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Ein Freund im All

Wer kennt sie nicht? Den quirligen R2D2 und den steifen hochglanzpolierten 3-CPO. Sie sind Begleiter und Helfer der StarWars-Helden, manchmal sogar deren Retter in größter Not. Weit mehr als pure Maschinen, haben sie eine eigene Persönlichkeit, und werden dadurch nicht nur zu Freunden der Helden, sondern auch zu Lieblingen des Publikums. Das Weltraumteleskop Hubble ist real und hat nichts von alledem. Dennoch wurde es zum Liebling nicht nur der Wissenschaftler, sondern auch der interessierten Weltöffentlichkeit.

Wie groß mittlerweile die Sympathie auf der Erde für dieses Gerät ist, zeigt sich nicht nur daran, dass seine runden Geburtstage regelrecht gefeiert werden – der dreißigste vor fast genau einem Jahr. Es zeigt sich auch daran, dass – anders als beispielsweise beim Large Hadron Collider des CERN in Genf – die Milliarden, die sein Bau, seine Ausstattung, deren gelegentliche Updates sowie der Betrieb bisher gekostet haben, nicht ernsthaft kritisiert werden. Das ist ungewöhnlich.

Das war auch nicht vom ersten Tag an so. Da hatte dieses Teleskop ja noch nicht gezeigt, was es tatsächlich kann. Richtig laut wurde die anfängliche Kritik, als sich kurz nach Hubble´s Start im April 1990 zeigte, dass die Bilder, die es zur Erde schickte, unscharf und damit unbrauchbar waren. Selbst Teleskope, die auf der Erde stationiert waren, konnten bessere Aufnahmen liefern. Zur Kritik an den Kosten kamen Spott und Hohn hinzu. Das hätte Hubble´s frühes Ende sein können.

War es aber nicht. Jeder verdient eine zweite Chance, heißt es. Hubble bekam sie. Schließlich war es ein vor dem Start unentdeckt gebliebener menschlicher Fehler bei der Herstellung Spiegels, der verantwortlich war für die schlechte Qualität der Bilder. Er war falsch geschliffen worden. Damit das „Projekt Hubble“ nicht bevor es überhaupt richtig losging zum grandiosen Milliardenflop wird, wurde 1993 eine Mission ins All geschickt. Zwei Astronauten mit großem Mut korrigierten 550 Kilometer hoch über der Erdatmosphäre den Fehler. Sofort lieferte das Teleskop atemberaubende Bilder von Sternenhaufen, Gasnebeln und Galaxien, aber auch von den Objekten in unserem Sonnensystem. Auf die hohen Kosten angesprochen, antwortete Hubble-Veteran Mario Livio einmal: „Na ja, es hat uns das Universum gegeben – dafür ist es sehr billig.“1 So wurde Hubble zu unserem Auge im All.

Dieses Auge machte für uns sichtbar, was mathematisch zwar längst berechnet, aber bis dahin abstrakt und unvorstellbar geblieben war. So offenbart sich uns die unglaubliche Schönheit des Universums in einzelnen fantastischen Gebilden wie dem „Adlernebel“, den „Drei Säulen der Schöpfung“ oder den faszinierenden Formen verschiedenster Galaxien – von Spiralgalaxien bis hin zu  Sombrerogalaxien. Das berührt und begeistert uns. Menschliche Gefühle werden nicht durch mathematische Formeln oder Gleichungen ausgelöst, sondern durch Sinneswahrnehmungen und Erlebnisse. Hubble lieferte uns Bilderlebnisse wie kein anderer und tut dies nach wie vor. Bilder, die Gefühle des Glücks, des Erstaunens, des Befremdens und auch der Ehrfurcht in uns auslösen. Wir sind einfach hingerissen von dem was wir da sehen und können gar nicht genug davon bekommen. Das dürfte wohl einer, wenn nicht gar der wichtigste Grund für die Liebe sein, die so viele Menschen zu dieser fliegenden „Konservendose“ von der Größe eines Schulbusses entwickelt haben.

Über die Bilder, die inzwischen fast jeder Mensch auf dieser Welt kennt, hinaus eröffnen sich uns durch Hubble´s Auge aber auch Einblicke in weit entlegene Regionen unseres Universums wie dem „Ultra Deep Field“. Damit liefert es uns ein einzigartiges fotografisches Geschichtsbuch über die Entstehung und Expansion des Universums.  Denn „weit weg“ heißt im Universum immer auch „lange her“.

Seit 2009 mit einer ganz neuen Kamera – der „Wide Field Camera 3“ – ausgestattet,  kann Hubble sogar jenseits des sichtbaren Lichts im Infrarot des „Ultra Deep Field“ Galaxien fotografieren, die kurz nach der Entstehung unseres Universums vor rund 13,7 Milliarden Jahren entstanden sind – gerade mal 700 Millionen Jahre nach dem sogenannten Big Bang. Das ist sensationell. Hubble lässt uns fast bis in den Beginn unseres Universums hineinschauen und zugleich dessen Expansion über die Milliarden und Millionen von Jahren hinweg nachverfolgen. Da kann einem schwindelig werden. Wer sich das gerne anschaulich erklären lassen möchte, dem sei das großartige 30minütige Video Hubble´s Universe Unfiltered: Deep Universe empfohlen, das auch für Einsteiger gut geeignet ist, sofern sie Englisch können.

Dass OUBEY bereits im Jahr 1986, fünfundzwanzig Jahre bevor Hubble mit seiner neuen Kamera in die Anfänge unseres Universums blicken konnte, diesen Blick so klar vor seinem geistigen Auge hatte, dass er das, was er sah in seinem Bild Einsteins Tränen künstlerisch festhalten konnte, ist kaum zu glauben. Doch die Astronomin Dr. Cecilia Scorza vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg stellte mit Erstaunen und Bewunderung genau das fest, als sie diesem Bild im Februar 2010 begegnete. Sie erklärte anhand von OUBEYs Bild, was uns heute anhand von Hubble´s Aufnahmen aus dem Ultra Deep Field erklärt werden kann. Das Video von dieser Begegnung ist wirklich sehenswert.

Irgendwann wird Hubble´s Zeit zu Ende sein. Die Entwicklung eines Nachfolgers ist bereits weit vorangeschritten: Das James-Webb-Teleskop wird als Infrarot Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 6,5 Metern perfekt geeignet sein, um in die ältesten Regionen des Universums hineinzuschauen. Bis dahin wird Hubble weiterhin aus großem Abstand jeden Tag fünfzehn Mal die Erde umrunden und uns immer neue Bilder und Erkenntnisse liefern, bevor es eines Tages aus dem All zurückkehrt, um im Pazifik zu landen.

„Ich hoffe, wir wissen lange genug vorher, wann und wo Hubble im Südpazifik niedergehen wird. Dann können wir alle, die so lange mit Hubble gearbeitet haben, ein Kreuzfahrtschiff chartern und beim Ende zusehen. Das wird traurig sein und wir werden weinen. Aber zugleich wäre da diese Freude über die viele wunderbare Wissenschaft, die uns Hubble in all den Jahrzehnten beschert hat“, sagt Heide Hammel, Voyager-Projektwissenschaftlerin, die mit Hubble zusammen derzeit noch Jahr für Jahr die Atmosphären der Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun beobachtet1. Das klingt nicht nach der Außerbetriebnahme einer Maschine. Es klingt nach dem Abschied von einem guten Freund.

 

 

1Zitiert nach der Sendung „Das mit den Sternen tanzt“ im DLF Kulturkanal am 9.4.2020

Mehr über Hubble und seine Geschichte:  Hubble-Weltraumteleskop – Wikipedia

 

 

 

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