale Gewalt, die Menschen und ganze Völker anderen Menschen und anderen Völkern antun wie wir es auch in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts direkt oder indirekt erleben. Und dies ganz besonders dann, wenn selbst die barbarischsten Grausamkeiten ausgerechnet im Namen eines Gottes verübt werden.

Was OUBEY an der Leibniz´schen Monadologie faszinierte war weniger dessen damit verknüpfte Theodizee, sondern das ihr innewohnende Verständnis von der Freiheit, Einzigartigkeit und Unteilbarkeit einer jeden Monade, das heißt einer jeden Seele in diesem Universum. Kühn und selbst vielen heutigen Denkern immer noch weit voraus, gehörte für Leibniz nicht nur die eigene Spezies Mensch, sondern alles was im Universum existiert zu den beseelten Wesen.

Wobei der Mensch – so jedenfalls der bisherige Stand der Erkenntnis – als einzige Spezies auf diesem Planeten mit einem freien Willen ausgestattet ist, der über angeborenes Instinkt- und Gattungsverhalten hinausgeht und Entscheidungen ermöglicht wie sie kein anderes Wesen treffen kann. Und das, wenn es die Situation erfordert, auch entgegen eigener Instinkte und Triebe. Entscheidungen wie die, ob man einem anderen Menschen aus welchen Gründen auch immer zu schaden bereit ist, ob man einen oder gar viele Menschen zu töten bereit ist, oder ob man auf einen eigenen Vorteil zugunsten eines anderen Lebewesens zu verzichten in der Lage ist – nur einige wenige Beispiele für Entscheidungen des Willens.

Diese Welt ist nach Leibniz nicht deshalb die beste aller möglichen Welten, weil sie perfekt, das heißt vollkommen und in jeder Hinsicht fehlerfrei ist. Sondern weil sie den Menschen als einziges Gattungswesen auf dieser Welt mit einem freien Willen ausgestattet hat. Eine perfekte Welt und ein freier Wille ihrer Bewohner, sich für die eine oder andere Verhaltensweise zu entscheiden – das schließt sich aus. Auch über die Frage wie frei der menschliche Wille denn wirklich sei, wurde seit Zeiten gestritten.

Stellen wir uns einfach mal das Gegenteil vor: eine wirklich perfekte Welt. Wohl nicht erst seit Thomas Morus im Jahr 1516 sein philosophisches Traktat mit dem Titel „Utopia“ veröffentlichte, haben Menschen von einer perfekten Welt geträumt, einem Paradies auf Erden. Wie klug die Leibniz´sche Sicht auf Welt und Mensch war, erkennt man an den V ersuchen, derartige Utopien zu verwirklichen. Sowohl in Form kleiner, sektiererischer Gemeinschaften als auch in Form großer gesellschaftlicher Verwirklichungsversuche endeten alle mit einer größtmöglichen Unfreiheit des Einzelnen. Dass diese Systeme immer wieder von einzelnen verlassen oder im gesellschaftlichen Kollektiv überwunden werden, ist ein sehr beweisstarkes Zeugnis von der Kraft und Macht des freien Willens.

Für Leibniz gibt es keinen perfekten, idealen oder gar paradiesischen Urzustand dieser Welt und es gab ihn auch nie. Ganz im Unterschied zum Glauben daran, dass eine menschliche Sünde zum Grund für die Vertreibung aus solch einem einstigen Paradies wurde – quasi als Strafe – und dass seither jeder Mensch mit einer „Erbsünde“ geboren wird. Da gefällt mir die Idee eines Universums, das zugunsten der Freiheit menschliche Fehler und selbst Katastrophen und Verbrechen in Kauf nimmt, eindeutig besser. Beweisbar ist ohnehin weder das eine noch das andere.

Freiheit schafft Raum für Mögliches, fürs Überschreiten von Grenzen – im Denken wie im Tun, im Positiven wie im Negativen. Freiheit bedeutet aber immer auch Verantwortung. Jeder entscheidet jeden Tag, wie er seine Freiheit nutzt, um diese Welt einen besseren Ort werden zu lassen oder auch nicht, und trägt dafür die Verantwortung. Sei es im Kleinen, sei es im Großen.

In der „besten aller möglichen Welten“ ist die Freiheit eine Bedingung. Vermutlich war dies einer der Gründe, weshalb ein unbändiger Freigeist wie OUBEY dieser Idee von Leibniz ein Bild widmete. Und vielleicht lebt dieser Geist der Freiheit in diesem Bild so stark, dass es bis heute nahezu jeden Menschen, der es sieht, unmittelbar in seinen Bann zieht.

Wer mich und das MINDKISS Projekt kennt, der weiß: Mich interessieren nicht die besten Umschlagplätze für Kunst. Mich interessiert die Resonanz von Menschen in der Begegnung mit OUBEYs Kunst. Genau deshalb ist Manila mit seinem Mind Museum für mich interessant. Und die Erfahrung gibt mir Recht.

Hier können selbst die Security Guards der Anziehungskraft der ausgestellten Bilder und Installationen nicht widerstehen und nutzen ihre Pausen, um immer wieder in die präsentierten Bild- und Erlebniswelten der Show einzutauchen, die sie ja eigentlich nur zu beaufsichtigen und schützen haben. Was für eine wunderbare Resonanz! Es ist eine von vielen anderen wunderbaren Resonanzen, die auch weiterhin vom Museumsteam über die kommenden Monate hinweg gesammelt und ausgewertet werden. Wenn die Ausstellung schließt, werden wir einiges hiervon veröffentlichen.

Die Entscheidung für die Zusammenarbeit mit dem Mind Museum fiel mir leicht, nachdem ich dessen Direktorin im Oktober letzten Jahres zum ersten Mal persönlich getroffen hatte. Sie war sofort begeistert vom Ansatz und Spirit des MINDKISS Projekts. Und ich war überzeugt von der Ernsthaftigkeit Ihres Wunsches, die neu konzipierte „Art of Resonance Show“ des MINDKISS Projekts in den für temporäre Ausstellungen frei verfügbaren Räumen ihres Museums zu präsentieren.

Das Mind Museum ist das einzige Wissenschaftsmuseum auf den Philippinen und verdankt seine Existenz einer großen Stiftung, die zur Beschäftigung mit Kunst, aber insbesondere Kinder auch zur Beschäftigung mit Wissenschaft und Technologie anregen will. Ein Erlebnispark wie ich ihn bis dahin nur in San Francisco, in der Cité de la Science in Paris und im Deutschen Museum München kennengelernt habe.

Weshalb in aller Welt hätte ich also „nein“ sagen sollen, wenn ich eingeladen werde, genau dort die neu konzipierte Ausstellung des Projekts zu präsentieren, die den Brückenschlag nicht nur zwischen Wissenschaft, Technologie und Kunst herstellt, sondern auch zwischen analoger und digitaler Erlebniswelt von Kunst. An einem Ort, der sich dem Entdecken und Explorieren der Erkenntnisse widmet, die die Menschheit mittlerweile über das Universum, den Planeten Erde samt seiner Ozeane und dessen Bewohner, unsere eigene Spezies eingeschlossen, gewonnen haben.

Ein Ort, dem die Wertschätzung sogenannter Experten des etablierten Kunstbetriebs samt seiner Türsteher und Adressaten ebenso herzlich egal ist wie mir, der sich aber mit denselben Fragen und Themen beschäftigt, denen OUBEYs Kunst entsprungen ist. Ich hoffe, dass es einen solchen Ort nicht nur einmal auf dieser Welt in Manila gibt, sondern dass ich in den nächsten Jahren das Glück haben werde, die „Art of Resonance Show“ an ähnlich freie und spannende Orte in anderen Ländern und Kontinenten zu bringen. Die zu finden wird nicht einfach sein.

Im Fall der wunderbaren, kongenialen Zusammenarbeit in der Vorbereitung und Durchführung dieser Ausstellung hat dieses Glück einen Namen: den Namen der Direktorin Maria Isabel Garcia. Als ich bei einem Rundgang mit ihr durch die Show wenige Stunden vor der offiziellen Eröffnung zu ihr sagte wie froh ich über  das Zustandekommen dieser Zusammenarbeit bin, meinte sie:

„I am more than glad. If our foundation has a heart´s desire, this is the foundation´s heart´s desire“.

Weil das für uns beidseitig so war, seit wir uns im Oktober 2022 an einem frühen Morgen um 7 Uhr in einem Hotel in Berlin zum ersten Mal trafen, wurde aus diesem Herzenswunsch eine gemeinsame Reise mit dem Ziel, eine neuartige, einzigartige Erlebniswelt zu schaffen, in der nun bis zum 8. Oktober 2023 der MINDKISS von OUBEYs Kunst für jeden spürbar wird, der die „Art of Resonance Show besucht.

Ganz nebenbei bemerkt, handelt es sich bei dieser Ausstellung um eine dreifache Premiere:

Wenn auch ich diese neue Ausstellung heute hier in gewisser Weise feiere, dann vergesse ich natürlich nicht die früheren acht Stationen der Global Encounter Tour auf vier Kontinenten. Eine jede von ihnen war einzigartig in ihrer jeweils eigenen Resonanz auf OUBEYs Kunst. Von den Wissenschaftlern in einem Symposium des Goethe Instituts San Francisco und den Teilnehmern einer internationalen Management Konferenz in Wien über die Studenten der inzwischen von der ungarischen Regierung unter Orban geschlossenen CEU in Budapest bis hin zu den Kindern, Lehrern und Eltern einer Maori Schule in Wellington/Neuseeland und den Künstlern aus Uganda und Kenia an der NIAAD in Kampala.

Danach reiften in einer Projektpause die Ideen für ein ganz neues, erlebnisorientiertes interdisziplinäres Ausstellungskonzept heran. In den Jahren 2019 bis 2022 wurden sie Schritt für Schritt gestaltet und verwirklicht und werden nun alle gemeinsam erstmals öffentlich im Mind Museum präsentiert. Doch ohne all die früheren Begegnungen und Stationen wäre diese heutige Ausstellung niemals möglich geworden.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle allen Menschen von Herzen danken, die es möglich gemacht haben, dass die bisherigen Stationen wie auch die fünfundzwanzig Encounters mit Wissenschaftlern und Einzelpersonen unterschiedlichster Professionen, zustande kamen. Der Fundus, aus dem das Projekt schöpfen kann, ist enorm gewachsen. Und die Entwicklung des „Expanding Universe of OUBEY MINDKISS“ geht weiter.

Wie war es möglich, dass Blütenpflanzen, deren erstes Erscheinen in der Evolutionsgeschichte aufgrund versteinerter Funde heute auf die Zeit vor 140 – 250 Millionen Jahren datiert werden kann, überhaupt entstehen und sich seither mit evolutionsgeschichtlicher Höchstgeschwindigkeit zu einer Vielfalt von mehr als 100.000 Arten entwickeln konnten?

 

Zunächst war alles grün

Bis dahin hatte es dreieinhalb Milliarden Jahre lang lediglich Algen gegeben, die unter Wasser lebten, aber keinerlei Pflanzen, die auf der Erde Wurzeln schlagen. Aus den Algen entwickelten sich Moose und vor ca. 400 Millionen Jahren dann die Farne als allererste Stengelpflanzen in der Geschichte dieses Planeten.

Das Farn hat alle Zeitalter der Erdgeschichte überlebt und wird womöglich auch alles, was diesen Planeten in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten erwartet, überstehen – in filigraner Schönheit und organischen Robustheit. Ein wohl einzigartiges Beispiel an pflanzlicher Resilienz.

Als ich vor vielen Jahren einmal die Gelegenheit hatte, mit erfahrener Begleitung in die Tiefen eines Kohlebergwerks hinabzusteigen, entdeckte ich beim Kriechgang durch ein enges Flöz aus dem Augenwinkel heraus im Schein meiner Grubenlampe den Abdruck eines Farns in einem Stück Kohle. Nie zuvor und nie danach bin ich in meinem Leben den Spuren der Evolutionsgeschichte so nah gewesen wie in diesem Moment. Ich war berührt und hielt inne. Dann ergriff ich dieses Stück Kohle, das vor wieviel Jahrmillionen auch immer dieses Farnblatt in sich aufgenommen hatte, und setzte meinen Kriechgang von da an nur noch einhändig abgestützt fort. In der anderen Hand hielt ich das versteinerte Farn und halte es bis heute mit einer Mischung aus Zuneigung und Respekt in Ehren.

 

Dann wurde es bunt

Wie andere Vorgänger der heutigen Blütenpflanzen war und sind auch Farne sogenannte doppeltgeschlechtlicher Nacktsamer. In seiner bisexuellen DNA verbargen sich allerdings die Anlagen zum Hervorbringen eines Bedecktsamers, d.h. einer Blüte. Blütenpflanzen sind also aufgrund des genetischen Erbes der Nacktsamer entstanden. Sie verfügen mit ihrer Blüte, die in ihrem inneren Aufbau ein „architektonisches“ Meisterwerk der Natur darstellt, allerdings über ein Fortpflanzungsorgan, das sich nicht selbst befruchten kann, sondern auf die Zusammenarbeit mit anderen Lebewesen angewiesen ist – Bienen, Schmetterlingen und anderen Insekten.

Zum Zweck ihrer Fortpflanzung entwickelten Blütenpflanzen Eigenschaften, die auf alle Arten tierischer Bestäuber eine starke Anziehungskraft ausüben wie bunte Farben und ausströmende Düfte. Und dank der Fremdbestäubung kam es zu einer sich ausbreitenden Vermischung bzw. Kreuzung der Arten, da diverse Insekten die Samen von einer Blüte zu anderen Blüten transportierten und dort hinterließen. Heute machen Blütenpflanzen 90% der pflanzlichen Artenvielfalt aus.

 

Darwin wäre begeistert

Erst 150 Jahre nach Darwin haben Paläobotanikerinnen im 21. Jahrhundert dank modernster high tech das für Darwin seinerzeit noch unfassbare Rätsel aufgelöst. Er wäre sicher begeistert.

Weniger begeistert wäre er vermutlich, wenn er vom menschlichen Umgang mit dieser Vielfalt in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bis zur heutigen Zeit wüsste. Der natürliche Wildwuchs an Blütenpflanzen wie es ihn einst auf Wiesen und an Wegrändern gab, wurde zunehmend zurückgedrängt durch eine auf den Anbau von Nutzpflanzen orientierten industrialisierten Landwirtschaft ebenso wie von der Versiegelung der Erdoberfläche durch den Ausbau asphaltierter Flächen und die Anlage von Gärten, in denen bunte Wiesenblumen als Unkraut eliminiert und durch gepflegten Rasen oder getrimmte Nadelhölzer in schwarzem Kies ersetzt wurden.

Jeder menschliche Eingriff in das kybernetische System der Natur hat Folgen. Verschwinden die Blumen, dann verschwinden in der Folge auch deren Bestäuber. Wir wissen das schon lange. Und haben damit begonnen Bienen zu züchten so wir Wälder züchten und industrialisierten Ackerbau betreiben. Doch kybernetische Systeme funktionieren nicht in linear monokausalen Wirkungsketten. Sie sind komplex. Mal sehen wie lange es dauern wird bis unsere Spezies das wirklich begriffen haben wird. Die Naturforscher jedenfalls haben es begriffen. Sie kämpfen für den Erhalt der pflanzlichen Artenvielfalt.

Nachdem er sich zu der Aktion bekennt, berichten die einschlägigen Feuilletons darüber, fragen nach deren Sinn und der Bedeutung der Bildmotive. Manche wundern sich darüber, dass er mit dieser Aktion ganz offensichtlich Partei für die Ukraine ergreift.

Mich wundert, dass man sich darüber so wundern kann.

Sympathie

Banksy war mir als intelligenter Spielverderber des kommerziellen Kunst- und Kulturbetriebs vom ersten Moment an sympathisch. Und seine Fähigkeit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit einer wirkungsvollen Aktion aufzutauchen und dabei meist auch noch komplexe Fragen und Themen visuell so zu bearbeiten, dass sie für jeden verständlich sind, beeindruckt mich immer wieder.

Er hat es geschafft, fernab des etablierten Kunstbetriebs mit seiner Straßenkunst die Menschen dort zu erreichen, wo sie leben und sich bewegen. Die enorme Geschwindigkeit, mit der sie sich dann viral in den sozialen Netzwerken verbreiten, zeigt ihre Wirkungskraft. So verbindet sich meine Sympathie mit ebenso großem Respekt.

Krieg

Die Filme und Fotos von den Gräueltaten der russischen Armee in Bucha und Irpin gingen im April um die Welt. Genau dort, in Irpin, und auch in den Ortschaften Borodjanka und Horenka hinterließ Banksy nun seine Spuren auf den zerstörten Mauern eines Kindergartens und den Wänden zerbombter Wohnhäuser. Wer diese künstlerischen Spuren sieht, sieht unweigerlich auch die Spuren der schrecklichen Verwüstung in diesen und unzähligen anderen Städten und Ortschaften der Ukraine. Banksy macht den Krieg schon allein dadurch zum Thema, dass er diese Bilder an die Orte bringt, wo sie sich im Lebensalltag der Menschen untrennbar mit den Spuren des brutalen Krieges verbinden, den Russland seit nunmehr neun Monaten gegen die Ukraine führt.

Resonanz

Was wohl die Menschen in Irpin, Borodjanka und Horenka zu diesen Spuren sagen, die Banksy Ihnen auf den Mauern ihrer zerstörten Häuser hinterlassen hat?

Die Resonanz auf Kunst oder eine künstlerische oder auch nichtkünstlerische Aktion ist mindestens ebenso interessant wie das Kunstwerk oder die Aktion selbst und letztlich das, was sie lebendig macht und am Leben hält. Der Spur dieses Gedankens folge ich selbst seit vielen Jahren. Auch das verbindet mich mit Banksy.

Die ersten Resonanzen im Internet zeigten nicht nur Banksy´s Bilder, sondern immer wieder auch Menschen, die sich vor den Bildern fotografieren ließen oder Selfies machten. Später stellte Banksy selbst ein Video mit Aufnahmen von seiner Aktion ins Netz. In amerikanischen und deutschen Fernsehberichten waren auch Kommentare von Menschen vor Ort zu hören, von denen einige sogar aus anderen Städten angereist waren, um die Wandbilder mit eigenen Augen zu sehen. Sie alle sprechen von Wertschätzung und Dankbarkeit dafür, dass einer wie Banksy den Mut hat, zu ihnen ins Kriegsgebiet der Ukraine zu kommen, um seine Solidarität und Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen. Manche äußern die Hoffnung, dass die Aktion eine neue Art der Aufmerksamkeit für den existenziellen Verteidigungskampf der Ukraine erzeugt. Andere sind einfach nur erstaunt über das, was sie sehen.

Kunst 

Die Motive der Wandbilder sind befremdlich und berührend zugleich. Die Orte, an denen sie zu finden sind, wurden mit Bedacht ausgewählt. Manche bringen auf jeweils sehr eigene Weise die Vision eines unbeschwerten Lebens in die zerstörte Umgebung. Andere halten einen Moment existenziellen Schreckens im Alltag fest. Und eines scheint ausdrücklich Hoffnung machen zu wollen.

Da gibt es zum Beispiel eine Ballerina, die, mit Leichtigkeit auf der Spitze tanzend, ein Stoffband über dem Kopf schwingt als wäre sie auf einer Bühne; eine Frau, die im Morgenmantel mit Lockenwicklern im Haar, Gasmaske vorm Gesicht und Feuerlöscher in der Hand auf einem einsam an der Hauswand zurückgelassenen realen Stuhl „steht“; in den Resten eines zur Außenwand gewordenen gekachelten Badezimmers liegt ein Mann in seiner Badewanne und braust sich ab; auf einer realen Panzersperre an einer Straßenkreuzung wippen zwei Kinder; aus einem gepanzerten Fahrzeug ragt ein überdimensionaler Phallus empor; auf dem Einschlagloch eines Hauses vollführt eine Akrobatin einen Handstand; auf den Mauerresten eines zerstörten Kindergartens legt ein kleiner Junge im weißen Kampfanzug einen großen, starken Mann aufs Kreuz.

Besonders über dieses Bild des kleinen Jungen, der einen großen starken Mann aufs Kreuz legt, wird vor Ort und auch in den Medien spekuliert: Der Junge könnte die Ukraine symbolisieren, die Putin besiegt. So sieht es auch eine Ukrainerin in einem der Videos. Meine spontane Assoziation kam dieser Idee sehr nah. Sie weckte in mir die Erinnerung an die Geschichte von Davids Kampf gegen Goliath.

Eine biblische Geschichte

Wer kennt sie nicht, diese biblische Geschichte aus dem Alten Testament? Ein Hirtenjunge namens David besiegt einen Riesen namens Goliath. Das Alte Testament ist voller Geschichten, die fantastisch klingen – von den sieben Plagen, mit denen Gott die Ägypter straft, bis hin zum Roten Meer, das sich wundersam für die aus Ägypten fliehenden Israeliten teilt, um deren Verfolger dann anschließend unter sich zu begraben. Doch keine dieser Geschichten erschien mir, als ich sie in meiner Kindheit zum ersten Mal hörte, so realistisch wie die von David und Goliath.

Das lag nicht an der Erklärung für den Sieg des kleinen David gegen den übermächtigen Goliath, die Samuel uns liefert. Er schreibt, dass dies so geschehen musste, weil David von Gott auserwählt war, nächster König der Israeliten zu werden. Durch seine Heldentat gegen den feindlichen Philister vollzog sich das Wort Gottes und David wurde zu Israels legendärem König David. Eins der nobelsten Traditionshotels in Jerusalem trägt heute seinen Namen.

Weshalb David siegt

Was mich an dieser Geschichte dagegen so begeisterte, war die Vorstellung, dass David es aus eigener Kraft durch großen Mut, die intelligente Nutzung seiner Fähigkeiten und die Erkenntnis der größten Schwachstelle seines Gegners, der zwar riesengroß, schwer gepanzert und bewaffnet, damit aber auch schwer beweglich war, geschafft hat, diese monströse Kampfmaschine namens Goliath zu besiegen.

Denn als jüngster Sohn hütete David die Herde seiner Familie und verteidigte sie täglich gegen die räuberischen Angriffe wilder Tiere, die er durch den geschickten Einsatz seiner Steinschleuder in die Flucht schlug oder tötete.

Der Stein, den er gekonnt und mit großer Wucht gezielt gegen die Stirn seines scheinbar übermächtigen Gegners schleuderte, traf den dort so tief und hart, dass der kopfüber stürzte und mit seinem kolossalen Körper bewusstlos im Sand liegen blieb. Dass David ihm danach auch noch den Kopf abschlug und damit die ganze Heerschar der Philister in die Flucht schlug, die bis dahin siegesgewiss grölend den „Schwächling“ verhöhnt hatten, war mir nicht mehr in Erinnerung, als ich Banksy´s Spraybild anschaute. Das wurde mir erst wieder bewusst, als ich dieser biblischen Geschichte noch einmal etwas tiefer auf den Grund gegangen bin. Die Erzählungen des Alten Testaments sind nicht nur fantastisch, sondern gelegentlich durchaus auch von unverblümter Grausamkeit.

Sinnbild und Vorbild

Die Geschichte von David und Goliath jedenfalls steht seit Jahrtausenden als Sinn- und Vorbild dafür, dass schiere Größe nicht gleichbedeutend sein muss mit unbesiegbarer Kraft oder Macht. Dass ein einzelner Mensch, wenn er sich nicht von der scheinbaren Größe des Gegners einschüchtern lässt, sondern sich seiner eigenen Stärken besinnt und der Übermacht beherzt entgegentritt, das Blatt der Geschichte wenden kann. Insofern ist sie mehr als die Geschichte über einen göttlich Auserwählten. Sie ist eine ermutigende Geschichte, die bis ins 21. Jahrhundert hinein nichts an ihrer vorbildlichen Wirkungskraft verloren hat.

Da liegt der Vergleich zum mutigen Verteidigungskampf der Ukraine gegen die scheinbar unbesiegbare Übermacht der russischen Armee nahe. Und er wird von Banksy durch den Kontext, in den er das Bild stellt, auch durchaus nahegelegt – es befindet sich auf den Mauerresten eines zerstörten Kindergartens.

Keine biblische Geschichte

Doch es geht hier nicht um eine biblische Geschichte. Die Ukraine ist kein einzelner Mensch, sondern ein Land, eine Nation. Sie ist zwar klein im Vergleich zu dem riesigen Russland, das sie angreift mit dem einzigen Ziel, ihre Existenz auszulöschen. Aber sie kämpft nicht allein, sondern hat starke Partner an ihrer Seite, die sie in vielfältiger Weise unterstützen. Dennoch ist dieser Kampf schwer, dauert lange und fordert viele Opfer.

Eins aber hat die Ukraine für mich mit dem kleinen David aus dem Alten Testament gemeinsam: Sie hat als Gemeinschaft die beherzte Entschlossenheit, ihr Land und ihre Freiheit zu verteidigen und diesen Kampf zu gewinnen. Sie lässt sich nicht einschüchtern und sie gibt nicht auf.

Was bleibt

Banksy´s Bilder ändern nichts an der existenziellen Bedrohung, in der die Menschen in den von ihm besuchten Städten und der ganzen Ukraine seit nunmehr neun Monaten leben und gegen die sie sich mit großem Mut, ebenso großer Menschlichkeit und bewundernswerter Unbeugsamkeit verteidigen.

Doch nun sind sie da, diese Bilder. Unerwartet aufgetaucht wie aus dem Nichts, haben sie die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für ein paar Tage wieder verstärkt auf das gelenkt, was die Menschen in der Ukraine Tag für Tag erleben und erleiden, und woran sich ein Teil dieser Weltöffentlichkeit inzwischen bereits gewöhnt zu haben scheint.

Für die Menschen in der Ukraine, insbesondere in  Irpin, Borodjanka und Horenka werden diese Bilder vermutlich auch nach dem Krieg eine bleibende Erinnerung daran sein, dass einer wie Banksy einmal zu denen gehörte, die an ihrer Seite standen – Standing with Ukraine.

 

 

 

 

Wenn es um Astrophysik ging, drehte sich lange Zeit alles um die Erde – bis Kopernikus und Galilei diese geozentrische Selbstverliebtheit radikal beendeten. Seither ist klar, dass sich nicht alles um die Erde dreht, sondern vielmehr die Erde, wie andere Planeten und Monde auch, in Umlaufbahnen um unseren Zentralstern, die Sonne, herumbewegen.

Das alles hat unser menschliches Bewusstsein inzwischen  einigermaßen verarbeitet und daraus zugleich neue Möglichkeiten des Entdeckens und Erforschens erschlossen. Was Mond, Mars und Venus bevorsteht, lässt sich bereits erahnen. Und mit ihren immer exakteren Berechnungen und dank des Einsatzes immer hochwertigerer Weltraumsonden und –teleskope haben Astrophysik und Astronomie auf Grundlage der Mathematik ein immer genaueres Bild von dem errechnet, was sich außerhalb unseres Sonnensystems, ja sogar außerhalb unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, befindet – dunkle Materie und schwarze Löcher inbegriffen. Die Bilder und Erkenntnisse reichen mittlerweile weit zurück bis in die Geburtsstunde unseres Universums vor ca. 13,7 Milliarden Jahren.

Wir gehen heute davon aus, dass es andere habitable Planeten gibt, auf denen außerirdisches Leben möglich ist, ja dass es sogar außerirdische Intelligenz im All geben könnte – eine oder womöglich gar mehrere weitere Spezies, neben der Künstlichen Intelligenz, die wir gerade auf diesem Planeten erschaffen und deren Entwicklung viele Menschen zutiefst beunruhigt. Seit zigtausenden von Jahren waren wir immerhin auf diesem Planeten die einzigen unserer Art. Wie lange das so sein wird, scheint nur noch eine Frage der Zeit. Die menschliche Evolution hat diesen Weg genommen und nun müssen wir schauen, wie wir mit unserer Intelligenz, die eine andere, künstlich genannte Intelligenz erschaffen hat, klarkommen. Spannende Zeiten.

Auf eins konnten wir uns bisher allerdings noch verlassen: auf die Einzigartigkeit unseres Universums. Auch wenn wir wissen, dass dieses Universum kontinuierlich und mit wachsender Geschwindigkeit expandiert und sich dabei in eine zunehmende Entropie hineinbewegt, war es doch immerhin so etwas wie der feste Bezugspunkt für alles, was mit unserer Existenz auf dieser Erde zusammenhängt.

Doch die Möglichkeit, dass unser Universum nur eines unter vielen ist, rückt von Jahr zu Jahr mehr in den Blickpunkt der Wissenschaften, die an der Erforschung eben dieses Universums beteiligt sind. Insbesondere die Erforschung der Dunklen Materie, die Stringtheorie und die Quantenmechanik sind hierbei wegweisend. Manche halten diese Vorstellung für Unfug, weil sie (noch) keine wissenschaftliche Erklärung sehen.

Doch die bereits erwähnte Expansion unseres Universums nach dem sogenannten Urknall, auch Inflation genannt, endet nicht überall gleichzeitig. Da wo sie nicht endet, finden könnten weitere Urknalle stattfinden, aus denen neue Universen entstehen. Das wäre eine sogenannte „ewige Inflation“ und ein Multiversum wäre deren logische Schlussfolgerung. Ein expandierender Ozean sich multiplizierender Universen. Jedes dieser Universen könnte sich anders entwickeln und anders beschaffen sein als das unsere. Aber irgendeines könnte womöglich dem unseren gleich sein, denn Duplikate sind im Kosmos unvermeidlich, heißt es.

Die Vorstellung eines Multiversums ist vergleichbar mit der kopernikanischen Revolution. Sie bedeutet das Ende unserer bisherigen Vorstellung vom Kosmos. Damit eröffnet sie zugleich den Blick in Welten, von denen wir bisher bestenfalls träumen konnten. Und das, obwohl hier von den neuen Erkenntnissen der Quantenmechanik noch gar nicht die Rede war. Da kommt was auf uns zu.

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Mehr über Steven Weinberg finden Sie hier: UTPhysicsHistorySite (utexas.edu)

 

Jeder Künstler entwickelt eigene Vorgehensweisen, die sich im Laufe des Lebens ändern oder ergänzen können. Picasso fertigte unzählige Skizzen an, bevor er im Jahr 1907 sein atemberaubendes Bild „Les Demoiselles d´Avignon“ auf die große Leinwand brachte. Jahrzehnte später ließ er sich dabei filmen wie er spontan aus dem Handgelenk mit Pinsel und weißer Farbe auf eine Glasfläche malt. Aus dem Kopf über die Hand auf die Fläche.

Jackson Pollock ließ die Farben vom Pinsel herab auf die Leinwand tropfen, wo sie durch die dynamische Bewegung seiner Hand und seines Körpers um die am Boden liegende Leinwand herum zu Linien, Strukturen, Flächen und schließlich zu einem Bild wurden. Ein spontaner, intuitiv-energetischer Akt der Entladung?

Radikale Befreiung

Dieser „Befreiung des Bilds von der Handschrift des Künstlers“, wie OUBEY es nannte, verschrieb auch er sich in den ersten Jahren seines Schaffens. In manchen Bildern aus dieser Phase finden sich noch vereinzelte dünne Linien herabtropfender Farbe. In anderen wirken nur noch die in geheimer Rezeptur auf die beschichteten Hartfaserplatten verbrachten Materialien aufeinander ein und gestalten sich eigendynamisch zu Turbulenzen und, unterstützt durch ein wenig Thermodynamik von außen, zu einem Bild. Diesem Grundsatz blieb er einige Jahre lang treu bis hin zur letzten Konsequenz des Verzichts auf jegliche Authentifizierung durch Signatur.

Aus den Augen an die Wand

Am liebsten hätte er sich damals vom Prozess der Materialisierung seiner Bilder durch eigenes Zutun vollkommen befreit. Denn er hatte sie bereits fertig im Kopf gemalt, wie er einmal sagte. Sie standen ihm in ihrer ganzen Komplexität und Vielschichtigkeit als vollendete Werke vor seinem inneren Auge.

Sie malen zu müssen, damit andere sie sehen können, empfand er oft als Zumutung der physikalischen Dimension von Realität gegenüber der ungebundenen geistigen Realität, denn ihm war klar, dass das materialisierte Ergebnis niemals die Qualität der Vision erreichen würde. Seinen radikalen Wunsch nach einer Überwindung der Trennung von Geist und Materie in diesem Sinn fasste er einmal ebenso radikal in Worte: „Aus den Augen möchte ich sie an die Wand sprengen, meine Bilder“.

Was für eine fantastische Vorstellung! Drastisch, kraftvoll, unbändig – die Grenzen des Möglichen überschreitend. Damals, in den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, bewegte OUBEY sich mit dieser Sehnsucht im Bereich des Unerreichbaren, der Utopie. In zehn oder zwanzig Jahren wird es aufgrund der rasanten Entwicklung sowohl in der technologischen Entwicklung wie auch der neurologischen Forschung vielleicht möglich sein, die im Kopf eines Menschen entstehenden Bilder unmittelbar und direkt sichtbar zu machen.

Wenn Wünsche wahr werden

Vielleicht wird OUBEYs Wunschtraum, einst aus der Not der empfundenen Limitierung in seinem frühen Schaffen heraus entstanden, eines Tages für andere Künstler, Wissenschaftler oder Denker zur Wirklichkeit im Sinne einer Befreiung ihres Geistes von den Fesseln der Materie? Ob die materialisierten Ausdrücke des Gedachten in dem, was sie sichtbar machen, dann tatsächlich auch immer befriedigender sein werden als es die vermeintlich unvollkommenen, aus dem Kopf über die Hand aufs Papier oder die Leinwand gebrachten waren? Wer weiß schon so genau, was sich alles hinter einer Idee oder Vorstellung verbirgt, wenn sie sich, vom Filtersystem des Bewusstseins vollkommen befreit, äußern darf? Da könnte es womöglich auch unangenehme Überraschungen geben. In OUBEYs Fall hätte ich in dieser Hinsicht allerdings keine Befürchtungen, im Gegenteil. Auf diesem Wege würden mit großer Wahrscheinlichkeit noch faszinierendere Werke und Gedanken zum Vorschein kommen als die, die er uns in seiner selbst empfundenen Limitierung hinterlassen hat. Fast bin ich versucht, mich selbst in einen Zustand träumerischer Sehnsucht versetzen.

Freiheit in Demut

Schließlich befreite OUBEY sich selbst von seiner frühen Vorstellung des „von der Handschrift des Künstlers befreiten Bildes“. Damit begann eine ganz neue, enorm produktive Schaffensphase. In ihr entstanden GENESIS, StarPixels und viele andere großartige Bilder, alle mit erkennbarem Pinselstrich in Ölfarbe auf beschichtete Hartfaserplatten gemalt und jedes einzelne Bild signiert, oft sogar mit einer Gravur mitten hinein ins Bild. Die Grenzen unseres physischen Menschseins in der `Quarantäne, die uns vom unmittelbaren Erleben des Kosmos trennt´, wie OUBEY es einmal nannte, nicht nur zu erkennen, sondern sie auch anzuerkennen, zu akzeptieren, gehört zu dem, was ich Demut nennen möchte. Demut limitiert uns nicht, sondern eröffnet uns im Gegenteil neue, bisher ungeahnte Möglichkeiten. Demut ist ein Schlüssel zur Freiheit.

Schlüssel zur Freiheit

Dass OUBEY bereits in jungen Jahren diesen Schlüssel zur Freiheit finden konnte, war das Ergebnis seiner langen, radikalen, ehrlichen und kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst und dem, was seine Bestimmung als Künstler auf dieser Welt in diesem Universum sei. An einen solchen Punkt übereinstimmender (Selbst)Erkenntnis zu kommen, ist existenziell. Manche verlieren sich auf dem Weg dahin in ihren Sehnsüchten, andere halten den Kampf mit sich selbst nicht aus und geben auf. Dass OUBEY diesen Punkt der Entwicklung erreichte, bevor sein Leben so früh und unerwartet endete, ist einerseits seine eigene Leistung. Ich betrachte es aber auch als Geschenk, denn keiner weiß wieviel Zeit ihm bleibt, um zu diesem persönlichen Punkt der Entwicklung und Erkenntnis zu kommen oder ob er ihn überhaupt je erreicht.

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Bildquelle: OUBEY Computer Art (OCA), 1990

Dass OUBEYs Bilder eine universale Sprache sprechen, wusste ich schon immer. Seit sie auf ihrer Reise um die Welt fünf Jahre lang Menschen unterschiedlichster Kulturen auf vier Kontinenten begegnet sind, wurde diese universale Qualität seiner Bilder offensichtlich. Wer sich davon einen Eindruck verschaffen möchte, dem sei der Dokumentarfilm OUBEY- An Element of the Universal empfohlen.

Schon immer waren manche von OUBEYs Bildern für mich aber auch Klangbilder. Bilder, die nicht nur eine universale Bildsprache sprechen, sondern aus denen auch die wohl universalste aller Sprachen in diesem Universum erklingt: die Musik. Manche meinen, die Mathematik sei die Sprache des Universums. Das mag so sein. Doch im Unterschied zur Mathematik, deren künstlerischer Ausdruck die Musik ist, verstehen nicht alle Menschen auf diesem Planeten die Mathematik. Doch alle Menschen auf diesem Planeten verstehen die Musik. Möglicherweise ist Musik eine Sprache, die sogar außerirdische Intelligenz versteht.

Allein deshalb war ich schon früh von der Idee begeistert, neben den sprachlich geäußerten Resonanzen auf OUBEYs Bilder, die in den Encounter Videos filmisch festgehalten wurden, irgendwann auch musikalische Resonanzen zu sammeln. Durch musikalische Resonanzen ließe sich möglicherweise eine ganz andere, nonverbale Ebene der Erschließung seiner Bilder eröffnen in einer universalen Sprache, die der ureigenen universalen Sprache der Bilder selbst vielleicht noch näher kommt als die menschliche Sprache. Der Kosmos als Bezugspunkt und Bezugsgröße von OUBEYs Kunst könnte in einer musikalischen Resonanz eine Ausdrucksform finden wie es sie so bisher nicht gegeben hat.

Um eine solche Idee verwirklichen zu können, braucht es wahrhaft interdisziplinäres Denken und Können. Doch obwohl wir bereits im 21. Jahrhundert leben, gibt es allerdings noch immer spürbare Grenzen zwischen den Disziplinen. Zwar hat die Zahl interdisziplinärer Kunst- und Forschungsprojekte in den letzten zwanzig Jahren erfreulicherweise deutlich zugenommen. Doch in der Alltagswelt sind diese Grenzüberschreitungen bisher nur sporadisch wahrzunehmen. Da sich das MINDKISS Projekt aber vor allem an Menschen richtet, die sich eher nicht in den Welten des etablierten Kunst- oder Wissenschaftsbetriebs bewegen, finde ich den Gedanken der musikalischen Resonanz auf OUBEYs Bilder gerade deshalb auch interessant und wichtig. Denn er ist ein interdisziplinärer, grenzüberschreitender Gedanke von besonderer Qualität und potenzieller Wirkkraft.

Wo und wie aber findet man MusikerInnen, die nicht nur die Lust, sondern auch die Fähigkeit haben, auf ihre Weise eine Resonanz auf ein Gemälde zu erschaffen, die qualitativ dem gerecht wird, was in den Encounters früherer Jahre bereits verbal als Niveau gesetzt wurde? Die bereit sind, sich auf ein solches Experiment einzulassen? Für mich war es einmal mehr das Beginnen von etwas Neuem ohne Gewissheit, was am Ende sein würde: Grandioses Scheitern oder grandioses Gelingen. Eine Idee eben, kein Plan.

Es gehört zu den vielen fast unglaublichen, aber dennoch wahren Geschichten dieses Projekts, wie mich am Ende meiner dreijährigen Projektpause ein Zufall im Jahr 2019 mit der Komponistin, Musikerin und Sängerin Natalia Kiés in New York zusammen brachte. Damals gab sie mir spontan und exklusiv eine Kostprobe ihres Könnens und ich war sofort von ihrer Musikalität wie auch von der Poesie ihrer Texte beeindruckt. Ich erzählte ihr von meiner Idee musikalischer Resonanzen und  fragte sie, ob Sie sich vorstellen könnte, eine Resonanz zu OUBEYs größtem Werk GENESIS zu schaffen. Da kannte sie das Bild noch gar nicht. Nachdem sie es dann kennenlernte, konnte sie es sich vorstellen.

Nun, drei Jahre später, gibt es ihren wunderbaren Song „  Mówić przez sen , mit dem sie ihre persönliche Resonanz auf OUBEYs größtes Werk GENESIS zum Ausdruck bringt. Mit ihrer wunderbaren Stimme verleiht sie der ohnehin faszinierenden Performance die Aura eines zauberhaften Traums. Der überwältigenden Größe und existenziellen Tiefe dieses Bilds begegnet sie mit einer scheinbaren Leichtigkeit, die jedoch alles andere als oberflächlich ist, sondern die tiefgründigen Fragen unserer Existenz in das wunderbare Erlebnis eines Traums kleidet.

Dass in Zusammenarbeit mit unserem langjährigen Projektpartner Christoph Harrer dann auch noch ein Video gelungen ist, in dem einige Figuren aus OUBEYs GENESIS zu Natalias Musik ein bewegtes Eigenleben entwickeln, kann ich nur als Glücksfall bezeichnen. Was er hier visuell in Szene gesetzt hat, ist ebenso wunderbar und zauberhaft wie der Traum, von dem Natalias Song erzählt.

Seit einigen Tagen bin ich nun erstmals mit einem weiteren Musiker intensiv im Gespräch, den ich bereits vor mehr als einem Jahr zum ersten Mal kontaktiert habe. Er hat inzwischen Ideen entwickelt und ich kann sagen, dass ich all seine Ideen sehr interessant und spannend finde. Könnte also sein, dass wir noch einen zweiten musikalischen Encounter erleben werden. Und wenn uns das Glück oder der Zufall auch weiterhin mal mit dem bzw. der einen oder anderen „Richtigen“ zusammenbringt, könnten es von mir aus gerne auch noch ein paar mehr werden. Ich bin gespannt.

Es sind farbenfrohe Bilder. Manche kraftvoll, andere zart. Zumeist scheinen sie aus einer anderen Welt zu kommen, in der die Fantasie das Sagen hat und die Schwerkraft keine Rolle spielt. Tanzende oder frei im Raum schwebende Figuren wie diese weißgekleidete, blumengeschmückte Frau vor himmlisch hellblauem Hintergrund, die wohl jeder kennt, der sich je für Malerei interessiert hat.

Doch es gibt auch ganz andere Bilder. An eins dieser anderen Bilder erinnerte ich mich in diesen Tagen. Es ist sehr lange her seit ich es zum ersten Mal sah, doch von diesem ersten Moment an hat es mich so berührt, dass ich es bis heute nicht vergessen habe.

In der ersten Begegnung mit diesem Bild habe ich es bei seiner starken Wirkung auf meine Gedanken und Gefühle belassen. Nun tauchte es gestern unerwartet wieder in meiner Erinnerung auf. Ich begann im Internet danach zu suchen. Und als ich es endlich fand und seinen Titel las, konnte und wollte ich es nicht mehr wie einst bei der bloßen Wirkung belassen, sondern begann damit, mich über die möglichen Hintergründe seiner Entstehung zu informieren. Denn ich fand heraus, dass Chagall dieses Bild irgendwann zwischen 1940 und 1943 gemalt hat und ihm den Titel „La famille Ukrainienne“ gab.

„Die ukrainische Familie“, die Chagall Anfang der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts in diesem Gemälde festhielt, befand sich auf der Flucht vor Krieg und Zerstörung. Also begann ich damit, mich zum ersten Mal in meinem Leben etwas genauer über die Geschichte der Ukraine zu informieren und möchte jedem, der sich heute über die Widerstandskraft dieses Volkes gegen die Invasion der russischen Streitkräfte wundert oder womöglich sogar meint, es solle den Kampf um die Verteidigung seiner Unabhängigkeit und Freiheit aufgeben, empfehlen, das auch zu tun.

Als Chagall dieses Bild malte, hatte Stalins „Großer Terror“ wenige Jahre zuvor die Ukraine heimgesucht. Mehrere Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer wurden in den GULag deportiert, mindestens 500.000 von ihnen kamen dabei ums Leben. Und nachdem Hitler den Nichtangriffspakt mit Stalin gebrochen und den Krieg gegen die Sowjetunion begonnen hatte, wurde die Ukraine Anfang der 40er Jahre zu einem der Hauptschauplätze des Zweiten Weltkriegs. Erneut kam unermessliches Leid über das Land. Die Geschichtsforschung schätzt, dass bis zu 7,5 Millionen Menschen, mehr als ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, damals ums Leben kam.

Und während ich zuhause an meinem Schreibtisch sitze und mich im Internet über ein Bild von Chagall und die Geschichte der Ukraine informiere, führen russische Streitkräfte auf Befehl ihres Präsidenten seit mehr als drei Wochen einen brutalen Angriffskrieg gegen die seit mehr als 30 Jahren endlich unabhängige, freie und souveräne Ukraine. Ich brauchte dieses Geschichtswissen nicht, um meine Position und Haltung zu finden. Doch dieses Geschichtswissen lässt mich besser verstehen, was für die ganze Welt in diesen Tagen eindrucksvoll offenbar wird: Dass und weshalb die Menschen in der Ukraine das kostbare Gut ihrer Freiheit um keinen Preis der Welt freiwillig hergeben werden. Nein, ich muss mich korrigieren. Ich glaube es zu verstehen. Wirklich verstehen kann das wahrscheinlich nur, wer diese Geschichte in sich trägt, die die Ukraine in sich trägt. Diese Ukraine, die heute für ihre Unabhängigkeit kämpft.

Ich trage eine andere Geschichte in mir. Dieser Geschichte und der damit verbundenen Verantwortung in der Gegenwart bin ich mir bewusst. Den Deutschen wurde, nachdem sie die Welt in einen Krieg von nie dagewesenem Ausmaß gestürzt haben, nach der bedingungslosen Kapitulation das geschenkt, wofür die Ukraine heute kämpft: Freiheit, Demokratie und – nach der Wiedervereinigung – auch noch die Souveränität. Gerade deshalb wünsche ich mir mehr Respekt gegenüber einem Präsidenten der Ukraine, der – wie einst Mannerheim in Finnland – dem Annexionsversuch Russlands auch höchst persönlich die Stirn bietet. Dass ein deutscher Bundeskanzler sprachlos bleibt nach der Ansprache dieses starken ukrainischen Präsidenten im Deutschen Bundestag, das hat mich nahezu sprachlos gemacht.

Die Erinnerung an ein Gemälde von Marc Chagall hat mich heute aus meiner Sprachlosigkeit befreit.

Dass sich Kunst und Geschichte mit der Nähe eines realen gegenwärtiger Kriegs in Europa einmal so in meinem Kopf miteinander verbinden würden, war nicht zu erwarten und hat mich überwältigt. Vor kurzem plante ich ja noch gemeinsam mit wunderbaren Menschen und Partnern in Moskau, dort im April eine riesengroße Ausstellung von OUBEYs Kunst zu präsentieren. Diese Ausstellung habe ich am 25. Februar dieses Jahres abgesagt. Da wusste ich noch nichts über die Geschichte der Ukraine. Aber ich hatte Putins Kriegserklärung im Fernsehen gesehen und gehört. Wer das gehört, gesehen und verstanden hat, wusste alles, was man wissen muss, um diese Entscheidung zu treffen. Und in dieser Haltung bin ich mir bis heute mit OUBEY einig.

„Building Bridges“ wäre der Untertitel dieses Events gewesen. Ich hoffe, dass wir irgendwann wieder Brücken nach Russland bauen können. Wann das sein wird, steht in den Sternen. Jetzt bauen wir erst mal Brücken in die Ukraine.

 

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Hier der Link zu einer gut strukturierten, kompakten Information über die Geschichte der Ukraine, veröffentlicht von der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb): Geschichte der Ukraine im Überblick | bpb.de

 

Sofort vertiefte ich mich zum ungezählten Mal aufs Neue in „Die Föhnforscher“. Das Buch hatte ich mir, zusammen mit dem Katalog zur Ausstellung originaler Bilder des Malers Herbert Achternbusch gekauft, als ich sie vor mehr als 25 Jahren im Künstlerhaus Bethanien in Berlin besucht hatte. Es war das erste und blieb das einzige Mal, dass ich in diesen Genuss kam. Bis dahin wusste ich nicht einmal, dass Achternbusch auch ein Maler ist, ja sogar ursprünglich von der Malerei kommt.

Bis dahin kannte ich nur seine Filme, die mich in ihrer manchmal vordergründig banal erscheinenden, tatsächlich aber ebenso sarkastisch-skurrilen wie tiefgründigen und nicht zuletzt subversiv komischen anarchistischen Art faszinierten. Ganz anders als Luis Bunuels frühe Filme „Der Andalusische Hund“ und „L´Age d´Or“. Kein Surrealismus, aber dennoch eine filmische Verschiebung dessen was wir Realität nennen auf ein Niveau, das Normalität aus sich selbst heraus in Frage stellt. Insofern ist da ein verwandter Geist spürbar für mich. Ein Geist, der auch in OUBEYs einzigem, bisher noch unveröffentlichten Stummfilm „Gestern unter Wasser /Inside Out“ aus dem Jahr 1984 lebendig ist.

Doch es waren erst seine Bilder, denen ich 1988 unerwartet im Bethanien begegnete, die mehr als Interesse an Herbert Achternbusch und seinem Werk in mir weckten. Es war so etwas wie Liebe und diese Liebe blühte sofort wieder auf, als ich da vor ein paar Wochen zeitvergessen in meinem Lesesessel saß und durch die Welten seiner Bilder streifte, die er selbst oft durch eine handschriftliche Notiz oder ein kurzes Gedicht ergänzt hat. Das gibt ihnen etwas sehr Persönliches, manchmal fast Privates.

Noch an diesem Abend machte ich mir ein paar erste Notizen. Vielleicht würde ich mich ja mal an einen Beitrag wagen über einen der wenigen lebenden Künstler, die mir etwas bedeuten, weil sie mir mit ihrem ebenso eigenwilligen wie hochklassigen Werk so viel gegeben haben, von dem ich bis heute zehre?

Während ich gestern Abend noch einmal an meinen Beitrag über diesen wunderbaren, unbeugsamen und doch irgendwie immer auch liebevollen und liebenswerten, weil humorvollen Anarchisten Herbert Achternbusch arbeitete, erfuhr ich dann, dass er uns Lebenden wenige Tage zuvor im Alter von 83 Jahren vorausgegangen ist auf dem Weg, den wir alle irgendwann gehen. Synchronizität?

Heute sind die Feuilletons voll mit Nachrufen. Nachrufe sind nicht meine Sache. Doch nach dieser unverhofften, wunderschönen und sehr persönlichen Wiederbegegnung mit ihm „zwischen den Jahren“ habe ich für ihn, für mich und irgendwie auch für OUBEY heute meinen Beitrag komplett neu geschrieben und werde ihn so nun auch veröffentlichen. Mit einer tiefen Verbeugung, großem Dank und sehr viel Liebe im Herzen.

Falls sich jemand über den Titel dieses Beitrags wundert – er ist Achternbuschs Eingangszitat in seinem Buch „Die Föhnforscher“.

Die Bilder stammen aus Achternbuschs Buch „Die Föhnforscher“ und dem Ausstellungskatalog „Herbert Achternbusch – Der Maler“.

Wer mehr über Herbert Achternbusch erfahren möchte, findet Informationen auf Wikipedia und in den Nachrufen der einschlägigen Feuilletons im Internet.

Na und, denken Sie vielleicht. Wen stört´s? Bislang stört es allein deshalb wohl kaum jemanden, weil kaum jemand davon weiß. Denn das, was mit privatisierter Kunst passiert und die Frage, ob das was mit ihr passiert, im Sinn der Kunst ist, gehört nicht zu den Themen, die Schlagzeilen machen.

 

Wertsteigerung durch Öffentlichkeit

Was man bisher kannte, war der Ankauf sehr wertvoller Kunstwerke durch Wirtschaftsunternehmen und Banken, aber auch wohlhabender Privatpersonen, mit denen diese dann entweder ihr Heim schmückten oder sie sie als Leihgabe einem renommierten Museum überließen.

Im zweiten Fall lief es meist darauf hinaus, dass diese Leihgabe nicht zuletzt dem Zweck der Wertsteigerung des Werks durch die Präsentation in prominenten Häusern und die damit verbundene öffentliche Wahrnehmung dient.

Sobald sich der Wert dieser Werke aufgrund ihrer musealen Ausstellung ausreichend gesteigert hat, hat die großzügige Leihgabe ihren wertsteigernden Zweck erfüllt. Dann nimmt der Eigentümer das Bild wieder in seinen Besitz und verkauft es in einer Auktion mit beträchtlichem Gewinn an einen neuen Besitzer. Der kann, wenn er will und dafür ein bereitwilliges Museum findet, das Spiel fortsetzen.

Neben dem finanziellen Gewinn des Besitzers aus diesem Spiel bringt diese Praxis zumindest für begrenzte Zeit auch dem Museum einen finanziellen und der Öffentlichkeit einen ideellen Gewinn.  Immerhin verschwinden diese Kunstwerke nach dem Erwerb durch einen privaten Käufer nicht gleich aus der Öffentlichkeit, sondern werden überhaupt einmal öffentlich zugänglich im Original gezeigt.

Doch am Ende gibt es nur einen Gewinner – den privaten Besitzer der Werke.

Ich erinnere mich an ein ausführliches Gespräch mit dem Direktor eines renommierten Museums, der diese Instrumentalisierung von Museen zum bloßen Zweck der Wertsteigerung von Kunst für ihren privaten Eigentümer heftig kritisierte. Das war vor fünfzehn Jahren.

 

Wertsteigerung durch Ausschluss der Öffentlichkeit

Schaut man sich an, was sich mit Hilfe der Freeports entwickelt, die seit einigen Jahren meist in unmittelbarer Nähe von Flughäfen entstanden sind, dann wäre dieser Museumsdirektor heute vielleicht froh über die Verhältnisse, die er damals beklagt hat. Denn nun spielen die Museen überhaupt keine Rolle mehr in diesem Spiel um die Wertsteigerung von Kunst.

Heute landet wertvolle Kunst nach ihrem Ankauf durch eine Privatperson häufig gar nicht mehr in der Zwischenstation eines Museums, sondern, wie es heißt,  „off shore“ in einem Bunker, wo sie kostengünstig auf unbegrenzte Zeit „zwischen gelagert“ wird.

Hier fungiert Kunst, neben hochwertigem Schmuck und reinem Gold, in einer Zeit des unsicheren Geldes einzig und allein als krisensichere Wertanlage mit Gewinnaussicht. Im Fall des „Salvator Mundi“ besteht im übrigen der Verdacht, dass das Bild möglicherweise gar nicht von da Vinci stammt. Es reichte aus, ihm dieses einst unbedeutende Gemälde geschickt zuzuschreiben, um seinen Marktwert derart in die Höhe zu treiben.

Und die Betreiber der Freeports machen dabei ebenfalls ein gutes Geschäft. Zoll- und Steuervorschriften, die eigentlich für eine kurzfristige Zwischenlagerung von Wertgütern in einer Transitzone gedacht waren, finden hier eine zweckentfremdete Anwendung auf unbestimmte Zeit. Und dies unter strengstem Verschluss. Nicht einmal dem Stadtpräsident von Genf wird auf dessen Anfrage hin Zugang zum dortigen Freeport gewährt.

Diese Entwicklung wirft ein weiteres grelles Licht auf das sich langsam aber sicher ad absurdum führende, dennoch aber unbeirrt von sich selbst überzeugte System des Kunstmarkts, der sich mittlerweile zu einem der besonders lukrativen Geschäftsfelder des Finanzmarkts „hochgearbeitet“ hat. Kaum ein anderer kritisiert diesen Sittenverfall im Umgang mit Kunst beißender als der britische Künstler Banksy. Als clever getarnter Player spielt er dieses Spiel mit, um es zu brüskieren und zu enttarnen. Jedes Mal ein Vergnügen zu sehen, wenn ihm das gelingt. Möge uns die Erkenntnis erspart bleiben, dass er ein doppeltes Spiel spielt.

 

Kunst ist für alle da

Neben der künstlich angeheizten Wertsteigerung ist es vor allem das damit verbundene gezielte Verschwindenlassen von Kunst, das aus meiner Sicht die Paradoxie auf die Spitze treibt. Denn meinem Verständnis nach ist das, was sich da entwickelt, das genaue Gegenteil dessen, was den Sinn und die Bestimmung von Kunst ausmacht. Schufen und schaffen Museen im „alten System“ bei aller Kritik, die man an ihrem exklusiven Konzept der Kunstpräsentation üben kann, doch immerhin noch einen öffentlich zugänglichen Raum, entsteht mit dieser neuen Entwicklung der Privatisierung ein bisher ungekannter exklusiver Raum, der anderen Gesetzen folgt. Kunst im Tresor. Man könnte es auch einen Bunker nennen.

Doch Kunst will gesehen werden. Sie entsteht „im Auge des Betrachters“ immer wieder neu. Unter Verschluss gehalten, darf Kunst nicht ihrer eigentlichen Bestimmung folgen. Im Gegenteil. Sie wird bewusst und systematisch daran gehindert, Menschen zu begegnen, sie zu inspirieren und bestenfalls sogar zu beglücken. Das widerspricht diametral dem Ansatz des OUBEY MINDKISS Projekts. Auch wenn im Rahmen dieses Projekts bisher nicht alle Werke von OUBEY veröffentlicht wurden, liegt das erklärte Ziel des Projekts dennoch eindeutig darin, diesen ursprünglich verborgenen Schatz nach und nach möglichst vielen Menschen weltweit auf möglichst einfache Weise zugänglich zu machen. Dazu gehört konsequenterweise, sie vor den Absurditäten des Kunstmarkts zu bewahren. Ihr stattdessen die Gelegenheit zu geben, ihren Wert allein durch die Bedeutung unter Beweis zu stellen, die sie in der Resonanz von Menschen gewinnt, die ihr begegnen. Und keinesfalls durch irgendeinen Preis. Deshalb ist OUBEYs Kunst zwar öffentlich, aber unverkäuflich – und das seit mittlerweile nahezu dreißig Jahren.

 

PS: Um Missverständnissen zuvorzukommen noch ein Wort zum privaten Reichtum. Privater Vermögensgewinn hat sich in den letzten zwanzig Jahren vervielfacht. Reiche Menschen können aufgrund ihres Privatvermögens Einfluss nehmen. Das war grundsätzlich schon immer so. Doch die Zahl derer, die das können, hat enorm zugenommen. Dabei ist der Anteil derer, die ihren Reichtum erwirtschaftet haben, indem sie – wie beispielsweise ein Bill Gates oder Elon Musk – unternehmerische Risiken auf sich genommen haben, allerdings deutlich gesunken. Man mag über Bill Gates oder Elon Musk geteilter Meinung sein. Doch eins steht fest: Sie investieren heute den größten Teil ihres Vermögens nicht in die Vermehrung ihres Vermögens, indem sie Kunst kaufen und zwecks Wertsteigerung langfristig bunkern, sondern indem sie zukunftsweisende Projekte möglich machen. Dafür haben sie meine Anerkennung.

Denn OUBEYs Verbundenheit mit dem Kosmos und seinen Milliarden von Sternen eröffnete ihm schon in jungen Jahren wahre Welten. Eine Idee von diesen wahren Welten lässt sich im Vorwort zu Arthur C. Clarke´s weltberühmtem Science Fiction Roman „2001 – Odyssee im Weltraum“ finden, das er gemeinsam mit Stanley Kubrick verfasste. Der wiederum schuf mit seiner Verfilmung dieses Romans ein eigenes Kunstwerk, das für OUBEY unbestritten zu den absoluten Meisterwerken der Filmgeschichte gehörte. Ein Text also wie geschaffen als inspirierende Begleitung für den Band „StarPixels“ des fünfbändigen Buchs OUBEY MINDKISS:

 

Die Wahrheit wird weit erstaunlicher sein

„Hinter jedem lebenden Menschen stehen dreißig Geister; in diesem zahlenmäßigen Verhältnis sind die Verstorbenen den Lebenden überlegen. Seit Beginn der Urgeschichte sind rund hundert Milliarden menschliche Wesen auf Erden gewandelt.

Eine sonderbare Zahl, denn durch einen merkwürdigen Zufall gibt es etwa hundert Milliarden Sterne in unserem begrenzten Universum der Milchstraße. Also scheint für jeden Menschen, der je gelebt hat, in unserem Teil des Alls ein Stern.

Doch jeder von diesen Sternen ist eine Sonne, oft eine hellere und herrlichere als der kleine uns am nächsten liegende Stern, den wir „Sonne“ nennen. Und viele – möglicherweise die meisten – dieser entfernten Sonnen besitzen Planeten, die sie umkreisen. Fraglos gibt es daher genügend Land im All, um jeden Typ menschlicher Spezies, vom ersten Affenmenschen bis zu uns, seinen eigenen privaten Himmel – oder seine eigene private Hölle finden zu lassen.

Wie viele dieser potenziellen Himmel oder Höllen im Augenblick bewohnt sind und von welcher Art Kreaturen, können wir nicht einmal ahnen. Die nächste ist Millionen Mal weiter entfernt als Mars oder Venus, diese heute noch fernen Ziele unserer nächsten Generationen. Doch die Schranken der Entfernung schwinden schnell; eines Tages werden wir vielleicht in der Sternenwelt unser Ebenbild vorfinden – oder Übermenschen.

Wir haben uns diese Erkenntnis nur sehr zögernd zu eigen gemacht. Manche hoffen, diese Möglichkeit werde sich nie verwirklichen. Doch immer mehr stellen sich die Frage: `Warum haben solche Treffen nicht schon stattgefunden, da wir bereits selbst im Begriff sind, in den Weltraum vorzustoßen?´

Ja, warum eigentlich nicht? In diesem Buch versuchen wir auf die keineswegs unvernünftige Frage eine keineswegs unmögliche Antwort zu geben. Doch vergesse man nicht: es handelt sich nur um einen Roman. Die Wahrheit wird – wie stets – weit erstaunlicher sein.“*

 

StarPixels

In seinem neuen großen Atelier mit durchgehender Fensterfront und weitem Blick in den Himmel beginnt OUBEY im März 2004 mit der Arbeit an seinem Sternenprojekt. Wenn er nachts dort arbeitet, ist er mit dem Kosmos und seinen Sternen auf besondere Weise nicht nur geistig verbunden, sondern auch räumlich und optisch. Denn sein Blick kann hier durch die große Fensterfront jederzeit in den Nachthimmel mit all seinen von der Erde aus sichtbaren Sternen hinaus wandern.

„StarPixels“ nennt er sie und verbindet damit die Erfahrungen mit der Pixelstruktur seiner Bilder aus der Pionierarbeit mit dem Amiga 500 Computer Ende der 80er Jahre einerseits mit dem immer wiederkehrenden Sternmotiv im jeweils gleichen Format, vor allem aber auch mit dem schöpferischen Gestaltungsprozess, der jedem dieser Sterne eine Einzigartigkeit verleiht. Alle sind sich ähnlich, aber keiner ist wie der andere. Mit seiner eingravierten Signatur verleiht OUBEY jedem dieser Sterne zudem sein persönliches Siegel dieser Einzigartigkeit.

Als er die ersten fünfundzwanzig Sterne gemalt hat, fügt er sie auf dem Boden des Ateliers zu einem Cluster zusammen – ein großes Sternenbild, zusammengesetzt aus 25 kleinen Sternenbildern.

Die Sterne und er scheinen sich gegenseitig anzuziehen. Täglich kommen ein oder zwei neue hinzu. Der Schaffensprozess gleicht einer ebenso schöpferischen wie meditativen Selbstversunkenheit. In einem Jahr würde er sein Ziel erreicht haben.

84 Sterne sind gemalt, als OUBEY am 2. August 2004 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt. Zwei bleiben unvollendet zurück. Sie zeigen die Grundstruktur am Beginn des Entstehungsprozesses eines jeden Sterns. Wie ihre einzigartige farbliche und strukturelle Gestalt je ausgesehen hätte, bleibt für immer ihr Geheimnis.

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*Zitiert nach: OUBEY MINDKISS – StarPixels

Und eine Karte, die den Standort einer real existierenden Insel inmitten einer Welt des endlosen Wassers verrät, tätowiert auf dem Rücken eines jungen Mädchens, wird zum Objekt der Begierde.

Immer verfügbar

Doch es kann auch anders kommen. Und zwar dann, wenn nicht Erde, sondern Wasser zum knappen und überlebenswichtigen Gut wird. Ein Mangel, den wir in unseren Breitengraden bisher nicht kannten. Das kann sich ändern.

Wir drehen den Wasserhahn auf und schon fließt es, dieses wertvolle Gut. Und was da fließt, ist hochwertiges, geklärtes Trinkwasser. Doch mit dem Wasser, das aus dem Hahn kommt, verhält es sich nicht anders als mit dem Geld, das aus einem Bankautomat kommt. Es kommt nur dann etwas heraus, wenn etwas drin ist.

Geld kann im Zweifelsfall gedruckt werden. Wasser dagegen kann nicht künstlich hergestellt werden. Es ist eine natürliche Ressource, die gespeichert, aber nicht künstlich vermehrt werden kann.

Begrenzte Ressource

Seit ich vor einigen Jahren fürs MINDKISS Projekt in Uganda unterwegs war, betrachte ich den Wasserhahn in meiner Wohnung mit anderen Augen. Ich war zwar auch vorher schon sparsam im Umgang mit Wasser – dachte ich. Doch dort habe ich erlebt, was es heißt, wenn tatsächlich jeder Tropfen Wasser zählt und mehrfach verwendet wird, bevor er dann irgendwann weggeschüttet wird.

Dort habe ich erlebt, mit wieviel Aufwand es verbunden ist, Wasser zum Trinken und zum Kochen zu bekommen. Und wie sparsam dort mit Wasser gehaushaltet wird. Vielleicht nicht in den Luxushotels, in denen die Touristen sich so fühlen sollen wie zuhause. Umso mehr aber in den Haushalten der sogenannten einfachen Menschen, bei denen ich zu Gast sein durfte. Das hat mich beschämt.

Menschen in anderen Regionen Afrikas und der Welt erleben täglich was es bedeutet, mit einem Minimum an Wasser auskommen zu müssen. Wir leben hier in einer sogenannten „gemäßigten Klimazone“ und kennen derlei Beschränkungen nicht. Wir haben uns an diesen Luxus gewöhnt und halten das, was in Wahrheit ein großes Glück ist, für eine Selbstverständlichkeit. Doch nichts auf dieser Welt ist selbstverständlich. Und jedes Glück kann sich wenden.

Direkter Verbrauch

Wasser ist ein Elixier des Lebens. Menschen können viele Tage ohne Nahrung überleben, doch nur wenige Tage ohne Wasser.

Die Erde ist ein blauer Planet. Ungefähr 70% der Erdoberfläche ist von Wasser bedeckt. Doch dieses Wasser ist Salzwasser, für den Verzehr nicht geeignet.

Menschen brauchen trinkbares Süßwasser, um leben und überleben zu können. Doch kein Mensch braucht 120 Liter Trinkwasser am Tag, um seinen Durst zu stillen oder seine Nahrung zuzubereiten. Dennoch verbraucht ein Bundesbürger im Durchschnitt jeden Tag 120 Liter Trinkwasser von allerbester Qualität. Verzehrt werden im Schnitt maximal 2 Liter pro Person, eher weniger. Bleiben 118 Liter Trinkwasser, die wir jeden Tag fürs Duschen, Baden, Abwaschen, Wäschewaschen, Gartenwässern und sogar für die Klospülung verbrauchen.

Die Infrastruktur unserer Wasserversorgung stammt aus Zeiten, in denen sich das menschliche Bewusstsein von der Begrenztheit der Ressourcen noch im pränatalen Stadium befand. Eine Trennung der Leitungen von Trink- und Verbrauchswasser ist derzeit nicht möglich, teilte mir kürzlich ein Experte mit, als ich ihn danach fragte.

Indirekter Verbrauch

Damit aber nicht genug. In allem, was wir täglich zu uns nehmen und gebrauchen, steckt auch ein indirekter Wasserverbrauch. In einem Liter Kuhmilch steckt beispielsweise der Verbrauch von 248 Litern Wasser, in einem kg Mandeln gar 371 Liter. Wieviel Wasser für die Herstellung eines Nahrungsmittels oder künstlich hergestellten Produkts verbraucht wurde, ist bis heute auf keinem Warenetikett gekennzeichnet.

Der Anbau von Zitrusfrüchten und Mandeln in bestimmten Regionen dieser Welt verbraucht allein die Hälfte des weltweit vorhandenen „Grünen Wassers“. Grünes Wasser ist das Wasser, das auf natürliche Weise durch den Regen in den Boden gelangt. In gemäßigten Klimazonen wie der, in der wir hier in Deutschland leben, können viele Produkte der Landwirtschaft mit „Grünem Wasser“ zur Ernte gebracht werden.

„Blaues Wasser“ ist Wasser, das Seen, Flüssen oder auch dem Grundwasser entzogen wird, um in Bewässerungsanlagen eingesetzt zu werden. Ein Artikel in dem lesenswerten Perspective Daily-Magazin gibt hierüber weiteren Aufschluss.

Ungedeckte Schecks

So wie die Ressourcen einer Bank gedeckt sein müssen, damit man Geld abheben kann, muss auch das Reservoir an verfügbarem Trinkwasser gedeckt sein, damit dieses wertvolle Gut auch in Zukunft für jeden von aus dem Hahn fließt, wenn wir ihn aufdrehen.

Wie groß dieses Reservoir ist, zeigt der Grundwasserspiegel. Er ist in den letzten Jahren kontinuierlich und bedrohlich gesunken. Als ob das nicht genug wäre, hat sich auch die Qualität des Grundwassers, das sich in den letzten Jahrzehnten angesammelt hat, deutlich verschlechtert. Und das allein aus dem Grund, dass wir das Wasser nicht nur als scheinbar unbegrenzt verfügbare Ressource betrachten, sondern die Bäche und Flüsse, die uns versorgen, darüber hinaus auch als Müllplätze missbrauchen, in die hinein wir nicht nur die Wegwerfabfälle des Alltags, sondern auch giftige Abfälle entsorgen.

Die Nachwirkungen aus früheren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als sich beispielsweise der Rhein bei Basel, Ludwigshafen und anderswo täglich in neuen Farben zeigte – je nachdem welche Abwässer von den ansässigen Chemieunternehmen gerade verklappt worden waren – , sind heute glücklicherweise aus dem Rheinwasser verschwunden,  im Grundwasser dagegen haben sind sie immer noch vorhanden. Was heute an Giftstoffen ins Grundwasser gelangt, wird noch für viele Jahrzehnte dort erhalten bleiben und die Wasserqualität für unsere Kinder und Enkel mindern.

Sonne bringt Wonne

Wenn ich Menschen in diesen Tagen über den „schlechten Sommer“ klagen höre, dann kann ich das einerseits verstehen. Zugleich wundere ich mich darüber, dass der Regen so unbeliebt ist. Frag einen Landwirt und er wird Dir sagen, dass Regen und Sonne im rechten Maß dazu gehören, damit eine Ernte eingefahren werden kann.

So wie wir das Wasser aus dem Hahn einfach laufen lassen, erscheint uns das Warenangebot an Obst und Gemüse im Supermarkt als käme es aus einem Hahn – noch dazu möglichst sauber verpackt in schwer oder gar nicht recycelbarem Plastik, für deren Herstellung ebenfalls Mengen von Wasser verbraucht wurden. Wenn ein Sommer, in dem wochenlang kein Tropfen Regen fällt und täglich mehr als 30 Grad Celsius erreicht werden, als Supersommer bezeichnet wird, über den sich alle freuen, dann wird mir mulmig.

Immer noch wirken Landwirte dem Austrocknen ihrer Felder entgegen, indem sie das wertvolle Grundwasser aus dem Boden herauspumpen, um es dann über einen 360 Grad-Sprenkler mindestens zur Hälfte in der Luft verdunsten zu lassen. Was für eine Verschwendung! Erfreulicherweise haben viele Landwirte im letzten Jahr eine andere Art der künstlichen Bewässerung eingeführt, durch die das Wasser dicht am Boden an die Wurzel der Pflanzen gelangt.

Damit kein Missverständnis aufkommt. Natürlich liebe auch ich den Sommer und die Sonne. Doch schon in sehr jungen Jahren bin ich liebend gerne ohne Schirm im Regen spazieren gegangen und entspanne mich auch heute noch beim beruhigenden Klang des Regens auf dem Dach oder den Blättern der Büsche und Bäume.

Regen bringt Segen

Wir sollten uns über Regen, wenn er in Maßen fällt, nicht ärgern. Niemals. Denn Regen füllt das Reservoir des Grundwassers, aus dem wir, die Natur und nicht zuletzt unsere Nachfahren sich eines Tages mit Trinkwasser versorgen müssen, um überhaupt leben zu können. Wenn wir nicht lernen, über den Horizont unseres eigenen heutigen Lebens hinaus in die Zukunft hinein und einige Jahrzehnte vorauszudenken, werden unsere Nachkommen eine Welt vorfinden, in der das, was für uns noch selbstverständlich war, keineswegs mehr selbstverständlich sein wird. Wollen wir das? Ich will es nicht.

Extreme Temperaturen von 50 Grad an der Ostküste Kanadas oder extremer Starkregen, der aus friedlichen Bach- und Flussläufen innerhalb kürzester Zeit zu Sturzfluten werden lässt, die alles mitreißen oder zerstören, was ihnen im Weg liegt, mögen uns derzeit noch singuläre Ausnahmen erscheinen. Sie könnten aber auch Vorboten eines Klimawandels sein. Nun gut, werden Sie sagen, extreme Klimaveränderungen gab es in der Evolutionsgeschichte immer wieder. Das stimmt. Aber diese ist die erste, die wir aufgrund des Entwicklungsstands unserer Technologie frühzeitig vorhersehen konnten und damit auch die Chance haben, sie zumindest zu bremsen und zu mildern, uns zugleich aber auch auf deren katastrophale Wirkungen vorzubereiten – sei es, dass wir das Land vorm Wasser schützen oder dem Land das das Wasser sichern.

Wasser als Ware?

Die Marktwirtschaft lehrt uns, dass die Nachfrage nach einem Gut seinen Wert bestimmt und dass die Knappheit eines Guts dessen Wert steigert – sofern das Gut auf dem Markt begehrt ist und nachgefragt wird. Wenn Erde knapp ist, ist Erde wertvoll. Das zeigt der Film „Waterworld“. Wenn Wasser knapp wird, ist Wasser wertvoll.

Doch wenn Wasser für uns erst dann wertvoll wird, wenn es knapp ist, dann haben wir ein Problem. Wasser ist wertvoll an sich. War es schon immer. Wir müssen es nur begreifen und dementsprechend respektvoll, sorgsam und sparsam mit ihm umgehen.

Gleich zu Beginn seines Architekturstudiums an der Universität Karlsruhe machte OUBEY dort Bekanntschaft mit einem Menschen, der ihn tief und mehr als jeder andere in diesem universitären Betrieb beeindruckte – Professor Fritz Haller. „Er ist wie ein Obelisk“, sagte OUBEY über ihn in einem Gespräch 1992 einmal, und fügte hinzu: „Man geht um ihn herum, betrachtet ihn staunend von allen Seiten“. Als gelernter Zimmermann, Autodidakt und Visionär passte Haller so gar nicht ins Kastendenken dieses akademischen Systems. Das allein wäre für OUBEY schon Grund genug gewesen, Fritz Haller interessant zu finden. Doch es waren vor allem zwei futuristischen Projekte, die dieser Professor ins Leben rief und gemeinsam mit seinen Studenten vorantrieb, für die OUBEY sich so sehr begeisterte: Integral Urban war das eine, Prototypische Raumkolonien das andere.

Beide Themen sind heute in einer Weise aktuell wie man es damals zwar bereits vorhersehen konnte, wenn man die Zukunft nicht für eine bloße Fortsetzung des Gegenwärtigen hielt. Doch bis die Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Veränderung ein öffentliches Interesse erreichen, das groß und stark genug ist, um ihnen die Triebkraft zu verleihen, die sie brauchen, um über den Status einer Fiktion oder Utopie hinauszukommen, vergehen Jahrzehnte, manchmal sogar Jahrhunderte.

Hallers Konzept für eine Stadt der Zukunft, 1968 erstmals veröffentlicht, war zu seiner Zeit und ist bis heute revolutionäre und genau aus diesem Grund gleichermaßen faszinierend wie befremdend. Faszinierend, weil der Mensch sich hier in Ballungszentren auf ein hochwertiges Minimum an Platz zurückzieht, in dem ihm sowohl begrenzte individuelle Rückzugsräume als auch eine Vielfalt sozialer, kultureller, sportlicher und medizinischer Funktionsräume zur Verfügung stehen. Dazu ein Mobilitätskonzept, das sich vom Auto als bevorzugtem individuellen Fortbewegungsmittel komplett verabschiedet und stattdessen eine Verkehrsinfrastruktur entwirft, an der ein Elon Musk ganz sicher seine Freude hätte. Und um diese von Menschen besiedelten Ballungszentren herum nichts als Urwald. Vom Menschen befreite Natur, die Natur sein darf.

Soweit das Faszinierende, was mich sofort begeisterte, als OUBEY mir in der ersten gemeinsamen Nacht unseres Lebens bis ins Morgengrauen hinein davon erzählte. Was daran befremdlich ist? Es ist das Kategorische, das sich selbst wiederholende Gleichförmige und Vereinheitlichende dieses ansonsten höchst intelligenten Konzepts. Da ist nur sehr wenig Platz für Individualismus. Alle sind gleich – möglicherweise hat der eine oder andere etwas mehr persönlichen Rückzugsraum in dieser Zukunftsstadt. Doch die Utopie hat etwas Kommunistisches an sich, weshalb sie seinerzeit und bis heute vermutlich auch keinen sonderlich großen Zuspruch erfuhr. Und als solche klammert sie eine zentrale Thematik aus, die sich aus dem Zusammenleben von Menschen in Städten und Gesellschaften inhärent ergibt: die Wirtschaft. Wovon leben die Menschen? Was, wo und wie arbeiten die Menschen in dieser Stadt? Gibt es Produktionsstätten? Wie und wo sind sie in dieses Konzept eingebaut? Gibt es High-Tech-Industrie? Gibt es Landwirtschaft?

Zur Verteidigung könnte man anführen, dass es eben nur ein architektonisches Konzept war und damit begrenzt, ohne Einbeziehung gesamtgesellschaftlicher Fragen. Stimmt. Es war ein Konzept aus dem Elfenbeinturm architektonischen Vordenkens. Als solches ist es aus meiner Sicht aber immer noch inspirierend und wertvoll.

Seit Fritz Hallers „Integral Urban“ veröffentlicht wurde, haben wir viele Jahrzehnte verschenkt, ohne uns mit diesem oder anderen interessanten Zukunftskonzepten fürs Zusammenleben der Menschen im Einklang mit der Natur ebenso kritisch wie ernsthaft zu beschäftigen. Es wurde städtebaulich so wildwüchsig und konzeptlos weiter gemachen wie eh und je, statt in wirklich neue, nachhaltige und naturfreundliche Konzepte zu investieren. Die Natur hätte es uns gedankt. Und das Leben der Menschen in den Ballungsräumen wäre heute substanziell anders und angenehmer als es derzeit ist.

Doch Besserung ist nicht in Sicht. Wir betonieren und zementieren Tag für Tag weiterhin unfassbar große Flächen an Erde auf diesem Planeten zu als wäre Erde etwas, das keine Luft zum Atmen braucht. Und als wären wir nicht abhängig davon, dass die Erde uns das gibt, was wir zum Leben brauchen. Wir haben nicht nur den Respekt vor der Natur verloren, wir haben als Spezies offensichtlich noch immer nicht verstanden, was uns überhaupt hervorgebracht hat und am Leben erhält.

Die Frage nach dem Konzept für eine Stadt der Zukunft ist eine Frage des Überlebens – so oder so.

Nachdem alle sozialen Utopien des 18. und 19. Jahrhunderts am Versuch ihrer Verwirklichung im 20. Jahrhundert grandios gescheitert sind, kommen nun, auch nicht besser, die sozialen Dystopien in Mode. Sie sind Ausdruck eines Zeitgeists, der den Glauben an die eigene Fähigkeit zur Veränderung verloren zu haben scheint und deshalb den eigenen Untergang beschwört. Warnend, aber nicht wirklich hilfreich. Kann der Mensch wiedergutmachen, und als seine ureigenste Existenzgrundlage wiederherstellen, was er einhundertfünfzig Jahre lang in einem Rausch, gemixt aus technischer Machbarkeit und finanzieller Raffgier, zerstört hat? Auf diese Frage kann es im Jahr 2021 für eine Spezies, die sich selbst als Homo Sapiens bezeichnet, nur eine Antwort geben und die heißt „Ja“. Die Spezies steht auf dem Prüfstand. Sie muss zeigen, ob sie intelligent genug ist, ihr eigenes Überleben zu sichern. Denn dass der Planet uns überleben wird, steht außer Frage. Wir sind nicht die Herrscher, sondern Teil dieses wunderbaren Kosmos, in dem wir leben. Das Gegenmittel gegen Dystopische Verhältnisse sind nicht irgendwelche neuen Utopien. Was fehlt, ist das Denken in Zusammenhängen, das interdisziplinäre Denken und Zusammenarbeiten all derer, die sich dadurch den Namen einer Elite, den sie sich heute gerne selbst zuschreiben, tatsächlich erst verdienen würden.

 

Damit kein Missverständnis aufkommt: Wenn Science Fiction Dystopien entwirft, ist das etwas anderes. Blade Runner von Ridley Scott aus dem Jahr 1982, basierend auf dem Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep“? von Philip K. Dick aus dem Jahr 1968, zeigt die Dystopie der Stadt Los Angeles im Jahr 2019. Auch wenn es in Los Angeles heute nicht immer dunkel ist und regnet wie im Film „Blade Runner“, trifft die Beschreibung dessen, was sich dort heute im Alltagsleben einer wachsenden Zahl von Menschen als „dunkle Realität“ darbietet durchaus den Kern dessen, was „Blade Runner“ seinerzeit filmisch in Szene gesetzt hat. Menschen, die sich ihre Existenz nur mit Mühe nur durch mehrere Jobs sichern und sich dennoch keine Wohnung leisten können. Sie leben in Zelten auf den Bürgersteigen verkehrsreicher Straßen. Sie sind keine Outlaws, sondern Menschen, die täglicher Arbeit nachgehen. Ein großartiger, unbedingt sehenswerter Dokumentarfilm über Ridley Scott´s „Blade Runner“, der vor einigen Monaten auf Arte TV ausgestrahlt wurde, hat gezeigt, dass diese Fiktion einer Stadt der Zukunft am Beispiel des Lebens in einem Los Angeles 2019 inzwischen längst von der Gegenwart eingeholt wurde. Ob sich das mit der Dystopie des ebenso großartigen „Blade Runner 2049“ von Denis Villeneuve aus dem Jahr 2017 wiederholen wird, werde ich wohl nicht mehr erleben.

Meine These: Es liegt am Ball.

Das dritte Element

Egal ob zwei Mannschaften oder zwei Menschen mit dem Ball gegeneinander oder um den Ball miteinander spielen – der Ball ist als drittes Element immer im Spiel. Sobald er die Hand, den Fuß oder den Schläger verlassen hat, bewegt er sich frei im Raum nach den Gesetzen der Physik. Sein Weg oder seine Flugbahn kann dann höchstens noch durch Wind und Wetter beeinflusst werden, nicht aber durch den Eingriff eines Spielers. Ob er an der Netzkante zurück ins eigene Feld oder hinüber ins Feld des Gegners fällt, entscheidet sich in der Sekunde dieser Berührung und kann im Tennis über den Gewinn eines ganzen Matches entscheiden.

Mit dem Wurf von Speer, Diskus oder Hammer in der Leichtathletik verhält es sich flugtechnisch vielleicht ähnlich wie mit dem Ball. Doch da geht es allein um Weite, nicht ums Zusammenspiel zwischen Menschen.

Die Eigendynamik der freien Bewegung eines Körpers im Raum – das ist das Wesensmerkmal des Spiels mit dem Ball und unterscheidet deshalb den Ballsport von allen anderen Sportarten. Der Ball bewegt sich frei und wohin er läuft oder fliegt, hängt vor allem vom Geschick des Spielers in dieser einen einzigen Sekunde der Berührung ab.

Eine runde Sache

„Der Ball ist rund“ – diese scheinbar banale Feststellung von Sepp Herberger, dem ersten Bundestrainer einer deutschen Fußballnationalmannschaft nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, wird noch heute gern zitiert. Im Unterschied zum Rad, einer der bahnbrechenden Erfindungen der frühen Menschheitsgeschichte, ist der Ball aber nicht nur kreisrund. Er ist kugelrund. Genau das macht ihn so besonders.

Und das macht das Zuschauen bei einem Ballspiel genauso interessant wie das aktive Spielen selbst. Man beobachtet nie nur die spielenden Menschen, sondern immer auch den gespielten Ball und ist gespannt, wo er landen wird.

Ob geworfen, geschossen oder gestoßen – ein Ball kann sich jederzeit in alle möglichen Richtungen bewegen. Man kann ihn ins Feld, ins Tor, in den Korb oder ins Loch schießen, je nachdem ob das Spiel mit dem Ball den Regeln von Fuß- oder Handball, Basketball, Volleyball, Eishockey, Rugby, Tischtennis, Golf oder Billiard folgt. Man kann ihn aber auch ins Rough, ins Netz oder weit über das Tor hinaus in den Nachthimmel Italiens schießen, wie Paul Gascoigne seinerzeit im Elfmeterschießen des Halbfinales der Fußballweltmeisterschaft von 1990 zwischen England und Deutschland.

Das Ende ist immer in Sicht

„… und das Spiel hat neunzig Minuten“ lautet die Fortsetzung von Sepp Herbergers bereits zitiertem Satz. Das stimmt für den Fußball, aber keineswegs für andere Ballsportarten. Wenn es eine zeitliche Begrenzung gibt, wie beispielsweise im Fuß-, Hand- und Basketball oder im Eishockey, dann ist genau das ein besonderes Spannungsmoment: Welche Mannschaft schafft es, in der begrenzten Zeit mehr Treffer zu erzielen als die andere?

Im Volleyball, Tennis, Tischtennis oder Golf aber geht es allein um die Punkte – unabhängig von der gespielten Zeit. Ein Tennismatch kann sich erst nach vielen Stunden im fünften Satz zugunsten desjenigen Spielers entscheiden, der die besseren Nerven hat und am Ende den entscheidenden Punkt spielt.

Die Freude am Spiel

In frühen Zeichnungen aus China und Japan sowie in Reliefs aus Ägypten und Mexico sehen wir Menschen, die sich Bälle zuwerfen und sogar bereits Fußball spielen. Das Werfen und Fangen ebenso wie das Schießen und Annehmen eines Balls ist im Grunde genommen ein Akt zwischenmenschlicher Interaktion – ohne Worte. Das muss schon damals von Bedeutung gewesen sein, wenn dem Ballspiel bereits seinerzeit eigene Darstellungen gewidmet wurden.

Diese besondere soziale Qualität des Ballsports hat ihn dann auch, zumindest in Teilen und in Verbindung mit nationalistischen Ambitionen, zu einem der profitabelsten Geschäftsfelder im Leistungssport der letzten fünfzig Jahre werden lassen. Dass sich mit einigen Spielarten des Ballsports so viel Geld verdienen lässt wie in diesen heutigen Zeiten, hat der Spielfreude mancher Akteure glücklicherweise keinen Abbruch getan.

Die italienische  Fußballnationalmannschaft lebte und zeigte das in diesen Wochen auf begeisternde Art und Weise. Sie spielten zwar(meistens) taktisch klug und immer erfolgsorientiert, wirkten dabei aber dennoch als wären sie Jungs auf dem Bolzplatz, freuten sich wie die Kinder, wenn sie ein Tor schießen oder gewinnen.

Emotionen gehören dazu

Ohne Emotion geht gar nichts. Sie ist die Antriebskraft und Sport ist in all seinen Spielarten und Erscheinungsformen immer mit Emotion verbunden. Das fängt beim ganz privaten Sport als Ausgleich zur meist sitzenden Berufstätigkeit vieler Menschen im heutigen Alltagsleben an. Wenn ich mich bewege, komme ich in „Motion“ und damit immer auch in ein Gefühl, das sich vom Gefühl des Sitzens an einem Schreibtisch deutlich unterscheidet. Und es endet bei der Motivation einer Sportlerin, eine bestimmte, für sie subjektiv definierte Höchstleistung zu erreichen.

Etwas anders verhält es sich mit den Emotionen der Zuschauer und Fans, in denen sich alles mögliche miteinander vermischt. Hier spielt kollektive Identität eine wesentliche Rolle – von der Identifikation für den lokalen oder regionalen Verein bis hin zur jeweiligen Nationalmannschaft. Dann steht und fällt auf einmal alles mit dem Sieg oder der Niederlage der „eigenen“ Mannschaft. Wenn es soweit kommt, erreicht das Spiel mit dem Ball wie jeder Sport einen Grenzbereich, in dem es entscheidend darauf ankommt, dass die Sportler selbst, vor allem aber die Fans und Zuschauer, ihre Glücksgefühle nicht in Triumph umschlagen lassen und ihre Enttäuschung nicht in Wut. Das ist eine Frage der Haltung und gerade bei den beliebten Massensportarten des Ballsports zeigt sich immer wieder die Größe, aber leider auch die Niedertracht, die mit solchen Emotionen verbunden ist.

Nation First vs Fairness First

Zur sozialen Qualität des Ballsports gehört die Fairness. Das gilt für individuelle Matches ebenso wie für den Mannschaftssport. Den Engländern sagt man nach, dass sie nicht nur den Fußball erfunden haben, sondern auch das Fairplay. Ersteres stimmt sicher nicht. Beim Fairplay kommen mittlerweile zumindest Zweifel auf, wenn es um das Verhalten der sogenannten Fans geht. Hooligans gibt es überall, doch es ist wohl kein Zufall, dass der Name für diese widerwärtigen Zeitgenossen ebenso wie der fürs Fairplay aus England kommt.

Was den respektvollen Umgang mit dem sportlichen Kontrahenten betrifft, ist selbst den britischen Fans, die nicht zu den Hooligans gehören, diese urenglische Eigenschaft derzeit leider offensichtlich abhanden gekommen, was sehr bedauerlich ist. Sie buhen und pfeifen die Nationalhymnen ihrer Gegner aus, bestrahlen den Torwart der gegnerischen Mannschaft beim Elfmeterschießen mit Laserpointern und eröffnen eine Hetzkampagne gegen farbige Spieler ihrer Nationalmannschaft, von denen sie bis ins Finale hinein begeistert waren – weil sie einen Elfmeter verschossen haben.

Ein jeder ist immer frei, sein Herz auch für eine andere Mannschaft als die der eigenen Nation schlagen zu lassen. In einem internationalen Umfeld, das auf Kooperation und Koexistenz angewiesen ist und sich zugleich in einem politischen Spannungsfeld mit antidemokratischen Systemen befindet, kommt gerade dem Fußball als dem Ballsport, der die Massen weltweit bewegt und begeistert, eine besonders wichtige Aufgabe zu. Das sage ich als Frau, die bereits als junges Mädchen so fußballbegeistert war, dass sie selber spielen wollte und es schaffte, dass die Jungens aus der Nachbarschaft sie mitspielen ließen.

Keep the Ball Rolling

Über das Rad und seine kulturgeschichtliche Bedeutung sind sich die Historiker einig. Doch was ist mit der Weiterentwicklung des Rads, dem Ball? Was wäre unser Leben ohne die rollende Kugel und ohne den Ball? Selbst wirtschaftlich wurde die rollende Kugel im Laufe der Jahrzehnte interessant, man denke nur ans Kugellager oder den Rollkoffer. Dass es auch Kugeln sind, die, aus Kanonen und Gewehren abgeschossen, nicht nur zu Zeiten erklärter Kriege Unheil und Tod über Menschen bringen, gehört zur Wahrheit leider dazu.

Doch vor allem glaube ich, dass der Ball, diese rollende Kugel uns Menschen im Lauf der Geschichte enorm inspiriert und auch sehr gut unterhalten hat. Vom Baby bis zum Greis hat dieses rollende Ding eine magische Anziehungskraft. Und nicht zuletzt hat der rollende Ball auch eine starke symbolische Bedeutung. Den Ball im Spiel zu halten ist nicht nur wichtig im Ballsport, es ist im übertragenen Sinn auch wichtig im Leben überhaupt. Nicht stehen zu bleiben, sondern sich zu bewegen und immer weiter zu gehen – das Leben als rollende Bewegung.

Und das manchmal auch über den Tod hinaus. Dem 1980 durch ein Attentat ums Leben gekommenen John Lennon widmete Bob Dylan Jahre später einen Song mit dem Titel „Roll on John„. Bleib lebendig.

 

 

Eine große Wolke der Sehnsucht stand still über dieser Zeit. Sie verflüchtigte sich bereits nach wenigen Minuten im Kino, für einen kurzen Moment, bevor sie sich in eine Wolke glücklicher Wehmut verwandelte, die diesen Film von seinem Anfang bis zu seinem Ende begleitet. Zwei Gefühle, die sich in einem Moment ganz ungeplant treffen als gehörten sie zusammen.

Dabei geht es zwar auch um den wunderbaren Film Nomadland, der mich sehr berührt hat. Doch nach der längsten Kinoabstinenz meines Lebens geht damit einher auch eine Liebeserklärung an den Film und ans Kino überhaupt.

Seit der großartige Pionier des Kinos Georges Méliès vor mehr als einhundert Jahren in Paris sein größtes Lebensabenteuer damit begann, alles, was er hatte, in die Produktion von Filmen zu stecken, gehören Filme zu einer faszinierenden Dimension von Wirklichkeit, die nur dann erlebbar wird, wenn man im weichen Sessel eines großen dunklen Raums sitzt, ausgestattet mit brillianter Leinwand und bester Akustik, und binnen weniger Minuten so tief hineingezogen wird in das Geschehen auf dieser Leinwand, dass man den Rest dieser Welt vergisst. Wie man Filme von solcher Qualität macht, haben viele Regisseure und Produzenten uns immer wieder gezeigt. Einer der besonders guten unter ihnen, Martin Scorsese, hat Georges Mèliés mit seinem grandiosen 3D-Film Hugo Cabret posthum die Ehre erwiesen, die der längst verdient hatte.

Ja, das kann sehr wohl zusammen gehen: Hollywood mit seiner gigantischen Maschinerie kommerzieller Filmproduktion und die feine, fantastische Geschichte eines europäischen Filmpioniers und das Ganze auf höchstem technischen Level. Es war wohl auch für Martin Scorsese selbst eine Frage der Ehre. Und auch im Fall von Nomadland zeigte sich Hollywood beeindruckt, denn die „Academy“ zeichnete den Film dieses Jahr mit drei Oscars aus: einen für den Film, einen für die wirklich großartige Regieleistung der jungen Chloé Zhao und einen für die unvergleichliche, immer ganz sie selbst seiende Frances McDormand. Wie sehr sie immer sie selbst ist, wenn sie spielt, wird in diesem Film deutlicher als in allen ihren früheren Filmen. Denn hier spielt sie zusammen mit Menschen, die keine Schauspieler sind, sondern echte Nomaden. Und sie spielt sie nicht an die Wand, sondern fühlt und fügt sich ein als wäre sie selbst eine von ihnen, lässt sie im Zusammenspiel voll zur Geltung kommen. Sie lebt mit ihnen für die Dauer der Drehzeit das Leben, das viele Amerikaner führen, die sich aus der Beengtheit des niedergelassenen Wohlstandsdaseins befreit haben – mehr oder weniger freiwillig. Frances McDormand ist eine schauspielerische und menschliche  Ausnahmeerscheinung in Hollywood. Gut, dass es sie gibt. Und gut, dass es diesen Film gibt. Er setzt dem lärmenden Getue dieser Tage, in denen die kollektive Empörungsbereitschaft gelegentlich skurrile über sich selbst hinauswächst, etwas entgegen, das ebenso  leise wie eindrucksvoll ist, indem er diese Geschichte erzählt. Alles andere über diesen Film finden Sie am besten heraus, indem Sie ihn sich selbst anschauen.

Überhaupt wäre es meine Bitte und auch zugleich meine Empfehlung an Sie, nun wieder und so oft wie möglich ins Kino zu gehen, denn nur so werden die Lichtspielhäuser im Wettbewerb mit den Streamingdiensten dauerhaft eine Chance haben. Diese Dienste waren, ähnlich wie Internetlieferanten jeder Art – nämlich die großen Profiteure des Lockdowns im Filmgeschäft. Auch ich habe mir manchen Film während des Lockdowns zuhause angeschaut, aber nur, wenn er von TV-Sendern ausgestrahlt wurde – keinen einzigen im Programm der großen Streaming-Dienste.

Bereits in den späten 60er und frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Kino schon einmal totgesagt. Wim Wenders, wohl einer der besten deutschen Filmregisseure, widmete zu dieser Zeit dem Untergang des Provinzkinos einen seiner ersten, unbedingt sehenswerten Filme Im Lauf der Zeit. Doch das Kino erfand sich neu, überlebte und erlebte eine Wiederauferstehung wie sie kaum einer je vorhergesagt hätte. Es wäre schön, wenn das nun ein zweites Mal gelingt. Denn die wirklich großen Filme brauchen eine wirklich große Leinwand und die volle, ununterbrochene Aufmerksamkeit ihrer Zuschauer. Für echtes Kino gibt es keinen Ersatz.

Den Kino-Entzug des letzten Jahres konnte ich durch Musik und Lektüre eher kompensieren als durch Filme im Bildschirmformat – und sei die Diagonale noch so groß und die HDTV Qualität noch so hoch. Denn ich liebe auch diese ureigenen Filme, die beim Lesen eines Romans oder beim Hören guter Musik in meinem Kopf entstehen. Doch ich liebe es genauso, das zu sehen, was andere aus den ureigenen Filmen in ihren Köpfen dann für die ganze Welt auf die Leinwand bringen. Und das ist schon so seit ich nicht mal zehn Jahre alt war und für 50 Pfennig am Samstagnachmittag im Gemeindesaal meiner Heimatstadt, der alles andere als ein Kinosaal war, zusammen mit einer johlenden Menge am Boden sitzender Kinder Charlie Chaplin, Buster Keaton, Harold Lloyd, „Fuzzi“ und „Pater Brown“ sah. Diese Liebe zum Kino teilte OUBEY mit mir wie kein anderer Mensch vor und nach ihm in meinem Leben. Vielleicht haben mich die zwei Zeilen, die im Abspann von Nomadland für einen Augenblick die komplette Leinwand für sich hatten, auch deshalb so berührt:

Gewidmet allen, die uns verlassen haben. Man sieht sich.

Die Geschichte, die dieser Film bis dahin einhundertzehn Minuten lang intensiv und fesselnd erzählt, findet an dieser Stelle ihren existenziellen Moment der Singularität – ganz im Sinne von Thomas Pynchon, um dessen großartigen Monumentalroman Gravity´s Rainbow es im letzten Beitrag ging. Nomadland ist alles andere als monumental. Der Film ist so schlicht und reduziert wie das Leben der Menschen, von dem er erzählt. Und doch hat der Film etwas mit Pynchon´s Roman gemeinsam: Die Idee, dass diejenigen, die irgendwann vom Blitz des Lebens getroffen werden, zwar immer noch in dieser Welt weiterleben, zugleich aber von da an auch in einer anderen Welt zuhause sind. Diese andere Welt ist denen, die der Blitz des Lebens bis dahin nicht getroffen hat, fremd. Die „Getroffenen“ erwecken den Anschein als seien sie noch immer von dieser Welt, was rein physisch auch der Fall ist. Sie arbeiten, wie in Nomadland, bei Amazon, Fast Food Restaurants oder gehen anderen Kurzeitjobs nach, um ihre Existenz zu sichern. Doch in ihrem Herzen, in ihrer Seele leben sie in einer anderen Welt. Im Nomadland?

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