Thoughts & Insights

Weit über uns selbst hinaus

Man stelle sich ein Raumschiff vor: einen Kilometer lang und 20 Tonnen schwer, das sich gerade auf die Reise zu einem erdähnlichen Planeten begibt, der in einem Sonnensystem liegt, das viereinhalb Lichtjahre, d.h. 40 Billionen Kilometer von unserer Erde entfernt existiert, 700.000 mal weiter von der Erde entfernt als der Mars. Geplante Dauer der Reise: 50 Jahre. Ziel und Zweck der Reise: Herausfinden, ob es auf diesem erdähnlichen Planeten tatsächlich außerirdisches Leben gibt. Fantasterei? Science Fiction? Keineswegs.

Es ist die großartige Vision von herausragenden Astronomen und Ingenieuren auf der ganzen Welt. Das größte Projekt aller Zeiten: Interstellare Raumfahrt zu einem erdähnlichen Planeten. Es könnte tatsächlich realisierbar sein – in ein- bis zweihundert Jahren.

Wie soll das gehen, werden Sie fragen. Das habe ich mich auch gefragt und habe auf diese Frage eine Menge plausibler Antworten gefunden. Von Ingenieuren der Raumfahrt und Astronomen, die wissen wovon sie reden. WissenschaftlerInnen, denen exaktes Analysieren und Planen oberster Maßstab ihres Denkens und Handelns ist. Die z.B. den Mars Rover Curiosity entwickelt, gebaut und im Jahr 2004 erfolgreich aktionsfähig auf unserem Nachbarplaneten gelandet haben. Oder dafür gesorgt haben, dass im Juli 2015 die Raumsonde „New Horizons“ den Planeten Pluto am Rande unseres Sonnensystems passiert hat. Von Voyager 1 und 2 ganz zu schweigen. Doch dies alles, sagen sie, war nur der Anfang.

Diese Menschen bringen die Erfahrungswerte und Forschungsergebnisse ihrer bisherigen Arbeit gedanklich bereits heute in ein Projekt ein, das es noch gar nicht gibt. Auf das sie aber hoffen und für das sie brennen, wenngleich sie wissen, dass sie den Fortschritt der Realisierung und die Ergebnisse der Mission selbst nicht werden miterleben und feiern können.

Und doch entwickeln sie bereits heute Konzepte und finden theoretische Antworten auf Fragen, die zur Realisierung eines derart gigantischen Projekts beitragen werden. Allein die Fragen machen deutlich, welche Dimensionen von Herausforderung mit einem solchen Unternehmen verbunden sein werden. Das sind zum Beispiel Fragen wie diese:

  • Wo und wie soll dieses Raumschiff gebaut werden?
  • Wer soll dieses Raumschiff steuern, wenn allein die Hinreise 50 Jahre dauert?
  • Wie beschleunigt man ein Raumschiff von dieser Größe auf einen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit, damit es den Zielplaneten überhaupt erreichen kann?
  • Wie kann das Raumschiff mit Energie versorgt werden, die über einen Zeitraum von 50 Jahren hinweg verfügbar ist?
  • Welcher Treibstoff ist leicht genug, um diese Anforderung zu erfüllen? soll das Raumschiff angetrieben werden?
  • Welche Triebwerke muss das Raumschiff haben?
  • Aus welcher Energiequelle würden diese Triebwerke gespeist?
  • Wo findet man diesen Treibstoff?
  • Wie wird das Raumschiff vor Meteoriteneinschlägen geschützt, die es funktionsunfähig machen könnten?
  • Welche Funktionen müssen redundant vorhanden sein für den Fall, dass eine Funktion ausfällt?
  • Mit welchen Milliarden von Daten müsste eine Künstliche Intelligenz ausgestattet sein, um das Raumschiff in diversen Entscheidungssituationen erfolgreich steuern zu können, wenn es die Reichweite einer Kommunikation mit der Erde verlässt?
  • Und nicht zuletzt: Wie schafft das Raumschiff die Schubumkehr, um rechtzeitig abbremsen zu können, wenn es sich dem Zielplaneten annähert? Da im Weltraum ein Vakuum herrscht, gibt es keinen Luftwiderstand, durch den das Schiff abgebremst werden könnte.

Auf alle diese Fragen gibt die Physik bereits heute theoretische Antworten. Die Theorie zur Lösung der Aufgabe ist vorhanden. Wer sie kennenlernen will, der möge die großartige Dokumentation über das Projekt „Minerva“ anschauen. Das Projekt ist realisierbar. Allein die Realisierung wird Zeit brauchen und eine weltweite Zusammenarbeit erfordern.

Steigt man in die Konkretisierung der Vision ein wenig tiefer ein, wird es atemberaubend spannend: Nach 25 Jahren der Beschleunigung auf einen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit von 0,3% und 25 weiteren Jahren, die der Vorgang des Abbremsens im Vakuum des Raums erfordert, würde das Schiff den avisierten erdähnlichen Planeten erreichen, und die Künstliche Intelligenz an Bord würde veranlassen, dass die Parabolantenne ausgefahren wird, um die Nachricht von der erfolgreichen Landung an die Erde zu übermitteln. Dieses Funksignal würde viereinhalb Jahre später auf der Erde ankommen. Von da an würde die Künstliche Intelligenz an Bord regelmäßig wissenschaftliche Daten an die Erde funken. Was dann passieren könnte, wenn solch ein von Menschen gebaute Raumschiff auf dem fiktiven erdähnlichen Planeten „Minerva B“ gelandet sein wird, bleibt einstweilen unserer Fantasie überlassen.

Der Gedanke, dass die Menschheit aufgrund ihres heute erreichten Stands an Wissen und Können einen nächsten Meilenstein in ihrer Geschichte erreichen kann, indem sie das eigenen Sonnensystem verlässt und auf einem erdähnlichen Planeten in einem anderen Sonnensystem unserer Galaxis eventuell fremdes Leben entdeckt, beflügelt sie.

Mit solchen Gedanken war OUBEY bereits unterwegs, als er noch lebte. Ich liebte es ihm zuzuhören, wenn er hin und wieder über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Unterfangens sprach und fest davon überzeugt war, dass es keine dreihundert Jahre brauchen würde, bis solch ein Unternehmen tatsächlich stattfinden kann. Zu erfahren, dass ernstzunehmende Wissenschaftler sich nun bereits auf den Weg machen, diesen Gedanken einen Schritt hin zur Realisierung zu bewegen, würde ihn beflügeln und möglicherweise zu neuen Ufern seiner Arbeit führen, wenn er noch leben würde. Seit ich vor kurzem auf Arte TV eine erste Dokumentation über dieses fiktive Projekt „Minerva B“ gesehen habe, beflügelt diese Idee auch mich aufs Neue.

Wir leben in einer Zeit, in der sich das Leben in seiner begrenzten Zeit für viele Menschen immer mehr und für manche nur noch um sich selbst, um Selbstoptimierung, Karriere, öffentliche Aufmerksamkeit und Gelderwerb zu drehen scheint. Dass es in dieser Zeit eine spezielle Art unter den Menschen gibt, der das vollkommen egal ist, weil ihr nichts wichtiger ist als an der Realisierung einer Vision mitzuarbeiten, die weit über sie selbst und ihre eigene Lebenszeit hinausweist, ist in meinen Augen ein Hoffnungszeichen der Evolution. Das ist großartig.

 

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