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Geduld ist eine starke Kraft

Kurzfristiges Denken ist heute sehr weit verbreitet. Aktionäre interessieren sich mehr für die Quartalsergebnisse eines Unternehmens als für seine langfristige Nachhaltigkeitsstrategie. Ziele sollen möglichst schnell erreicht, Wünsche möglichst schnell erfüllt werden. Schneller Erfolg, schneller Gewinn, alles möglichst schnell. Ich nenne es das "Amazon Prime Prinzip": heute wollen, morgen haben. Im durchgetakteten Leben des 21. Jahrhunderts ist wenig Platz für Geduld.

Die Erwartungshaltung steigt, eine wachsende kollektive Ungeduld ist erkennbar. Klar, dass keiner gerne lange im Stau steht oder in der langen Schlange an der Kasse warten will. Doch Ungeduld hilft hier nicht weiter. Die Erfindung des „Queuing“ in den angelsächsischen Ländern hat dem Warten in der Schlange bereits vor langer Zeit den Zahn der Ungeduld gezogen.

Hierzulande geht mit der sich ausbreitenden Ungeduld auch eine zunehmende Unzufriedenheit einher, wenn Dinge mal etwas länger dauern und sich nicht schnell genug in die gewünschte Richtung entwickeln. Genau das ist aber bei Vielem, was man sich wünscht, aber nicht kaufen kann, der Fall. Beziehungen, Vertrauen, Kompetenzen brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Eine schwere Krankheit überwindet man nicht zuletzt durch Geduld, Ausdauer und Willensstärke.

Lebenskunst

Und doch wird Geduld heute oft als Schwäche verstanden. Sie wird gleichgesetzt mit Passivität, mangelndem Engagement oder manchmal sogar mit Faulheit. Dagegen ist wirkliche Geduld alles andere als das. Sie ist eine starke Kraft. Ausdruck des langfristigen Denkens und des Wissens, dass manches im Leben einfach seine Zeit braucht. Und wenn sie einhergeht mit der Fähigkeit, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, in dem es darauf ankommt aktiv zu werden und eine Sache zum Erfolg zu bringen, dann ist das fast wie eine Kunst – Lebenskunst.

Tugend der Jugend

Ungeduld hat durchaus auch ihren Platz. Sie ist das Vorrecht der Jugend, heißt es. Da ist was dran. Und nun gibt es ja auch wieder eine Jugend, die ihrer Ungeduld beharrlich und kollektiv jeden Freitag Ausdruck verleiht. Auch wenn ich nicht alles, was sie sagen und fordern richtig finde, finde ich ihre Ungeduld berechtigt. Denn ohne den Elan der Jugend, die ihr Leben noch vor sich hat und nicht einfach akzeptieren will, dass alles so ist und bleibt wie es ist, kommt keine Gesellschaft voran. Diese Ungeduld der Jugend ist wie die Kraft des Frühlings, die den Winter überwindet.

In Prozessen denken

Ein Blick in die Natur macht es deutlich: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Ein Wein bekommt nicht von heute auf morgen die Reife, die er braucht, um ein wirklich guter Wein zu sein. Und ein neues Menschenleben braucht nun mal ungefähr neun Monate bis es soweit ist, das Licht dieser Welt zu erblicken. Die Natur ist keine Maschine, bei der man aufs Gaspedal drücken kann und schon geht alles schneller. Sie ist in Prozessen organisiert, die miteinander verknüpft sind. Diese Prozesse haben ihren Rhythmus und ihre Zeit. Wenn die Prozesse verstanden werden, kann man sie mit Geduld begleiten und unterstützen. Nun haben wir aber gelernt mehr in Ergebnissen zu denken als in Prozessen.

Die Geduld der Natur

Es mag seltsam klingen, doch in gewisser Weise hat die Natur in den letzten einhundertfünfzig Jahren viel Geduld mit uns Menschen bewiesen. Obwohl wir ja selbst Teil dieser Natur sind, haben wir durch unser Wohlstandsverhalten die natürlichen Kreisläufe gestört und ihre wertvollen, begrenzten Ressourcen angegriffen, teilweise sogar zerstört. Lange haben wir hieraus unbedacht unsere Vorteile gezogen und lange hat die Natur dieser Erde unser ignorantes Verhalten erduldet.

Nun ist das Ende dieser Geduld in Sicht. Die natürlichen Konsequenzen unseres Handelns holen uns ein. Wir stehen am Scheideweg. Manche wollen so weiter machen wie bisher. Das ist Ignoranz und keine Geduld. Andere betreiben Aktionismus: egal was, Hauptsache es geschieht etwas. Das ist Ungeduld hoch drei.

Kluges Handeln

Wir müssen intelligente Lösungskonzepte für die großen Probleme finden und dürfen hierbei natürlich keine Zeit verlieren. Dennoch braucht die Entwicklung solcher Konzepte ihre Zeit, sonst werden vermeintliche Lösungen leicht zum nächsten Problem. Denn die Situation, in der wir uns auf diesem Planeten befinden ist komplex und Aktionismus hat gegen die Komplexität eines Systems ganz sicher keine Chance.

Aktionismus macht in der öffentlichen Wahrnehmung zwar oft einen besseren Eindruck als vernünftiges Abwägen der besten Entscheidung. Er führt aber selten zu wirklich guten Ergebnissen, oft sogar zum Gegenteil. Die Tatsache, dass wir lange viel versäumt haben und in dem einen oder anderen Thema erst sehr spät mit der ernsthaften Arbeit begonnen haben, können wir nicht durch Aktivismus wettmachen, sondern nur durch wirklich kluges und umsichtiges, aber konsequentes Handeln. Das erfordert Klugheit, Entschlossenheit und Geduld. Wir müssen schnell und wirkungsvoll handeln, und das mit Vernunft und Geduld.

`Wie soll das gehen? Das ist doch ein Widerspruch´, werden Sie vielleicht denken. Ja, das sieht so aus. Doch nun geht es darum, genau diesen Widerspruch zu überwinden. Das ist ein Lernprozess von existenzieller Bedeutung. Und wie wir alle wissen, braucht auch das Lernen bzw. Umlernen seine Zeit.

 

Ungeduld ist kein Beschleunigungsfaktor

Was im Großen gilt, stimmt hier auch im Kleinen, d.h. in unserem Lebensalltag. Das ungeduldige Streben nach schnellen Ergebnissen führt noch lange nicht zu guten Ergebnissen. Zugegeben, manchmal ist es tatsächlich wichtig, schnell zu sein. Doch gerade die Ungeduld ist alles andere als ein Beschleunigungsfaktor. Ungeduld macht hektisch und nervös, aber nicht schnell.

Wieviel Missgeschicke und Fehlentscheidungen entstehen einfach nur deshalb, weil wir uns nicht die Zeit genommen haben, die es braucht, um in Ruhe zu einer durchdachten Entscheidung zu kommen, die auch die langfristigen Wirkungen als dieser Entscheidung berücksichtigt. Was wirklich wichtig ist im Leben, ist nicht auf der Kurzstrecke erreichbar. „Gut´ Ding will Weile haben“ sagte mal ein uraltes Sprichwort. Und daran ist viel Wahres, finde ich.

More Dagmar Woyde-Koehler

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