Thoughts & Insights

Das außergewöhnliche Denken hat es oft schwer, denn es ist seinem Wesen nach immer Anders

Außergewöhnliches Denken misst sich nicht an Ruhm, Macht oder Geld. Es ist auf leidenschaftliche Weise intrinsisch getrieben und setzt sich über alles hinweg, was sich ihm normativ in den Weg stellt.

Menschen, die wirklich außergewöhnlich dachten und Außergewöhnliches schufen, gab es zu allen Zeiten und sehr viele von denen, die wir heute noch kennen, hatten es sehr schwer zu ihrer Zeit. Zum Beispiel Sokrates, der am Ende den Giftbecher trinken musste oder Galilei, der von der Inquisition verfolgt und zum Leugnen seiner Erkenntnis gezwungen wurde.

Eine der wohl drastischsten Geschichten eines wirklich außergewöhnlich denkenden Menschen kam erst sehr spät, lange nach seinem frühen, bis heute ungeklärten Tod im Jahr 1954 ans Licht der Öffentlichkeit. Sie ist in mehrfacher Hinsicht drastisch, dramatisch und außergewöhnlich. Sie spielt im existenziellsten Krieg des 20. Jahrhunderts, im zweiten Weltkrieg. Sie spielt auf doppelte Weise im Geheimen. Denn sie spielt unter dem Siegel absoluter Geheimhaltungspflicht im militärischen Abwehrkampf der britischen Armee. Und sie spielt in einer Zeit, in der Homosexualität als Straftat galt und deshalb geheim gehalten werden musste, wenn man nicht ins Gefängnis gehen wollte.

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Ein englischer Mathematiker, den seine Mutter einen „komischen Kauz“ nannte, beschäftigt sich schon als Junge mit Codes und kryptischen Zeichen. Später besitzt er die Fähigkeit, sich eine Maschine vorzustellen, die Codes dechiffrieren kann, die als undechiffrierbar gelten. Die von ihm konstruierte Maschine knackt nicht nur tatsächlich den Enigma Code der Nationalsozialisten und trägt damit entscheidend dazu bei, den 2. Weltkrieg zu verkürzen und für die Alliierten siegreich zu beenden. Die „Turing Machine“ ist zugleich auch der erste Computer, den es je gab. Ein Gerät, ohne das in unserer heutigen Zeit überhaupt nichts mehr geht.

Nichts von dem, was Alan Turing geleistet hat, durfte zu seiner Zeit Spuren hinterlassen. Alle Dokumente und auch die Maschine wurden bei Kriegsende vernichtet. Was blieb, war Turing´s Homosexualität. Wegen ihr wird er später gerichtlich verurteilt und vor die Wahl gestellt: Gefängnis oder Hormontherapie, denn Homosexualität ist ein kriminelles Vergehen zu dieser Zeit. Sein früher Tod im Jahr 1954 deutet auf Selbstmord hin, bleibt aber ungeklärt. Erst mehr als fünfzig Jahre danach, vor nicht einmal zwei Jahren, wird Turing im Jahr 2013 von Queen Elizabeth II. posthum begnadigt. Für etwas, das seit 1967 in England nicht mehr strafbar ist. Die offizielle Würdigung seiner Leistung lässt noch immer auf sich warten.

Diese Geschichte steht für sich. Sie berührt mich sehr. Ich kannte sie nicht bevor der Film „The Imitation Game“ über Alan Turing entstand. Ein Mensch, dem wir viel verdanken, dessen Leistung jedoch über Jahrzehnte hinweg verborgen blieb, womöglich fast vergessen worden wäre. Schlimmer noch: Der für ein Anderssein, das keinem Menschen je geschadet hat, kriminalisiert wurde. So rabiat geht das Gewöhnliche mit dem Außergewöhnlichen um, fegt es hinweg. Und feiert es dann irgendwann auch wieder – posthum.

Ein Computer ist es, mit dessen Hilfe ein großer Geist unserer Zeit, Stephen Hawking, seine klugen Gedanken heute noch immer mitteilen kann, weit über die Zeit hinaus, in der es ihm ohne diese Erfindung jemals möglich gewesen wäre. Seltsam, dass der Film über ihn und der über Alan Turing nahezu zeitgleich entstanden sind. Und seltsam auch, dass ausgerechnet Stephen Hawking in diesen Tagen mit Hilfe einer intelligenten Maschine vor der weiteren Entwicklung intelligenter Maschinen warnt.

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Die Geschichte von Beiden wird zum Thema in einer Zeit, in der ganze Heerscharen von Marketingspezialisten auf der ganzen Welt daran arbeiten, Strategien zu entwickeln wie man „Außergewöhnlichkeit“ suggeriert. Wir sind umgeben von unzähligen irrealen Wirklichkeitskonstruktionen, in denen etwas Gewöhnliches auf professionelle Weise so verpackt wurde, dass es wie etwas Außergewöhnliches, Einzigartiges erscheint. Psychologie und Gehirnforschung tragen, absichtlich oder unabsichtlich, ihren Teil dazu bei. Manches davon ist vielleicht tatsächlich besonders oder sogar einzigartig. Das meiste aber wohl eher nicht. Es ist spektakulär, populär, aber kurzlebig. Es erregt Aufmerksamkeit ohne jedoch von außergewöhnlicher Bedeutung zu sein. Es wird sich zeigen was davon bleibt.

Stellt sich die Frage, was dieser Beitrag mit OUBEY und dem MINDKISS Projekt zu tun hat? Vielleicht werde ich sie später einmal an anderer Stelle beantworten.

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