Thoughts & Insights

Die Gunst der Lücke

Die bisherigen Erkenntnisse über die Entstehung von Leben ließen uns vielleicht glauben, hier sei ein perfektes System am Werk gewesen – zufällig oder absichtlich. Denn alles, was seit dem Beginn des Universums entstanden ist und insbesondere das Entstehen eines Sonnensystems mit einem Planeten namens Erde, auf dem wir heute leben, erweckt den Anschein der Perfektion.

 

Tatsächlich war es aber zumindest ganz am Anfang wohl eher genau das Gegenteil von Perfektion, das dazu geführt hat, dass Leben überhaupt und irgendwann auch menschliches Leben in diesem gigantischen Raum des Kosmos entstehen konnte, in dem wir existieren. Denn wir verdanken unsere Existenz zu allererst einer Unvollkommenheit, einem Mangel an Ordnung. So jedenfalls sieht es Stephen Hawking in einer neuen Dokumentationsreihe mit dem Titel „Into the Universe with Stephen Hawking“.

 

Materie wurde stärker als Antimaterie. Wasserstoffgas bildete dichte Nebelwolken. Hätten sich vor rund 13 Milliarden Jahren die Wolken aus Wasserstoffgas perfekt und symmetrisch in gleichmäßigen Abständen voneinander im offenen Raum des Kosmos angeordnet, wäre es bei diesem Status geblieben. Da sie sich aber nicht gleichmäßig, perfekt und symmetrisch anordneten, sondern sich – aus welchem Grund auch immer – unordentlich bewegten, entstanden Lücken. Lücken sind nicht nur Zeichen von Unvollkommenheit, sondern sie sind immer auch Freiräume. Als solche wurden sie seinerzeit zu Angriffsflächen für die Schwerkraft, der wir letztlich die gesamte weitere Entwicklung des Kosmos verdanken.

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Im Angriffsraum dieser Lücken entwickelte sich durch die gewaltige Kraft der Gravitation eine Hitze, die in der Lage war, aus dem Wasserstoff Helium freizusetzen. Damit begann die Entstehung von Sternen und Galaxien. Aus dem Staub gestorbener Sterne entwickelte sich nach weiteren Milliarden von Jahren in einer wohl eher perfekten Konstellation unseres Sonnensystems erstes Leben. Rund 14 Milliarden Jahre nach dem sogenannten Urknall nimmt das Leben auf diesem Planeten namens Erde seinen Anfang. Das ist unser Ursprung.

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Ob Stephen Hawking Recht hat mit seiner These, kann ich nicht beurteilen. Ich kann nicht einmal mit Sicherheit sagen, dass ich das, was er beschrieben hat, korrekt wiedergegeben habe. Dennoch wage ich zu sagen, dass mir das, was er sagt, plausibel erscheint. Und ich denke, dass darin auch eine Transferqualität für unser heutiges Leben und Treiben als Menschen auf dieser Erde liegt. Ordnung ist wichtig und wertvoll, wenn sie zur richtigen Zeit der richtigen Logik folgt. Doch der Mangel an Ordnung schafft Freiraum für die Entwicklung von Neuem. Er ist nicht nur ein Ausdruck von Leben, sondern auch Quelle davon und ist deshalb wertvoll. Chaos und Ordnung gehören untrennbar zusammen, sind wie Zwillinge. Mangel an Ordnung bedeutet Freiraum für Entwicklung. Mangel an Chaos bedeutet Stillstand. Die Lücken in der Ordnung ermöglichen das Entstehen von Neuem. Das sollte uns ängstlichen Wesen Mut machen, finde ich.

 

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