Thoughts & Insights

Auf der Suche nach dem Grund für die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies

Vielleicht haben nicht alle Menschen zu allen Zeiten vom Paradies geträumt. Dennoch gehört dieser Traum ganz ohne Frage zu den Ur-Träumen des Menschseins.

Wann kam der Traum vom Paradies zum ersten Mal ins Bewusstsein unserer Vorfahren? Wer hat diesen Traum zum ersten Mal geträumt? Aus welcher Quelle der Inspiration ist diese Idee einstmals, vor Zigtausenden von Jahren, im Kopf eines unserer Vorfahren entsprungen? War es ein individueller „Gedankenblitz“, war es überhaupt ein individueller Erkenntnisprozess oder war es ein kollektiver Prozess, der diese Idee hervorgebracht hat?

Ist dieser Traum ein Teil unseres Genoms? Gehört er zum spezifischen genetischen Programm des Homo Sapiens? Oder hatten unsere früheren „Zeitgenossen“, die „Neandertaler“ auch einen Traum dieser Art? War ihr Traum vielleicht ein ganz anderer? Oder war er derselbe?

Alles spricht dafür, dass dieser Traum seinen Ursprung vor etwa zwanzig- bis dreißigtausend Jahren im Erkennen eines unwiederbringlichen Verlusts gehabt haben könnte. Die christlichen Schriften sprechen vom Verlust der Unschuld und von einer Vertreibung aus dem Paradies als Strafe für den Genuss einer Frucht vom verbotenen Baum der Erkenntnis, der Erbsünde schlechthin. Was für ein martialisches furchterregendes Szenario. Hervorragend geeignet, um Menschen davon abzuhalten, Lust aufs Entdecken und Freude an der Erkenntnis zu haben. Ganz nebenbei wird die Botschaft vermittelt, dass es Eva war, die nicht widerstehen konnte und durch ihre Verführbarkeit das Unglück über alle gebracht hat.

Tatsächlich war es wohl eher so, dass es mächtige evolutionsgeschichtliche Kräfte waren, die zum Erwachen des Bewusstseins geführt haben – sei es nun schockartig und plötzlich oder schleichend, aber unaufhaltsam. Der Mensch geriet auf eine neue Ebene der Welt- und Selbstwahrnehmung, indem er ein Bewußtsein von seiner Existenz entwickelte und die Welt, d.h. die Natur und den Kosmos als etwas von sich selbst Getrenntes erlebte. Dies hat der weiteren Entwicklung auf unserem Planeten und womöglich auch weit über unseren Planeten hinaus einen gewaltigen Schub an revolutionärer Veränderungskraft verliehen. Hier liegen die Wurzeln des beobachtenden, forschenden, hinterfragenden, messenden, rechnenden, beweisenden Menschen, der Natur und Kosmos als von sich selbst Getrenntes erlebt, das er rational verstehen und beherrschen zu können glaubt.

Von existenzieller Bedeutung war und ist dieser Entwicklungssprung auch für den einzelnen Menschen, bis zum heutigen Tag. Denn als ihm bewusst wurde, dass er lebt, wurde ihm bewusst, dass er sterblich ist. Dass sein Leben irgendwann unwiederbringlich zu Ende sein wird. Zumindest dieses physische Leben auf dieser Erde als dieser individuelle Mensch in dieser Zeit. Der Tod hielt Einzug ins Bewußtsein der Menschen und wurde zu einer bestimmenden Größe für ihr Lebensgefühl.

Wie mag es gewesen sein vor dieser Transformation, vor dem Erwachen unseres Bewusstseins? Einen Tag nach dem anderen zu leben, zu jagen und zu sammeln, was man braucht in der einfachen Welt der vergehenden Gegenwart, ohne Wissen und Bewusstsein von der eigenen Sterblichkeit? Ist dies der paradiesische Zustand, der sich in den Sedimenten unseres Unterbewusstseins als Sehnsucht erhalten hat und von dem wir heute noch träumen? Oder träumen wir inzwischen von der Unsterblichkeit selbst, wenn wir vom Paradies träumen?

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