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R E S P E K T

Sie kennen Aretha Franklin, die großartige Sängerin und ihren berühmten Titel "R.E.S.P.E.C.T"? Darin besingt sie das wohl grundlegendste Prinzip des Zusammenlebens zwischen Menschen: den Respekt. Der Song ist mittlerweile mehr als fünfzig Jahre alt. Das Thema jedoch ist aktueller denn je.

Denn es gibt keine friedliche Koexistenz und schon gar kein konstruktives Miteinander ohne gegenseitigen Respekt. Und das gilt nicht nur fürs menschliche Miteinander.

 

Respekt ist keine Einbahnstraße

Es gab eine Zeit, in der Respekt keine Frage der Gegenseitigkeit auf Augenhöhe war wie das heute der Fall ist oder zumindest sein sollte. Er galt in erster Linie den sogenannten Respektspersonen. Die autoritären Strukturen des deutschen Kaiserreichs beispielsweise erwarteten von den Untertanen Respekt gegenüber den Vertretern des Staates ohne sich selbst zum Respekt gegenüber den Untertanen verpflichtet zu sehen. Respekt war eine Frage der Hierarchie und hatte vor allem eine Richtung: er ging von unten nach oben. Respektspersonen widersprach man nicht. Man folgte ihren Anordnungen. Tat man es nicht, handelte man sich Ärger oder Schlimmeres ein. Dieses angstbestimmte Verständnis von Respekt hielt sich in Deutschland bis weit ins 20. Jahrhundert hinein und ist in autoritären und totalitären Gesellschaften unserer Zeit noch immer zu finden.

In einer aufgeklärten demokratischen Gesellschaft, die auf den Grund- und Menschenrechten beruht und sie schützt, geht es um eine ganz andere Art von Respekt.

 

Respekt ist das Fundament der Zivilisation

Es geht um den zwischenmenschlichen Respekt – unabhängig von irgendwelchen Hierarchien. Das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern sollte genauso von gegenseitigem Respekt bestimmt sein wie das Verhältnis zwischen den verschiedenen Geschlechtern und erst recht das zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Hautfarbe. Diese moderne Art des Respekts ist die Voraussetzung dafür, dass es Vielfalt gibt: Vielfalt der Meinungen und Lebensentwürfe, Vielfalt der Kulturen und politischen Anschauungen.

Diskussion und bei Bedarf auch Streit sind wichtig, damit Weiterentwicklung stattfinden kann. Das ist konstruktiv solange die Kontrahenten sich grundsätzlich respektieren. Man hört sich zu, widerspricht sich, denkt über die Argumente des anderen nach und wenn man sie nicht teilen kann oder will, ändert das nichts am gegenseitigen Respekt.

So wie ein Haus ohne solides Fundament einsturzgefährdet ist, sobald die Erde bebt oder ein Orkan durchs Land fegt, so ist insbesondere in schwierigen Zeiten und Krisen auch die Stabilität des zivilisierten Zusammenlebens in Gefahr, wenn der gegenseitige Respekt fehlt. In Zeiten wie diesen also.

 

Respekt hat kein Verfallsdatum

Respekt hat nichts mit spontanen Gefühlen oder gar Sympathie zu tun, sondern beruht auf einer grundlegenden und dauerhaften Haltung.

Sie erinnern sich an den Applaus, der Anfang dieses Jahres den Einsatz von Ärzten und Krankenschwestern von den Balkonen herunter und aus geöffneten Fenstern heraus würdigte? An die Spruchbänder an Autobahnbrücken, die den sonst so ungeliebten LKW-Fahrern Dank dafür aussprachen, dass sie weiterhin für Nachschub in den Supermärkten und Einkaufszentren sorgten? Es war ein kollektiver Schockmoment, ausgelöst durch die dramatischen Bilder von überfüllten Corona-Intensiv-Stationen und leergekauften Lebensmittelregalen, der die existenzielle Bedeutung der Arbeit dieser Menschen so drastisch ins öffentliche Bewusstsein brachte wie lange nicht. Der Applaus war Ausdruck eines spontanen Gefühls der Dankbarkeit. Sie zu zeigen war gut und richtig so. Nun ist der Applaus verstummt. Der Überschwang der Gefühle ist verflogen, die Notwendigkeit des Respekts ist geblieben.

 

Respekt hört nicht beim Menschen auf

Was manchem schon im zwischenmenschlichen Umgang schwer fallen mag, unterliegt geradezu einer kollektiven Ignoranz, wenn es um das Miteinander von Mensch und Natur geht. Wenn es um Respekt geht, dann gilt er selbstverständlich nicht nur unseresgleichen, sondern allem gegenüber was auf dieser Erde lebt Welt. Das klingt Ihnen zu pathetisch?

Für mich ist das keineswegs pathetisch, und man muss auch nicht einmal religiös sein, um zu dieser Einsicht zu kommen. Sie ist schlichtweg der Ausdruck eines klaren wissenschaftlichen Blicks auf die realen Abhängigkeitsverhältnisse, in denen wir Menschen uns auf dieser Welt befinden. Wer sich selbst zum Maßstab für andere macht und alles den eigenen Interessen unterordnet, dem geht dieser Blick verloren und damit auch jeglicher Respekt vor der Natur. Wir leben im Zeitalter des Anthropozän, in dem der Mensch die Erde beherrscht, ihre Ressourcen hemmungslos und rücksichtslos ausbeutet und zerstört wie es ihm gefällt. Kein Respekt in Sicht. Dabei wäre gerade hier der Respekt nicht nur eine Frage der grundsätzlichen Haltung, sondern auch eine Frage der Intelligenz. Denn wer die Ressourcen, von denen er lebt, nicht respektiert, zerstört letztlich seine eigene Existenzgrundlage.

More Dagmar Woyde-Koehler

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