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JAHRE ZÄHLEN MACHT ALT – NEUGIER HÄLT JUNG
Als ich kürzlich durch die Fernsehkanäle zappte, blieb ich in einer der Blind Auditions von „The Voice of Germany“ hängen und erwischte dabei einen erstaunlichen Auftritt. Die Sängerin hieß Ludmilla Larusso, hatte sich keinen Popsong, sondern die Opernarie „Nessun Dorma“ von Giaccomo Puccini ausgesucht, und ihr Vortrag war beeindruckend. Das war eigentlich schon außergewöhnlich genug. Doch als sie dann berichtete, dass sie erst mit über 40 Jahren ihr stimmliches Talent entdeckt und dann überhaupt erst mit dem Singen begonnen hat, war ich erst recht überrascht. Und ich freute mich, denn damit ist sie für mich ein wunderbares Beispiel für einen meiner Lebensgrundsätze: Es ist nie zu spät, um etwas Neues zu beginnen.
Wann ist ein Mensch jung? Wann ist ein Mensch alt?
Ludmilla Larusso, inzwischen über 50, wirkte jung, als sie da auf der Bühne stand und sang. Wie kann das sein? Es war Ihre Ausstrahlung, ihre Stimme, vor allem aber auch ihre spürbare Freude und Begeisterung an dem, was sie tut. Dagegen sieht manch einer, obwohl er um einige Jahrzehnte jünger ist als sie, regelrecht „alt“ aus. Wie kann das sein?
Für mich hat Alter nicht allein mit der Summe an Lebensjahren zu tun. Die Frage nach dem Alter ist eher eine Frage der inneren Einstellung. Und ist diese Einstellung von Neugier und Unternehmungslust geprägt, von dem Gedanken, dass es nie zu spät ist, etwas Neues zu entdecken, dann entsteht eine Energie, die den Menschen jung macht – ob er nun 15 ist oder 50.
Und was ist mit den biologischen Hardfacts? – werden Sie vielleicht zurecht fragen. Klar, spielen auch die eine Rolle und manches kann man mit steigender Lebenszeit nicht mehr so gut wie das mit zwanzig oder dreißig noch der Fall war. Aber glücklicherweise sind wir Menschen ja Individuen und als solche fähig, der puren Biologie mit einer inneren Einstellung zu begegnen, die dazu führt, dass unsere Leben eben nicht mit 50 oder 70 Jahren vorbei sein muss.
Einladung zur Neugier
Es gibt Menschen, die – obwohl noch jung an Jahren – ihr Leben bereits bis zur Rente im Kopf durchgeplant haben und alles, was nicht in diesen Plan passt, ignorieren. Das ist doch zielstrebig und ganz vernünftig, meinen Sie? Das sollte man doch nicht kritisieren?
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich kritisiere das nicht. Jeder kann und soll so leben wie es ihn zufrieden macht und wie er es für richtig hält, solange er anderen Menschen dabei nicht schadet. Ich denke allerdings, dass man sich auf diese Weise selbst um einige schöne Möglichkeiten bringen kann, die das Leben lebendig und überraschend machen. Was bleibt, sind dann oft nur die Überraschungen, mit denen das Leben uns konfrontiert und auf die wir dann oft hilflos reagieren, weil sie den einst gefassten Plan über den Haufen werfen.
Neues zu versuchen und sich selbst zu überraschen ist für mich eine wichtige Konstante im Leben. Natürlich immer erst einmal prüfen, ob man sich etwas tatsächlich zutraut bzw. ob man etwas wirklich will. Aber wenn das der Fall ist, dann sollte man es einfach versuchen. Wenn es misslingt, dann hat man es wenigstens versucht. Ich möchte mich am Ende meines Lebens möglichst nicht fragen müssen, warum ich die schönen Möglichkeiten, die sich mir geboten haben, nicht genutzt habe. Deshalb habe ich mir immer die Freiheit geschenkt, Neues anzupacken, wenn sich eine passende Möglichkeit ergab, und habe es bis heute nie bereut.
Eine leere Leinwand ist wie der Aufruf zu etwas Neuem
Und ich mag Menschen, die das auch tun. Ein Künstler muss gewissermaßen mit jedem Bild „neu anfangen“. Manche malen zwar ganze Serien, aber dennoch ruft eine leere Leinwand immer wieder zu etwas Neuem auf. Das habe ich im Zusammenleben mit OUBEY über einundzwanzig Jahre aus nächster Nähe miterlebt. Wenn OUBEY nicht bereit und in der Lage gewesen wäre, immer wieder ganz neue Wege zu gehen als Künstler, wäre das Werk, das er hinterlassen hat, nicht so interessant und vielfältig wie es ist und würde heute gewiss nicht so viele Menschen auf der ganzen Welt faszinieren und begeistern. Bei ihm rief jede Antwort die nächste Frage hervor. In der Kindheit verhalten sich fast alle Menschen so. Wenn sie erwachsen werden, lässt das oft nach, weil sie glauben, alle Antworten zu kennen – zumindest die wichtigen. Das ist ein Irrtum. Denn niemand kennt jemals alle Antworten. Staunen und Entdecken ist ebenso wichtig wie Wissen.
Mit dem Herzen sehen
So kommt es, dass eine Ludmilla Larusso bei „The Voice of Germany“ nicht nur das begeisterte Publikum in Erstaunen versetzte, sondern auch die aufmerksamen Coaches. Vielleicht hat es geholfen, dass sie bei dieser Show mit dem Rücken zur Bühne sitzen und nicht sehen, wie alt oder jung, groß oder klein, dick oder dünn, hübsch oder weniger hübsch ein Kandidat ist. Sie wissen nicht wie dieser Mensch aussieht, sie hören nur den Gesang. Und mit ihrem Gesang erreichte Ludmilla die Herzen. Ein schönes Beispiel für die Richtigkeit dessen, was Antoine de Saint-Exupéry einmal sagte: Man sieht nur mit dem Herzen gut.
Alter ist nicht das Ergebnis einer Rechenaufgabe. Alter ist eine Frage der Lebendigkeit, Offenheit und Neugier – im Herzen und im Kopf. Es ist immer möglich, noch etwas dazu zu lernen, zu erleben, zu entdecken. Neugier ist ein Elixier, das Lust aufs Leben macht und deshalb jung hält.
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