Thoughts & Insights
Der Geist kann durch die Zeit nicht vernichtet werden (Erwin Schrödinger) – Gedanken über Entelechie und die Kraft des freien Geistes
Warum entscheidet sich ein Künstler, der so viel zu zeigen hat, nach seiner ersten und sehr erfolgreichen Ausstellung, seinen Schaffensprozess auf unbestimmte Zeit im kompletten Rückzug aus der Öffentlichkeit des Kunstbetriebs fortzusetzen? Diese Frage wird mir immer wieder gestellt.
Ein kluger Mensch, mit dem ich einmal sehr ausführlich über OUBEY, seine ungewöhnliche Geschichte und sein ebenso außergewöhnliches Werk sprechen konnte, fasste den Wesenskern seiner Erkenntnis in der Aussage zusammen, dass OUBEY ein Beispiel von Entelechie sei, weil er unbeirrbar und konsequent seiner Bestimmung gefolgt sei: Unabhängig von den Meinungen anderer tat er das, was er richtig fand und was ihm wirklich wichtig war. Er ließ sich vom eigenen Weg durch die Meinungen und Kommentare der Außenwelt nicht abbringen, wie verlockend und einladend sie auch immer waren. Er ließ sich nicht in eine Welt hinein verführen, die ihm den Grund seines Schaffens unter den Füßen weggezogen hätte – zum Glück.
Aristoteles hat für diese Art der Selbstgewissheit aufgrund innerer Bestimmtheit den Begriff der Entelechie geprägt. Dass uns dieser Begriff heute nicht mehr geläufig, sogar kaum noch bekannt ist, hat seinen Grund wohl nicht zuletzt darin, dass die damit verbundenen Denk- und Handlungsweisen auf dem Markt der Eitelkeiten nicht sonderlich gefragt sind. Schnell und direkt ins Wahrnehmungsfeld der Öffentlichkeit zu kommen, schnell bekannt, berühmt und möglichst auch reich zu werden – wie und womit auch immer – ist ein Karrieremodell, das es gewiss auch in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder mal gab. Als Massenphänomen eines Zeitgeists hat diese Haltung sich aber erst in der jüngsten Geschichte ausgebreitet. Die Spielregeln des etablierten Kunst- und Medienbetriebs fördern diese Haltung längst, fordern sie zum Teil geradezu.
OUBEY hat diese Gefahr einer Fremdsteuerung im Moment des ersten Erfolgs erkannt und sich ihr daraufhin bewusst entzogen. Er ist ein Gegenmodell, wenn man so will. Nicht weil er ein Gegenmodell sein oder werden wollte, sondern weil er so war wie er war. Und so war er von Kindesbeinen an. Er konnte nicht anders. Seine Entscheidung, sich zurückzuziehen, um unbeirrt weiterhin nur das tun zu können, was er tun will, um die Bilder malen zu können, die in seinem Kopf entstehen, unbeeinflusst von den Mechanismen des Kunstbetriebs, war eine Entscheidung von existenzieller Bedeutung für ihn. Man kann ihn deshalb wohl tatsächlich als ein Gegenwartsbeispiel gelebter Entelechie verstehen.
Wenn es nun nach OUBEYs frühem Tod darum geht, sein Werk einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, versuche ich, dieser Kraft seines freien Geistes zu folgen. Aus einer Perspektive der Entelechie heraus betrachtet ist die Frage, ob seine Bilder im Kunstmarkt hoch oder niedrig gehandelt werden, vollkommen unbedeutend. Ebenso die Frage, wie und wo sich sein Werk kunstgeschichtlich einordnen lässt. Denn es geht nicht darum, seinen Bildern einen materiellen Wert zuzuordnen und es geht auch nicht darum, seine Bilder kunstgeschichtlich einzuordnen. Dies würde Grenzen ziehen, um deren Überschreitung es OUBEY ja gerade ging. Und es würde das Potenzial der Möglichkeiten, das seinem Werk innewohnt, erheblich einschränken.
Vielleicht war die Begegnung von OUBEYs Bildern mit den Maori im März dieses Jahres nur deshalb in dieser Weise möglich, weil das OUBEY MINDKISS Projekt genauso frei und unberührt von den Versuchungen eines materialistisch orientierten Kulturbetriebs geblieben ist wie OUBEY selbst es war. In seinen Bildern hat sein freier Geist eine Ausdrucksform in nonverbaler Sprache gefunden, die ihn erkennbar werden lässt für jeden, der diesen Geist in sich selbst auch spürt. Das sind natürlich nicht allein die Maori.
Doch in der Kultur der Maori ist der Geist das wirklich Bedeutende. Durch die Pflege ihrer ursprünglichen Kultur fühlen sie sich mit ihren „ancient ancestors“ bis heute aufs Engste verbunden und so ist ihnen bewusst, dass der Geist das einzige ist, was bleibt, während alles Materielle den Gesetzen der Vergänglichkeit unterliegt. Maori, die OUBEYs originalen Bildern begegnet sind, haben diesen Geist in ihnen erkannt. Deshalb könnte man auf die Idee kommen, diese Bilder hätten in Aoteroa so etwas wie den Zielort ihrer Bestimmung gefunden. Das wäre aber zu kurz gedacht.
Denn OUBEYs Bilder haben inzwischen bereits vielfach gezeigt, dass sie imstande sind, diesen Geist auch an ganz anderen Orten in der Begegnung mit Menschen aus ganz anderen Kulturkreisen und Wertesystemen so kraftvoll zum Ausdruck zu bringen, dass er für sie spürbar und erkennbar wird. „Dieses Bild macht mich glücklich, wenn ich es anschaue“ schrieb jemand auf eins der „Tweet Sheets“, die bei der Wiener Station der Global Tour im November letzten Jahres ausgelegt waren und auf denen jeder Besucher seine Reaktionen und Meinungen notieren konnte. Gemeint war OUBEYs Bild „Die Reise der Monaden“, das er der Monadentheorie von Wilhelm Gottfried Leibniz gewidmet hat. Am Ende seines Encounters mit diesem Bild im August 2010 in Genf meinte Prof. Alexander Deichsel, ein ausgewiesener Kenner der Leibniz´schen Monadologie: „Monaden sterben nie!“ Und wenn einer wie Erwin Schrödinger einst sagte, dass der Geist durch die Zeit nicht vernichtet werden kann, dann entsteht allein aus der Verknüpfung dieser drei Facetten ein interessantes Potenzial weiterer Entdeckungsmöglichkeiten in er Beschäftigung mit OUBEYs Kunst.
Deshalb ist es gut und richtig, dass die Global Encounter Tour nach diesem besonderen Erlebnis der Begegnung mit den Maori nicht aufhört, sondern weiter reist, an andere Orte in ganz anderen Regionen dieser Welt, um weitere Resonanzen zu erzeugen, zu sammeln und das zu verbreiten, was OUBEY seine „Freude an der Erkenntnis, dass alles mit allem verbunden ist“ nannte.
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