Thoughts & Insights

Die Kehrseite des Denkens

Wir nutzen die Kapazität unseres Gehirns bewusst solange wir wach sind. Wir nutzen sie unbewusst aber auch, wenn wir nicht wach sind. Wenn wir schlafen oder im Halbschlaf sind oder vor uns hin dösen, scheinen wir unser Denken auszuschalten oder zumindest auf ein so niedriges Level zu bringen, dass wir denken es sei ausgeschaltet. Das ist eine Täuschung.

Tatsächlich arbeitet unser Gehirn im Traum ununterbrochen weiter, wenn wir schlafen. Es stellt unglaubliche Verknüpfungen her zwischen allem, was wir an Wissen und Erfahrungen dort gespeichert haben. Es verknüpft Vergangenes, auch weit vor unserer Existenz Geschehenes aus dem kollektiven Gedächtnis mit unserer allerfrischsten persönlich erlebten Gegenwart ebenso mühelos wie es aus diesen Verknüpfungen heraus Konstruktionen zukünftiger Wirklichkeiten erschafft, die uns so real vorkommen (im Traum) als seien sie nicht nur möglich, sondern wirklich existent. Und diese Konstruktionen wiederum verwebt es mit allem anderen, was wir träumen.

Ist der Traum eine Variante der Wirklichkeit? Ist die Wirklichkeit eine Variante des Traums? Diese Frage ist nicht neu. Sie wird in vielen Romanen und Gedichten, in der Science Fiction Literatur und in Filmen behandelt wie z.B. in dem großartigen Film “Inception” (“the dream is real”).

In der Begegnung mit bestimmter Musik und bestimmter Malerei gibt es für den Hörenden und Sehenden die Möglichkeit, sich im wachen oder zumindest halbwachen Zustand zwischen diesen Ebenen der Wirklichkeit geradezu schwerelos hin- und her zu bewegen – ganz ähnlich wie im Traum. In diesen “Zwischenräumen zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen”, die Stuart Kauffman in seiner Begegnung mit einem von OUBEYs Bildern erkannte und so benannte, eröffnet sich ein besonderer Raum der Freiheit.

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Kunst kann uns faszinieren, uns in ihren Bann ziehen und kann uns dabei zugleich die Freiheit einer dritten Ebene des Denkens schenken. Mehr noch vielleicht als unsere Träume während des Schlafens öffnet sie für uns im Zustand des Wachseins einen Raum für die Kehrseite des Denkens, den wir ohne sie niemals betreten könnten. Vielleicht war dies ein Grund dafür, dass kürzlich in Berlin ein Besucher, vor einem von OUBEYs Bildern stehend, meinte, dieses Bild erinnere ihn an etwas noch nie Gesehenes – eine Aussage, die mich noch immer sehr beschäftigt. In vielen der bisher noch unveröffentlichten Zeichnungen von OUBEY eröffnet sich die Kehrseite seines Denkens, die auch in seinen Gemälden Ausdruck findet, noch einmal ganz neu. Wenn die Global Encounters Tour zu Ende ist, werden wir uns über die Veröffentlichung dieses bisher unentdeckten Teils seines Werks Gedanken machen.

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