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WIR SIND NICHT DIE HERREN DER ERDE, SONDERN EIN TEIL VON IHR

Dass genau an dem Wochenende, an dem ich nach einigen Jahren zum ersten Mal wieder in New York sein würde, dort der UN Klimagipfel stattfindet, auf dem Greta Thunberg eine Wutrede hält, konnte ich nicht ahnen, als ich die Reise buchte. Doch ich machte mir meine eigenen Gedanken über den Zustand der Erde und unserer Lebensweise auf ihr, als ich im „Metropolitan Museum of Art“ die Ausstellung über „American Native Art“ besuchte. Einige dieser Gedanken möchte ich heute hier mit Ihnen teilen.

Kunst und Kultur werden in der Moderne vor allem als Ausdruck der individuellen Gedanken und Inspirationen einzelner Künstler verstanden. Sie waren und sind aber noch immer zugleich auch Ausdruck des Weltverständnisses und Wertesystems einer Gesellschaft. Die Kultur der nordamerikanischen Indianer war  – wie die Kultur in den meisten vorindustriellen Gesellschaften außerhalb Europas – geprägt von einer sehr engen Verbundenheit und einem tiefen Respekt vor der Natur. 

Am Anfang war Winnetou …

Als ich zehn war, las ich einen Roman von Karl May nach dem anderen. Darin begegnete mir weniger die ursprüngliche indianische Kultur oder – wenn doch – dann eher in den Klischeevorstellungen eines belesenen und fantasiebegabten Deutschen, der selbst niemals in Amerika gewesen war. Doch was mir in den Geschichten immer authentisch schien und mein Verhältnis zur indianischen Kultur Nordamerikas sehr früh beeinflusst hat, war die von Karl May beschriebene ignorante und skrupellos brutale Vorgehensweise der weißen Einwanderer bei der Durchsetzung ihrer Interessen in der „Neuen Welt“: Macht, Land, Gold und später dann auch Öl.

So fragte ich mich mit zehn Jahren zum ersten Mal, was aus den Ureinwohnern Nordamerikas inzwischen geworden ist, wo und wo sie leben, welche Rolle sie in der amerikanischen Gesellschaft spielen und was von ihrer Kultur übrig geblieben sein mag. Im Laufe der Jahre erfuhr ich immer mehr über dieses dunkle Kapitel der amerikanischen Geschichte, das im innersten Kern ja auch ein Stück europäischer Geschichte in sich trägt, denn die Eroberer waren Europäer, wie man weiß. Ich erfuhr vom Untergang vieler Stämme und ihrer Kultur, aber auch vom Überleben indianischer Tradition und Weisheit in den Reservaten bis zum heutigen Tag.

Eine zum Glück nicht ganz untergegangene Kultur

Dass es nun im Jahr 2019 eine Ausstellung über die Kunst der Indianer im wohl renommiertesten Kunstmuseum der USA gibt, ist aus meiner Sicht ein erster, seit Jahrzehnten längst überfälliger Schritt hin zu historischer (Selbst)Erkenntnis. Dass sie – wie von indianischer Seite wohl zurecht kritisiert wird – von einem weißen Kurator ohne Einbeziehung indianischer Vertreter konzipiert wurde, zeigt, dass der lebensalltägliche praktisch wirksame Respekt vor dieser Kultur noch immer nicht dort angekommen ist, wo er hingehört. Wie die Ausstellung wohl ausgesehen hätte, wenn sie in einer Kooperation entstanden wäre?

Was sie zeigt, ist dennoch sehenswert. Im „American Wing“ des Museums sind Werke der Native Americans in einer enormen Bandbreite ausgestellt – vom meisterhaften Handwerk der Alltagskunst bis hin zu rituellen Masken und Kultgegenständen. Die Schönheit und Sorgfalt, mit der alles, vor allem auch die Alltagsgegenstände, liebevoll und kunstfertig hergestellt wurden – Körbe, Köcher, Schuhe, Jacken, Kleider, Tragegestelle für Babys – ist eindrucksvoll und geht nah. Denn sie ist Ausdruck eines Verhältnisses nicht nur zur Natur, sondern auch zur Zeit und zum Leben, das uns in der zivilisierten hektischen Welt des 21. Jahrhunderts weitgehend abhanden gekommen ist. 

Die Ausstellungsstücke sprechen für sich. Zugleich empfand ich die erläuternden Texttafeln hier sehr aufschlussreich, denn sie brachten den Respekt vor der Resistenz und Resilienz der nordamerikanischen Indianer im Kampf um den Erhalt ihrer Lebensräume und ihrer Kultur an dieser Stelle explizit zum Ausdruck. Eine Kultur, die sich die Erde nicht untertan machen wollte, sondern sich selbst als Teil dieser Erde verstand. Der hemmungs- und besinnungsloser Raubbau fernlag. Das Abschießen von abertausenden von Büffeln zum puren Spaß war der Vorbote für den Untergang ihrer eigenen bisherigen Lebensweise. 

Es geht nicht um die „edlen Wilden“, sondern um uns selbst

So hatte ich, während auf dem UN Klimagipfel debattiert, wütend gestritten, und um Argumente und Geld gerungen wurde, das Klimathema auf ganz andere Weise anschaulich und positiv vor Augen – am Beispiel einer beinahe untergegangen Kultur, die dem Planeten Erde das entgegenbrachte, was er heute mehr denn je braucht: Wertschätzung und Respekt.

Insofern werte ich diese Ausstellung trotz der erwähnten Kritik als einen späten, aber dennoch guten Anfang, als Zeichen von Wahrnehmung und Wertschätzung. Vielleicht wird es in zehn oder zwanzig Jahren eine gemeinsam kuratierte Ausstellung im Hauptgebäude des „Metropolitan Museum of Art“ geben, die dann von einer sehr viel größeren Zahl an Menschen besucht und wahrgenommen wird? Ich würde sie mir auf jeden Fall sehr gerne anschauen. 

Um Missverständnissen zuvorzukommen: Natürlich sind auch die Indianer keine besseren Menschen gewesen. Das Idealbild des „edlen Wilden“ wie er von Karl May in der Figur des Winnetou erfunden wurde, möchte ich hier nicht bedienen. Aber in der Betrachtung ihrer Kunst und Kultur steckt aus meiner Sicht dennoch ein wertvoller Ansatz für unseren heutigen Umgang als Spezies mit dieser Erde, auf der und von der wir leben: das eigenverantwortliche, bewusste Handeln und Gestalten von Leben auf der Grundlage von Einsichten in die ursprünglichen Zusammenhänge unseres Daseins auf diesem Planeten.

Das so wichtige Klimathema, der Respekt vor unserer Erde und der Zukunft der kommenden Generationen, erfährt aus meiner Sicht in diesen Tagen endlich die Aufmerksamkeit, die ihm in den Industriegesellschaften seit mehr als einhundertfünfzig Jahren immer mehr verloren gegangen ist. Durch die schlichte Erkenntnis, dass wir nicht die Herren des Ökosystems sind, sondern einfach nur ein Teil desselben.

„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“ (Weisheit der Cree). Dieser ikonische Gedanke uramerikanischer Weisheit wird durch die Kunst der Native Americans positiv erlebbar. Respekt.

Einige Bilder aus dieser Ausstellung finden Sie hier:

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