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Kunst unter Verschluss

Leonardo da Vinci´s Gemälde „Salvator Mundi“ wurde vor einigen Jahren in einer Auktion zum Preis von 450 Mio Dollar verkauft. Seither befindet es sich unter Verschluss in einem der Freeports, die seit einigen Jahren weltweit aus dem Boden sprießen. Sie bieten wohlhabenden Käufern wertvoller Kunst einen zoll- und steuerfreien Raum zur Lagerung ihres Kunsterwerbs.

Na und, denken Sie vielleicht. Wen stört´s? Bislang stört es allein deshalb wohl kaum jemanden, weil kaum jemand davon weiß. Denn das, was mit privatisierter Kunst passiert und die Frage, ob das was mit ihr passiert, im Sinn der Kunst ist, gehört nicht zu den Themen, die Schlagzeilen machen.

 

Wertsteigerung durch Öffentlichkeit

Was man bisher kannte, war der Ankauf sehr wertvoller Kunstwerke durch Wirtschaftsunternehmen und Banken, aber auch wohlhabender Privatpersonen, mit denen diese dann entweder ihr Heim schmückten oder sie sie als Leihgabe einem renommierten Museum überließen.

Im zweiten Fall lief es meist darauf hinaus, dass diese Leihgabe nicht zuletzt dem Zweck der Wertsteigerung des Werks durch die Präsentation in prominenten Häusern und die damit verbundene öffentliche Wahrnehmung dient.

Sobald sich der Wert dieser Werke aufgrund ihrer musealen Ausstellung ausreichend gesteigert hat, hat die großzügige Leihgabe ihren wertsteigernden Zweck erfüllt. Dann nimmt der Eigentümer das Bild wieder in seinen Besitz und verkauft es in einer Auktion mit beträchtlichem Gewinn an einen neuen Besitzer. Der kann, wenn er will und dafür ein bereitwilliges Museum findet, das Spiel fortsetzen.

Neben dem finanziellen Gewinn des Besitzers aus diesem Spiel bringt diese Praxis zumindest für begrenzte Zeit auch dem Museum einen finanziellen und der Öffentlichkeit einen ideellen Gewinn.  Immerhin verschwinden diese Kunstwerke nach dem Erwerb durch einen privaten Käufer nicht gleich aus der Öffentlichkeit, sondern werden überhaupt einmal öffentlich zugänglich im Original gezeigt.

Doch am Ende gibt es nur einen Gewinner – den privaten Besitzer der Werke.

Ich erinnere mich an ein ausführliches Gespräch mit dem Direktor eines renommierten Museums, der diese Instrumentalisierung von Museen zum bloßen Zweck der Wertsteigerung von Kunst für ihren privaten Eigentümer heftig kritisierte. Das war vor fünfzehn Jahren.

 

Wertsteigerung durch Ausschluss der Öffentlichkeit

Schaut man sich an, was sich mit Hilfe der Freeports entwickelt, die seit einigen Jahren meist in unmittelbarer Nähe von Flughäfen entstanden sind, dann wäre dieser Museumsdirektor heute vielleicht froh über die Verhältnisse, die er damals beklagt hat. Denn nun spielen die Museen überhaupt keine Rolle mehr in diesem Spiel um die Wertsteigerung von Kunst.

Heute landet wertvolle Kunst nach ihrem Ankauf durch eine Privatperson häufig gar nicht mehr in der Zwischenstation eines Museums, sondern, wie es heißt,  „off shore“ in einem Bunker, wo sie kostengünstig auf unbegrenzte Zeit „zwischen gelagert“ wird.

Hier fungiert Kunst, neben hochwertigem Schmuck und reinem Gold, in einer Zeit des unsicheren Geldes einzig und allein als krisensichere Wertanlage mit Gewinnaussicht. Im Fall des „Salvator Mundi“ besteht im übrigen der Verdacht, dass das Bild möglicherweise gar nicht von da Vinci stammt. Es reichte aus, ihm dieses einst unbedeutende Gemälde geschickt zuzuschreiben, um seinen Marktwert derart in die Höhe zu treiben.

Und die Betreiber der Freeports machen dabei ebenfalls ein gutes Geschäft. Zoll- und Steuervorschriften, die eigentlich für eine kurzfristige Zwischenlagerung von Wertgütern in einer Transitzone gedacht waren, finden hier eine zweckentfremdete Anwendung auf unbestimmte Zeit. Und dies unter strengstem Verschluss. Nicht einmal dem Stadtpräsident von Genf wird auf dessen Anfrage hin Zugang zum dortigen Freeport gewährt.

Diese Entwicklung wirft ein weiteres grelles Licht auf das sich langsam aber sicher ad absurdum führende, dennoch aber unbeirrt von sich selbst überzeugte System des Kunstmarkts, der sich mittlerweile zu einem der besonders lukrativen Geschäftsfelder des Finanzmarkts „hochgearbeitet“ hat. Kaum ein anderer kritisiert diesen Sittenverfall im Umgang mit Kunst beißender als der britische Künstler Banksy. Als clever getarnter Player spielt er dieses Spiel mit, um es zu brüskieren und zu enttarnen. Jedes Mal ein Vergnügen zu sehen, wenn ihm das gelingt. Möge uns die Erkenntnis erspart bleiben, dass er ein doppeltes Spiel spielt.

 

Kunst ist für alle da

Neben der künstlich angeheizten Wertsteigerung ist es vor allem das damit verbundene gezielte Verschwindenlassen von Kunst, das aus meiner Sicht die Paradoxie auf die Spitze treibt. Denn meinem Verständnis nach ist das, was sich da entwickelt, das genaue Gegenteil dessen, was den Sinn und die Bestimmung von Kunst ausmacht. Schufen und schaffen Museen im „alten System“ bei aller Kritik, die man an ihrem exklusiven Konzept der Kunstpräsentation üben kann, doch immerhin noch einen öffentlich zugänglichen Raum, entsteht mit dieser neuen Entwicklung der Privatisierung ein bisher ungekannter exklusiver Raum, der anderen Gesetzen folgt. Kunst im Tresor. Man könnte es auch einen Bunker nennen.

Doch Kunst will gesehen werden. Sie entsteht „im Auge des Betrachters“ immer wieder neu. Unter Verschluss gehalten, darf Kunst nicht ihrer eigentlichen Bestimmung folgen. Im Gegenteil. Sie wird bewusst und systematisch daran gehindert, Menschen zu begegnen, sie zu inspirieren und bestenfalls sogar zu beglücken. Das widerspricht diametral dem Ansatz des OUBEY MINDKISS Projekts. Auch wenn im Rahmen dieses Projekts bisher nicht alle Werke von OUBEY veröffentlicht wurden, liegt das erklärte Ziel des Projekts dennoch eindeutig darin, diesen ursprünglich verborgenen Schatz nach und nach möglichst vielen Menschen weltweit auf möglichst einfache Weise zugänglich zu machen. Dazu gehört konsequenterweise, sie vor den Absurditäten des Kunstmarkts zu bewahren. Ihr stattdessen die Gelegenheit zu geben, ihren Wert allein durch die Bedeutung unter Beweis zu stellen, die sie in der Resonanz von Menschen gewinnt, die ihr begegnen. Und keinesfalls durch irgendeinen Preis. Deshalb ist OUBEYs Kunst zwar öffentlich, aber unverkäuflich – und das seit mittlerweile nahezu dreißig Jahren.

 

PS: Um Missverständnissen zuvorzukommen noch ein Wort zum privaten Reichtum. Privater Vermögensgewinn hat sich in den letzten zwanzig Jahren vervielfacht. Reiche Menschen können aufgrund ihres Privatvermögens Einfluss nehmen. Das war grundsätzlich schon immer so. Doch die Zahl derer, die das können, hat enorm zugenommen. Dabei ist der Anteil derer, die ihren Reichtum erwirtschaftet haben, indem sie – wie beispielsweise ein Bill Gates oder Elon Musk – unternehmerische Risiken auf sich genommen haben, allerdings deutlich gesunken. Man mag über Bill Gates oder Elon Musk geteilter Meinung sein. Doch eins steht fest: Sie investieren heute den größten Teil ihres Vermögens nicht in die Vermehrung ihres Vermögens, indem sie Kunst kaufen und zwecks Wertsteigerung langfristig bunkern, sondern indem sie zukunftsweisende Projekte möglich machen. Dafür haben sie meine Anerkennung.

More Dagmar Woyde-Koehler

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