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Handschrift ade? Vom Verschwinden einer Kulturtechnik

Es ist noch gar nicht so lange her, da setzte man sich hin, nahm ein Blatt Papier und ein Schreibgerät zur Hand und brachte Buchstaben und Worte aufs Papier, wenn man einen Brief schreiben wollte. Doch wer in den letzten zwanzig Jahren geboren wurde, wächst im Zeitalter der elektronischen Medien auf. Da ersetzt die Tastatur des Computers oder Smartphones den Stift und der Bildschirm das Papier. Der „Tag der Handschrift“, der sich kürzlich am 23. Januar wieder gejährt hat, will dazu beitragen, dass deren Wert und Bedeutung für den Menschen nicht vollkommen aus dem Blick gerät. Doch wäre das wirklich ein Verlust?

Im geschäftlichen und beruflichen Umfeld bietet die elektronische Kommunikation so viele praktische Vorteile, dass sie längst nicht mehr wegzudenken ist. Elektronische Nachrichten sparen Papier, erreichen den Empfänger sofort, können gleichzeitig an mehrere Personen verschickt werden und sind im Unterschied zu mancher Handschrift auch gut lesbar. Doch gilt das genauso für den persönlichen privaten Briefwechsel?

 

Das Private wird immer öffentlicher

An die Stelle von Postkartengrüßen aus dem Urlaub sind Fotos mit oder ohne Kurztext für Freunde und Follower getreten, die öffentlich auf Facebook oder Instagram geteilt werden, wo sie dann ebenso öffentlich durch Likes oder Kommentare beantwortet werden. Und handgeschriebene Briefe sind erst recht selten geworden. An ihre Stelle ist längst die elektronische mail getreten. Ist damit zugleich ein Verlust an persönlicher Nähe und gutem Stil verbunden?

 

Auf den Inhalt kommt es an

Ob ein Gruß persönlich ist oder nicht, liegt doch viel mehr am Inhalt als daran, ob er handgeschrieben ist oder nicht, werden Sie vielleicht denken und dem stimme ich auf jeden Fall zu. Wirklich wichtig ist doch, dass man überhaupt schreibt und was man schreibt, nicht aber wie man schreibt. Leere Phrasen in Schönschrift sind und bleiben leere Phrasen und als solche unpersönlich. Ernst gemeinte Grüße, Gedanken oder zum Ausdruck gebrachtes Mitgefühl sind die Zutaten, die einen Brief persönlich machen – unabhängig von der Frage ob er in Handschrift verfasst ist oder uns als e-mail erreicht.

  

Immer ein Original

Und doch: Die Handschrift eines Menschen transportiert mehr als bloßen Inhalt. Sie ist zugleich immer auch die individuelle Ausdrucksform einer Persönlichkeit und das macht sie einzigartig. Dies ist wohl auch einer der Gründe, weshalb es manchen Menschen so viel bedeutet, von einem verehrten Künstler ein originales Autogramm zu bekommen. Und in der Malerei steht nicht nur die Signatur des Künstlers auf dem Bild für die Echtheit des Originals, sondern der Malstil als solcher. Er wird als Handschrift verstanden und verschafft dem Werk im Kunstmarkt seinen besonderen Wert, den selbst die perfekteste Kopie nicht erreichen kann – sofern sie als Kopie erkannt wird.

 

Was sagt uns die Handschrift über einen Menschen wirklich?

Die persönliche Handschrift unterscheidet Menschen voneinander und ist ähnlich wiedererkennbar wie der Klang ihrer Stimme. Was sie uns über den Charakter eines Menschen aussagt, will eine Methode der Schriftinterpretation herausfinden, die sich Graphologie nennt. Ob die Schrift schnörkellos oder verspielt erscheint, die Buchstaben groß und kraftvoll oder klein und gedrängt, ob sie zusammenhanglos in weitem Abstand voneinander stehen oder ob sie flüssig miteinander verbunden sind, das alles sagt etwas über die Eigenschaften einer Person aus, so jedenfalls sehen es die Graphologen. Doch die Graphologie ist keine Wissenschaft.

Ich erinnere mich gut an einen Menschen mit ausgeprägtem Machtbewusstsein und unbeugsamem Charakter, bei dem man diese Eigenschaften anhand seiner winzigen und unscheinbar wirkenden Handschrift nicht vermutet hätte. Die Echtheit einer Handschrift mag graphologisch überprüfbar sein. Rückschlüsse auf den Charakter einer Person sind jedoch problematisch und deshalb mit Vorsicht zu genießen.

 

Abkehr von der Graphologie

Das haben inzwischen auch viele Personalverantwortliche in Unternehmen und Behörden erkannt. Im Glauben daran, dass die Handschrift Aufschluss über Charakter und Persönlichkeit eines Bewerbers ist und insofern die Besetzungsentscheidung erleichtert, verlangten sie lange Zeit ein handschriftlich verfasstes Bewerbungsschreiben. Inzwischen hat die elektronische Kommunikation auch hier Einzug gehalten. Bewerbungsverfahren laufen heute zumeist online ab, oft sogar unter bewusstem Verzicht auf Foto, Namens- und Geschlechtsangabe, um die Eindrucksbildung im Vorfeld eines ersten persönlichen Gesprächs so sachlich, vorurteilsfrei und fair wie möglich zu halten. Hier scheint also der Abschied von der Handschrift sinnvoll und keineswegs bedauerlich zu sein.

 

Und was sagt die Hirnforschung?

Mit dem Stift in der Hand auf Papier zu schreiben regt bestimmte Hirnregionen an. Es fördert und erhält die feinmotorischen Fähigkeiten und steigert die Gedächtnisleistung. Was ich mit der Hand aufgeschrieben habe, vergesse ich nicht so schnell. Das gilt für Informationen genauso wie für Gedanken und Gefühle. Und schließlich hat das Schreiben viel gemeinsam mit Zeichnen und ist deshalb immer auch ein gestalterischer Akt – egal ob Schönschrift oder Stichworte auf einem Merkzettel.

Insofern könnte die Entwicklung auf Dauer tatsächlich eine bedenkliche Wirkung entfalten. Deshalb ist es gerade im Kindes- und Jugendalter wichtig, dass dem Erlernen und Einüben des Schreibens Aufmerksamkeit und Beachtung geschenkt wird. Ob die Eltern ihren Einkaufszettel aufschreiben oder an Siri oder Alexa diktieren und ihn im Supermarkt dann von ihrem Smartphone ablesen macht hier durchaus einen Unterschied.

Und für das Schreiben eines Tagebuchs, wohl die privateste und persönlichste Form der Kommunikation mit sich selbst (nicht nur) für junge Menschen, ist der handschriftliche Prozess besonders wertvoll. In ihm können die Gedanken und Gefühle vom Kopf durchs Herz über die Hand direkt aufs Papier fließen, ohne die distanzierende Wirkung, die bei der Nutzung eines Computers entsteht.

 

Analog geht immer

Ich selbst werde weiterhin viele meiner Texte im ersten Schritt mit der Hand schreiben und schreibe hin und wieder auch sehr gerne einen Brief an Menschen, die mir wichtig sind, mit der Hand. Das mag altmodische sein. Für mich hat das mehr mit Muße zu tun als mit Tradition. Und wenn mal der Strom weg ist, kann ich immer noch schreiben, denn ich bin unabhängig vom Computer. Analog geht immer. Und überall.

More Dagmar Woyde-Koehler

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