Thoughts & Insights

Was wir brauchen, sind neugierige Grenzgänger

Im November 2013 fand im Rahmen des Global Peter Drucker Forum zum Thema „Managing Complexity“ in Wien die 3. Station der OUBEY Global Encounter Tour statt. Aus diesem Anlass erschien im Vorfeld unter dem Titel „Was wir brauchen, sind neugierige Grenzgänger“ ein Beitrag des MINDKISS Projekts im Blog der Drucker Society und fand sehr positive Resonanz. Prof. Peter Kruse, der an mehreren Stellen zitierte Freund und Partner des Projekts, ist in diesem Jahr leider verstorben. Seine Aussagen wie auch der ganze Artikel haben bis heute nichts an Aktualität verloren. Deshalb wollen wir ihn nun auf vielfache Anregung hin endlich auch ungekürzt im OUBEY Blog veröffentlichen.

„Was wir heute brauchen, sind keine visionären Vordenker, sondern neugierige Grenzgänger, denn Grenzgänger halten Komplexität aus“, lautete eine der zentralen Aussagen von Prof. Peter Kruse in seinem Vortrag zur Ausstellungseröffnung der OUBEY Global Encounter Tour in Berlin am 21. März 2013.

Kruse ist in Deutschland bestens bekannt für seine Erforschung der Leistungsfähigkeit und Funktionsweise von Selbstorganisation und intelligenten Netzwerken, für seine fundierten Kulturanalysen sowie für seine zuweilen provozierenden und polarisierenden Thesen.
Aus einem bis dahin so nicht gekannten Blickwinkel schaute er auf OUBEY und den eigenwilligen Entstehungsprozess seines künstlerischen Werkes, der geprägt war von den Eigenschaften und Fähigkeiten eines neugierigen Grenzgängers.

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Nun erhält OUBEYs Kunst im Rahmen des diesjährigen Drucker Forums einen ungewöhnlichen Präsentationsraum, der zugleich ein Resonanzraum der besonderen Art sein wird. Menschen aus aller Welt kommen zwei Tage lang in Wien zusammen, um sich mit Fragen des Komplexitätsmanagements zu beschäftigen und werden sich mit Hilfe der Sprache hierüber auf hohem Niveau austauschen. Werden über Ansätze, Modelle und Konzepte sprechen und der Frage nachgehen, was zu tun ist, damit Manager besser und erfolgreicher mit der Herausforderung zunehmender Komplexität und Dynamik umgehen können als bisher. Inmitten dieses Austauschs werden einige von OUBEYs Bildern ganz still, aber in einer universal verständlichen Sprache die keiner Worte bedarf, ihren eigenen Beitrag zum Verständnis dessen leisten, was Komplexität ist und was sie in uns auslöst. Eine Einladung zu neugierigem Grenzgängertum.

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Auf den ersten Blick scheint es keinen offensichtlichen Zusammenhang zu geben – weder zwischen Kunst und Management im allgemeinen noch zwischen Management und OUBEYs Kunst im besonderen. Der Zusammenhang entsteht in diesem Fall erst durch das Thema der Komplexität – ein Thema, mit dem OUBEY sich zeit seines Lebens und weit über sein künstlerisches Schaffen hinaus sehr intensiv auseinandergesetzt hat, seit er im Jahr 1981 „Dialog mit der Natur“ von Ilya Prigogine las. Eine geistige Auseinandersetzung mit Komplexität, Ganzheitlichkeit und Vernetzung von bahnbrechender Bedeutung in ihrer Zeit.

Um einen substanziellen Zusammenhang zwischen OUBEY und seiner Kunst einerseits und elementaren Fragen von Führung und Management im Kontext zunehmender Komplexität andererseits zu erkennen, bedurfte es einer Betrachtung aus besonderem Blickwinkel heraus, wie sie von Prof. Kruse in seinem Vortrag vorgenommen wurde.

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In seiner Stichwortliste der Kernkompetenzen eines neugierigen Grenzgängers finden sich bei Kruse mehrheitlich Qualitäten, die in der täglichen Führungs- und Managementpraxis, aber auch in der einschlägigen Managementliteratur eher seltener anzutreffen sind: Komplexität aushalten können, Instabilitäten tolerieren können, Unsicherheit und Irritation zulassen können, achtsam wahrnehmen, aufmerksam zuhören und Muster erkennen können – denn wenn man das kann, ist man sehr dicht dran am System, lernt es besser kennen und verstehen, kann mit den endogenen Kräften des Systems konstruktiv und gestalterisch arbeiten, kann (und muss sogar) auf manche der etablierten Führungsinstrumente verzichten. Neugierige Grenzgänger haben eine Leidenschaft für Reflexion, sie sind bereit und fähig, die in der Organisation vorhandene kollektive Intelligenz für das Finden von Lösungen zu mobilisieren und zu nutzen, d.h. sie aktivieren vorhandene Potenziale durch einen klugen Umgang mit Selbstorganisation. Führung und Management als ein intelligentes Wechselspiel zwischen Hierarchie und Netzwerkkreativität.

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Komplexität eröffnet Handlungsfelder, die zwar nicht wirklich beherrscht, jedoch aktiv und zielgerichtet gestaltet werden können, wenn die Handelnden dazu in der Lage sind, Situationen nicht als berechenbares abgeschlossenes „Sein“ zu begreifen, sondern in der Lage sind, sie als einen Augenblick im Prozess des „Werdens“ zu begreifen, an dem unzählige miteinander verknüpfte einflussnehmende Faktoren beteiligt sind. Im Prozess des Werdens lässt sich nicht oder nur sehr eingeschränkt vorhersagen, was als nächstes geschehen wird. Lineares Denken und mechanistische Vorstellungen von der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung helfen hier nicht weiter. Unvorhergesehen eintretendes kann störend wirken, kann aber gerade deshalb auch hilfreich sein.

Komplexität birgt Chancen und Möglichkeiten zur Neuordnung von Systemen in sich, die wir erkennen und nutzen können. Unser Gehirn, das ein derart komplexes System wie unseren Körper steuert, „ist ganz hervorragend dafür geeignet, komplexe Zusammenhänge und Muster zu erkennen und Ordnung zu machen“, so Kruse. Dies gelingt allerdings nur unter einer Voraussetzung: „Man bekommt keine Neuordnung in Systemen hin, wenn man sich nicht irritieren lässt, wenn man sich nicht stören lässt.“ Widersetzt man sich der Irritation und verharrt im tradierten Muster, wird die Neugier im Gehirn nicht ausreichend stimuliert, um eine Neuordnung zu suchen und zu erkennen, ungeahnte Möglichkeiten bleiben unentdeckt.

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Es ist übrigens nicht der fürs Bewusste, rationale Analysieren zuständige kortikale Teil des Gehirns, der dies kann. Es ist der limbische, also der Teil, der fürs Unbewusste zuständig ist. Mustererkennung ist ein intuitiver Prozess. Das ist es vielleicht, was manche Künstler von den meisten Managern unterscheidet: Sie arbeiten nicht nur mit dem bewussten Teil ihres Gehirns, intuitiven Fähigkeiten ihres Gehirns in diesem Sinne zu nutzen und zu vertrauen?

Zwar ist es der Meteorologie gelungen, erstaunlich präzise Vorhersagen über so etwas Komplexes wie die Wetterlage zu machen, und dies sogar über längere Zeiträume hinweg. Ob es je so etwas wie eine „Meteorologie“ fürs Management geben wird, sei dahingestellt. Aber Komplexitätsforscher am Santa Fe Institut haben bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts immerhin die Muster und Prinzipien von Wechselwirkungsprozessen in Wirtschafts- und Finanzmärkten erforscht, mit interessanten Ergebnissen. Und welche fatalen Konsequenzen es haben kann, wenn Manager nicht dazu in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, die die Wirkungsmechanismen eines komplexen Handlungsfelds berücksichtigen, hat Dietrich Dörner schon 1989 in seiner „Logik des Misslingens“ eindrucksvoll dargestellt. So stellt sich heute vor allem die Frage woran es denn liegt, dass dieses Wissen bisher nicht auf breiterer Ebene im Handeln und Verhalten von Managern seinen Ausdruck findet.

Es mag naheliegend sein zu glauben, dass es für einen Künstler einfacher sei, Lösungen für den Umgang mit Komplexität zu finden als für einen Manager. Für Künstler beginnt der freie und kreative Prozess im Sinne des neugierigen Grenzgängertums jedoch genauso wie für jeden anderen Menschen auch – mit der Entschlossenheit, konsequent den eigenen Weg zu gehen und der Fähigkeit, die eigenen Handlungsspielräume kontinuierlich zu erweitern.


Das Video über den Encounter von Prof. Peter Kruse mit OUBEYs Bild finden Sie hier.

 

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