Thoughts & Insights
Der Geist in den Wassern
„Kein Zweifel, der Geist kann das Universum verändern. (…) Die Vorstellungskraft unseres Geistes im Verein mit der Fähigkeit unserer Hände, unsere Vorstellungen in die Tat umzusetzen, hat uns eine Macht verliehen, die wir kaum noch zu beherrschen vermögen.
Aber wie steht es um jenen anderen Geist, den Geist in den Wassern? Wie steht es um diese riesigen, uns fremden Gehirne, die die Ozeane durchstreifen, die Lieder erklingen lassen, die träumen, die fernen Erinnerungen nachhängen, die einander in Anstand und Moral unterweisen? Wie sieht es in der geistigen Welt eines Geschöpfs aus, dessen Gehirn größer und möglicherweise komplexer ist als das unsere und das seinen Willen nicht in weltverändernde Tat umsetzen kann – und sei es nur deshalb, weil es keine Hände besitzt?
Ich glaube, man kann sich in den Geist des Wals versenken, wenn man sich in das Wasser versenkt. Ob als warmer, plätschernder Tropenozean oder als starke, kalte Dünung in den höheren breiten – das Wasser ist die Wiege des Bewusstseins der Wale.
Wer sich in die Sphäre des Wassers begibt, dem wird sogleich deutlich, wie eng die Beziehung zwischen Geist und Körper ist, die das Meer seinen Geschöpfen auferlegt. Ohne entfremdende Objekte und Ausrüstungen, allein mit dem nackten Körper, der den schwebenden Geist umgibt, werden Körper und Geist wieder eins. Der Geist dringt in eine neue Sphäre vor, in der er Zeit, Schwere und das eigene Selbst als Ganzheit erlebt.
Versuchsweise stelle ich mir vor, ich befände mich im Wasser, in einer Welt wechselnder Strömungen, kreisender Tage und Nächte, in der mir die Anziehungskraft des Mondes auf meinen Körper ebenso bewusst ist wie der Ruf meines Kindes neben mir. Dort lebend, wo die Welt sich Minute um Minute – über die Jahrtausende hinweg erkennbar für mich und meine Art – regt und bewegt, schwebe ich und atme und denke und lasse die Wasser über mir zusammenschlagen und die Sonne meine Augen mit Silberglanz erfüllen.“
Dieses „Gedankenspiel“ von Joan McIntyre kam mir in Erinnerung, als ich den letzten Beitrag über die Freitauchabenteuer von Guillaume Nery schrieb. „Der Geist in den Wassern“ heißt das von ihr im Jahr 1974 erstmals herausgegebene Buch, aus dem der oben zitierte Ausschnitt stammt. Es ist auch nach beinahe vierzig Jahren immer noch eine Quelle der Erkenntnis und des geistigen Vergnügens.
Joan McIntyre: Der Geist in den Wassern. Ein Buch zu Ehren des Bewußtseins der Wale und Delphine. Originalausgabe 1974 by The Yolla Bolly Press in Zusammenarbeit mit Project Jonah, Sausalito, California. Deutsche Erstausgabe by Zweitausendeins, Frankfurt 1982. Seite 94/95. Erlöse aus diesem Buch verwendet das Project Jonah in seiner Kampagne für ein weltweites Moratorium bei der kommerziellen Tötung von Walen und Delphinen.
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