Thoughts & Insights

Wellen – Göttliche Wesen des Meeres

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“Bei Flut fuhren die Hawaiianer mit ihren Brettern aus Balsa- und Sequoiaholz hinaus aufs Meer, um die einlaufenden Wellen, die nach ihrem Verständnis göttliche Wesen des Meeres waren, zu begleiten, bis diese, am Strand angekommen, ihr Leben aushauchten.” ‘He’e nalu’ ist der polynesische Ausdruck für das Gleiten auf der ablaufenden Welle. Die Welle ist die Gottheit, die ihrem Tod entgegengeht und das Gleiten auf der auslaufenden Welle gleicht einem Totentanz, der die Wellen zur Wiederkehr einladen und damit den Kreislauf des Lebens aufrechterhalten soll, damit das Meer sich nicht dauerhaft zurückzieht.

Der französische Philosoph und Literat Frédéric Shiffter hat eine “Philosophie des Surfens” geschrieben. Für ihn ist das gekonnte Surfen ein mystisches Erlebnis. “Man wird eins mit dem Naturelement, verschmilzt mit ihm”. Die instinktiv sichere Vorahnung des Surfers für die richtige Welle, den richtigen Moment, der so nicht mehr wiederkehrt, hat für ihn auch etwas mit Trauer zu tun, “mit der Melancholie, die in jeder Welle steckt”.

“Eine Welle stirbt nicht im Verborgenen, sondern zelebriert ihren Untergang unter den Augen der Menschen. Wenn sie sich dem Ufer nähert, dessen letzte Hürde aus Sand oder Felsen sie nehmen muss, so bäumt sie sich in einer letzten Drohgebärde noch einmal auf, um gleich darauf mit einem dumpfen Rumpeln zusammenzubrechen, das im langen Donnern einer im Wirbel zerfallenden Ruine ausläuft. Die Welle endet, wenn sie im fließenden Weiß am Fuße eines Felsens verschäumt oder vom Sandstrand aufgesogen wird. Dann verflüchtigt sich ihre Seele in der Gischt, die die Gesichter der Schaulustigen benetzt und manchmal sogar ihre Brust. Dann tut die Welle ihren letzten Atemzug im Herzen eines Sterblichen und Melancholie ist ihre letzte Verkörperung.”

Ist Melancholie das, was von einer Welle im Herzen des Menschen übrig bleibt? Weil uns unbewußt klar ist, dass wir dem letzten Augenblick eines ersterbenden Elements beiwohnen? So wie beim Aushauchen des letzten Tons von Tschaikowsky´s Pathétique?

Die Zitate stammen aus Frédéric Shiffters Buch “Petite Philosophie du Surf” und aus einem Beitrag auf arte tv vom 20.11.2011. Mehr dazu auf arte.tv.

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